Wer wählt Wolbergs?
Der Regensburger Oberbürgermeister ist seit drei Jahren suspendiert, weil er in eine Korruptionsaffäre verwickelt ist. Trotzdem tritt er jetzt wieder an – und hat durchaus Chancen
Regensburg Es herrscht dichtes Gedränge auf dem Podium, wenn die Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl in Regensburg zur Diskussion zusammenkommen. Elf Frauen und Männer treten an im Rennen um Zimmer 10 im altehrwürdigen Rathaus, in dem auch schon die Gesandten des Immerwährenden Reichstags getagt haben und von dem aus die Geschicke einer nach wie vor boomenden Stadt gelenkt werden. Die Besonderheit liegt nicht darin, dass unter den Bewerbern gleich zwei von Satire-Parteien sind (Die Partei und Liste Ribisl), sondern dass ein seit drei Jahren suspendierter Oberbürgermeister erneut antritt: Joachim Wolbergs, im März 2014 für die SPD mit gut 70 Prozent triumphal ins Amt gewählt, ist jetzt, wiewohl immer noch in einen Korruptionsprozess verstrickt, Kandidat des flugs gegründeten Vereins „Die Brücke“, der auch zur Stadtratswahl antritt.
Es sind erstrangig Wolbergs selbst, die CSU-Bundestagsabgeordnete Astrid Freudenstein, Bürgermeisterin Gertrud MaltzSchwarzfischer von der SPD und der Grüne Stefan Christoph, die die Wahl wohl unter sich ausmachen werden. Niemand, nicht die Kandidaten und auch nicht die örtlichen Medien, trauen es sich zu, einen der Vier zu favorisieren. Das liegt vor allem an der Frage, wie sehr Wolbergs, trotz seiner Verurteilung wegen Vorteilsannahme in zwei Fällen und des derzeit schwebenden zweiten Korruptionsverfahrens, den vor sechs Jahren deutlich spürbaren Schwung seiner Wahl immer noch genießt. Man weiß das schlicht nicht, belastbare Umfragen gibt es nicht. Stefan Aigner, als Betreiber der Nachrichtenplattform Regensburg digital ein kritischer Beobachter der Kommunalpolitik, bezeichnet Wolbergs denn auch als „ziemliche Blackbox“.
Wolbergs polarisiert, so viel ist klar. Hintergrund der Ermittlungen gegen ihn und weitere Granden von SPD und CSU ist eine große, durch Spenden unterfütterte Nähe der kommunalpolitischen Spitzen zur örtlichen Bau- und Immobilienwirtschaft, die seit dem Jahr 2017 juristisch abgearbeitet wurde und wird. Im Jahr 2014 war viel Geld im Wahlkampf, sowohl aufseiten von Wolbergs als auch auf der des schlussendlich völlig unterlegenen Christian Schlegl von den Christsozialen. In diesem Jahr gehen, eine weitere Folge des Einblicks in die inzwischen gut ausgeleuchteten Wirtschaftsbeziehungen, deutlich geringere Summen in den Wahlkampf. Es hängen nicht an jeder Ecke Riesenplakate, es gibt keine ausufernden Polit-Show-Wahlkampf-Events.
Eine Art neue Bescheidenheit, der Not gehorchend, die sich gut als wieder eingezogene Sittenstrenge darstellen lässt. Stichwort Transparenz: Die SPD beispielsweise hat sich eine sehr strenge Spendenkontrolle auferlegt und muss im Wahlkampf sparen. Ihre Kandidatin Maltz-Schwarzfischer genießt eine Art Amtsbonus, weil sie als erste Bürgermeisterin Wolbergs seit seiner spektakulären Verhaftung im Januar 2017 vertritt und dies nach Meinung vieler sehr souverän und unspektakulär erledigt. „Ich hoffe“, sagt sie, „dass einigermaßen anerkannt wird, was man für die Stadt geleistet hat.“Trotzdem ist es für die Stadt ein Problem, keinen amtierenden Oberbürgermeister zu haben, der sie nach außen repräsentiert und die Richtung vorgibt. Dass Wolbergs jetzt dennoch wieder kandidiert, hält seine Stellvertreterin für „grenzwertig“, weil er damit sein persönliches Wohl und Wehe mit dem der Stadt verknüpfe.
Schließlich bedeutet eine potenzielle Wiederwahl kein automatisches Ende der Suspendierung und damit die mögliche Weiterführung eines Schwebezustands. Wolbergs selbst allerdings ist guten Mutes, dass seine Suspendierung nach seinem zweiten Verfahren aufgehoben wird, nicht nur aus juristischen Gründen: „Die Landesanwaltschaft kann sich nicht über ein Wählervotum hinwegsetzen.“Nach wie vor ist er von seiner Unschuld überzeugt, die „Brücke“-Mitglieder, eine Sammlung von Bürgern vor allem aus dem gehobenen Mittelstand, folgen ihm dabei.
Das Gericht bescheinigte ihm im ersten Verfahren, dass ihm nicht klar gewesen sei, etwas Verbotenes getan zu haben. Das gebe eine Suspendierung nicht her, sagt Wolbergs. Nach dem zweiten Verfahren, das Ende April abgeschlossen sein könnte, werde sie enden.
Astrid Freudenstein, seit 2008 Stadträtin und seit 2013 Bundestagsabgeordnete der CSU, hat stets erkennbar Abstand gehalten zu den Kräften innerhalb ihrer Partei um Schlegl und dem Landtagsabgeordneten Franz Rieger, dem nun ebenfalls ein Prozess droht. Dies könnte ihr jetzt zum Vorteil gereichen: „Ich hatte“, sagt sie, „mit dem letzten Wahlkampf nichts zu tun.“Nun müssten sich eben alle „am Riemen reißen“und für die Stadt Regensburg arbeiten, denn die vergangenen drei Jahre, die jetzt „gut hinter uns“sein sollten, hätten der „ausnehmend stabilen Stadt“geschadet.
Horst Meierhofer, OB-Kandidat der FDP, räumt Freudenstein die besten Chancen auf einen Einzug in die Stichwahl ein, die es mit hoher Wahrscheinlichkeit geben wird. Unter den zwölf Parteien, die um Mandate für den Stadtrat konkurrieren, nehmen die Grünen nach Umfragen eine Spitzenposition ein. Ob dies auch für ihren Oberbürgermeisterkandidaten Stefan Christoph gilt, ist fraglich. Er ist in der Stadt relativ unbekannt, billigt sich aber selbst „durchaus ganz gute Chancen“zu. Zudem haben die Freien Wähler, die ÖDP, die Linke und die Christlich-Sozialen Bürger Kandidaten ins OB-Rennen geschickt.