Neuburger Rundschau

Spanien wendet sich ab von Plácido Domingo

Zwei Musik-Institutio­nen seiner Heimat haben den Opernstar ausgeladen – und in Madrid kommt der Sänger selbst einer Auftrittsa­bsage zuvor. Es bleibt die Frage: Wofür genau hat sich Domingo eigentlich entschuldi­gt?

- VON RÜDIGER HEINZE

„Auch Du also, Plácido?“, fragten wir an dieser Stelle im Sommer 2019, als den Opernstar Domingo geballte schwere, jedoch unbewiesen­e Vorwürfe von Frauen wegen sexueller Übergriffi­gkeit trafen. Die Branche und ihre musikliebe­nden Anhänger waren damals in drei Lager gespalten: US-Institutio­nen schienen mehr zu wissen und kündigten bereits anberaumte Auftritte des ehemaligen Super-Tenors und heutigen Baritons (beziehungs­weise Dirigenten) wieder auf; für Opernhäuse­r in Europa hingegen galt das bewährte Prinzip – vorläufige­r – Unschuldsv­ermutung mit der Konsequenz, dass der Sänger weiter auftreten konnte; in seiner Heimat Spanien schließlic­h – und nicht nur dort – stellte man sich in Liebe und Treue vor Domingo und feierte den mittlerwei­le 79-Jährigen ostentativ. Noch vor dem Prozess der Klärung.

Jetzt hat sich der Wind gedreht. Spanische Musikinsti­tutionen laden Domingo aus, und er selbst sagte fünf Madrider „Traviata“-Aufführung­en ihm zu Ehren ab – wohl, um den Anschein zu wahren, das Heft in der eigenen Hand zu halten. Große spanische Zeitungen befinden, dass nun dem Ende seiner Karriere und dem Ende seiner Legende entgegenst­euere. Ein großer Künstler, ein kritisierb­arer Mensch ist zu einer Persona non grata im eigenen Geburtslan­d geworden.

waren nämlich offenbar doch Dinge vorgefalle­n, die besser nicht hätten vorfallen sollen. In dieser Woche entschuldi­gte sich deswegen Domingo bei allen Frauen, die wegen ihm Schmerzen und Angst empDomingo fanden: „Ich möchte, dass sie wissen, dass mir der Schmerz, den ich ihnen zugefügt habe, wirklich leidtut. Ich verstehe jetzt, dass einige Frauen vielleicht Angst hatten, sich ehrlich zu äußern, weil sie befürchten, dass ihre Karriere dadurch beeinträch­tigt werden könnte.“

Anlass dazu hatte eine Untersuchu­ng des US-Verbands der Musikkünst­ler gegeben, wonach „Herr Domingo sich in der Tat unangemess­en verhalten hat – bei der Arbeit und außerhalb. Viele der Opfer sagen, dass sie aus Angst vor Vergeltung­smaßnahmen in der Branche bislang geschwiege­n hatten.“

Nicht, dass sich der Beobachter des älteren und jüngeren Geschehens nach Details sehnen würde, aber besonders konkret formuliert ist das Untersuchu­ngsergebni­s sicherlich nicht. Und Domingos Entschuldi­gung geht auch nicht auf tatsächlic­he Übergriffe ein, sondern eigentlich nur auf Schmerzen und Ängste in der Folge von Treffen. Mittlerwei­le hat auch Domingo – die tatsächlic­hen Vorgänge sicherlich nicht erhellend – nachgescho­ben: Seine Entschuldi­gung habe „wohl einen falschen Eindruck erweckt“. Sie sei zwar „ehrlich“gewesen und „aus ganzem Herzen geEs kommen“. Aber: „Ich weiß, was ich nicht getan habe, und das werde ich immer wieder bestreiten.“Er, Domingo, habe sich nie „aggressiv verhalten“und habe auch „niemals etwas getan, um eine Karriere zu stören oder zu verhindern“.

Nun hat sich jeder Beobachter – ohne Gewähr, ohne Beweis – neuerlich einen Reim zu machen, eine neue Wahrschein­lichkeitsr­echnung aufzustell­en. Es dürfte so gewesen sein: Domingo war vielleicht nicht aggressiv, aber wohl etwas zu draufgänge­risch. Wahrschein­lich mussten ihm deshalb Frauen deutlich auf die Finger klopfen – und hatten hinterher Angst, dass sich das gegen sie wenden könnte bei dem Einfluss, den ein Intendant, Dirigent, weltberühm­ter Sänger eben hat. Aber das sind nur Vermutunge­n, Spekulatio­nen. Nach Weinsteins Schuld, ist jetzt jedenfalls auch eine DomingoSch­uld festgestel­lt.

Die Staatsoper München hält gleichwohl am Engagement Domingos fest. Im Festspiel-Sommer soll er Ende Juli zweimal den „Nabucco“singen. Staatsoper­nintendant Bachler: „Herr Domingo zeigte für sein Verhalten Reue. Auch daher sehen wir keinen Grund, vertragsbr­üchig zu werden.“

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Foto: Franz Neumayr, dpa In Spanien wird es einsam um Plácido Domingo.

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