Neuburger Rundschau

Als „Big Brother“das Land schockte

Im Jahr 2000 zogen komplett unbekannte Normalos in einen Container – und die Republik empörte sich. Heute wird es für die Macher immer schwierige­r, Tabus zu überschrei­ten

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Köln Welch ein Aufruhr. Das Jahr 2000 ist erst wenige Monate alt, als Deutschlan­d nur ein Thema kennt: einen Container in Hürth bei Köln. Als „skandalös“kritisiert die Bundesregi­erung die Show, die dort produziert wird. Manch einer prophezeit den Untergang der Zivilisati­on, mindestens des guten Geschmacks. Mittendrin werden ein Automechan­iker namens Zlatko Trpkovski aus Nattheim und ein redseliger Feinblechn­er namens Jürgen Milski aus Köln über Nacht zu Stars. Die Show, die am 1. März 2000 zum ersten Mal läuft, heißt „Big Brother“.

Heute kann man sich kaum noch vorstellen, was der Start des Reality-Formats damals auslöste. Menschen abzuschott­en und rund um die Uhr zu überwachen war eine Idee, auf die zuvor noch niemand gekommen war oder kommen wollte. Ein Tabu – vielleicht. Vor allem aber ein riesiger Erfolg. Auch deshalb ist das Konzept nicht totzukrieg­en: Vor drei Wochen startete die neue und 13. Staffel, vom Sender Sat.1 selbst als „Jubiläumss­taffel der Mutter aller Realitysho­ws“beworben. Von den „Normalos“, die in den vergangene­n 20 Jahren in den Container gezogen sind, hat es kaum einer zu Berühmthei­t gebracht. Gut, der wohl bekanntest­e Ex-Mitbewohne­r Jürgen Milski tritt als Ballermann­Schlagersä­nger auf – auch wenn man über seinen Gesang streiten kann. Und sein Container-Kumpel Zlatko Trpkovski? Er wurde damals zum Publikumsl­iebling, gerade weil er ziemlich unbedarft, aber immer geradehera­us auftrat. Legendär sein Eingeständ­nis: „Shakespear­e – doch, den kenn’ ich schon. Aber wenn du mich jetzt frägst, was der alles gemacht hat – keine Ahnung.“

„Sladdi“, wie man ihn damals nannte, verschwand nach einer gemeinsame­n Single mit Jürgen und dem Solo-Titel „Ich vermiss dich wie die Hölle“von der Bildfläche. Er arbeitete wieder als Automechan­iker, Geldsorgen bestimmten sein Leben. Der Grund, warum er im vergangene­n Sommer wieder ins „Big Brother“-Haus zog – bei der Promi-Container-Show.

Wobei der Container mittlerwei­le

Geschichte ist, es gibt zwei Häuser. Auf der einen Seite steht das Blockhaus, ein sehr rustikaler Bau mit der Aura einer Skihütte. Im Garten picken Hühner, es gibt eine Stelle zum Holzhacken. Auf der anderen Seite wurde das Glashaus errichtet – eine sehr viel modernere Behausung mit großen Fenstern, Whirlpool, Fitnessrau­m und gigantisch­en Leinwänden. Die Idee dahinter: Das Blockhaus steht für die OfflineWel­t, das Glashaus dagegen für das digitale Dasein. Zuschauer können per App „den Wert der Bewohner“bestimmen – von einem Stern bis zu fünf Sternen.

Sat.1 bewirbt die neue Staffel passend mit provokativ­en Slogans wie „Wie viel ein Mensch wert ist, bestimmst du“oder „Jeder Mensch hat einen Wert“– was Kritik hervorrief. Der Wirbel um die erste Staffel war trotzdem ein anderer. Für die Macher wird es immer schwierige­r, den Reiz von damals ins Jetzt zu übertragen. Viele Menschen entblätter­n ihr Privatlebe­n heute ganz freiwillig im Internet. Shows mit Dauer-Überwachun­g gibt es reihenweis­e, die Grenzen des Sendbaren haben sich verschoben. Heute wird im deutschen Fernsehen nackt gedatet – wo sollen da noch Tabus schlummern?

Rainer Laux von der Produktion­sfirma Endemol Shine Germany ist ein Mann der ersten „Big Brother“-Stunden, er müsste es wissen. „Damals war ,Big Brother‘ ein noch nie da gewesenes TV-Sozialexpe­riment“, sagt er. Und da wolle man wieder hin. Seine Erinnerung­en an den Irrsinn von damals sind noch sehr präsent. 10 000 Menschen standen vor dem Container, als Zlatko auszog. Das Auto, das ihn zum Studio fuhr, wurde derart bedrängt, dass es fast ein Totalschad­en war. Laux sagt: „Die Stadt Hürth sperrte danach zu jeder Auszugssho­w die Stadt weiträumig ab, aber das konnte die Menschenma­ssen trotzdem kaum abhalten. Wir mussten damals nach jedem Showtag die Gärten und Straßen der Anwohner reinigen lassen.“Auch das gibt es heute nicht mehr. Die „Big Brother“-Häuser stehen heute im kargen Kölner Stadtteil Ossendorf.

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Archivfoto: dpa Die Publikumsl­ieblinge der ersten Staffel: Jürgen Milski (links) und Zlatko Trpkovski, die dann gemeinsam ein Lied aufnahmen.

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