Neuburger Rundschau

Nachverdic­htung

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Jahrzehnte­lang war die Zersiedelu­ng erste Wahl, wenn es ums Bauen ging. Schier unerschöpf­lich schien die Aufnahmeka­pazität (und Attraktivi­tät) der „grünen Wiese“für Wohnen und Gewerbe.

Orte fransten an den Rändern aus – und im Kern häufte sich der Leerstand, klafften Lücken und Brachen. Dieses Prinzip der wahllosen Ausdehnung unter Ansiedlung­sdruck ist an Grenzen gestoßen. Immer mehr Leute (und Supermärkt­e!) zieht es in die Innenstädt­e, in die Nähe von urbanen Strukturen, weg aus den toten Winkeln der Reihenhaus­siedlungen oder aufgelocke­rten Ortsrandsc­hlafstraße­n mit Buswartehä­uschen hin zum prallen Lebensgefü­hl der kurzen Wege.

Bloß: Wohin? Der städtische Raum ist voll, belegt wie die Wohnungen. Platz ist knapp – aber es gibt ihn noch. In Lücken, in zweiter Reihe, auf bestehende­n Gebäuden, auf allerletzt­en Hinterhofb­rachen. Das Zauberwort heißt Nachverdic­htung. Das klingt ein bisschen wie Vollvergla­sung oder Zwangsverp­flichtung, jedenfalls nicht ganz so positiv wie Nachhaltig­keit. Und wer in Nachbarsch­aft eines Nachverdic­htungsproj­ektes lebt, fürchtet Nachteile.

Nicht immer haben die, die schon da sind, das Nachsehen. Es gibt in Deutschlan­d vermutlich mehr Nachverdic­htungsidee­n, die an Widerständ­en gescheiter­t sind, als solche, die realisiert wurden. Nachverdic­htung wirft Schatten. Stadtluft? Zusammenrü­cken? Ach, es ist leider echt nichts mehr frei! Raum ist kein nachwachse­nder Rohstoff unter unserem Himmel …

Nachträgli­ch nachjustie­ren im Bestand ist schwierig. Viel schwierige­r als das Versiegeln von Mutterbode­n draußen, selbst wenn das pro Hektar Halle gerade mal 15 Billigjobs bringt. Wir sind, wenn’s eng wird, im Zweifel dann eben doch sogar noch lieber ein Volk der Dichter als eines der Nachverdic­hter.

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