Leute, warum feiert ihr nicht mehr?!
Mensch, was waren wir früher unterwegs, von einer Kneipe in die nächste, um am Ende einer langen Nacht im Hertlein zu versumpfen. Doch die Jugend von heute ist brav geworden. Durchfeierte Nächte sind selten. Ein Erklärungsversuch
Auf dem Handy läuft der neueste Hit auf Spotify. Das Gerät liegt auf dem Wohnzimmertisch. Anita und ihre Freunde sitzen auf der Couch, ratschen, knabbern Chips. Ihre Eltern sind heute nicht daheim, deswegen konnten sie vom Kinderzimmer ins Wohnzimmer umziehen. Gegen 18 Uhr haben sie sich bei der 17-Jährigen getroffen. Manchmal spielen sie auch Karten oder Singstar auf der Playstation. Ein netter Abend. Richtig feiern, ausgehen, Party machen war die Neuburgerin noch nie. „Ich leg da auch gar keinen Wert drauf“, sagt sie und scheint damit nicht die einzige zu sein. Die Feierszene hat sich verändert, darin sind sich die Neuburger Gastronomen einig. Aber warum?
„Wir zieh’n durch die Straßen und die Clubs dieser Stadt, das ist unsre‘ Nacht, wie für uns beide gemacht, oho oho“, singt Helene Fischer in ihrem Schlagerhit. Als Klaus Köppl durch die Neuburger Kneipen zog, steckte Helene Fischer noch in den Kinderschuhen. „Es war eine tolle Zeit“, schwärmt er. Vom Galina in die Kajüte, danach auf ein Bier in den Fuchsbräukeller und dann natürlich noch ins Hertlein. „Wir sind von einer Lokalität zur anderen gewandert. Überall traf man neue Leute, ratschte, trank zusammen und ging weiter.“Ein Handy, über das man Treffpunkte ausmachte, gab es nicht. Man musste noch wo hingehen, um Menschen zu treffen. Mal hatte man Glück und es waren bereits ein paar Bekannte da, mal eben nicht. Entweder man kam mit Fremden ins Gespräch oder man zog weiter.
Klaus Köppl ist in der Neuburger Kneipenszene tief verankert. Bis 2016 legte der 59-Jährige als DJ im Hertlein auf, 2018 eröffnete er die „Drogerie“, ein Hobby, wie er sagt, denn davon leben könne er nicht.
Früher seien in den Bars durchaus gute Umsätze erzielt worden, doch heute ist alles anders. „Gibt es keine explizite Veranstaltung, kommt keiner – leider!“Die Leute gehen nur noch veranstaltungsbezogen weg und dann auch nur sehr diszipliniert.
„Atemlos durch die Nacht, bis ein neuer Tag erwacht“, singt Helene, nur dass die Nacht inzwischen spätestens um 3 Uhr zu Ende ist. Länger feiert kaum einer mehr, sagt Bajram Gashi. Er betreibt zusammen mit seinem Bruder das „Huba“, das „Bootshaus“und das „Fly“. Die jungen Leute von heute wollen nicht mehr so viel tanzen, feiern und Party machen, erzählt er. „Sie sitzen lieber zusammen und schauen sich Fotos und Videos auf ihren Handys ein.“Ein Klischee? Nein, die Wahrheit! Keiner braucht mehr gute DJs, die die neuesten Musikhits auf ihren Platten dabei haben. Keiner muss mehr seinem Lieblingssong die halbe Nacht entgegenfiebern und den DJ bezirzen, dass er auch den ausgefallensten Liederwunsch erfüllt. Musikdienste wie Spotify und AmazonMusic machen es möglich, auf dem Handy immer und überall Lieder aller Stilrichtungen zu hören.
Laura ist kein Kind von Traurigkeit. Die 19-Jährige geht gerne weg. Inzwischen studiert sie dual in Erlangen. Das sei ganz schön stressig, feiern geht sie deswegen kaum mehr. Auch Anita erzählt, dass sie sich hauptsächlich samstags mit ihren Freunden trifft. Am Freitag seien eigentlich alle zu müde und zu geschafft von der Woche, um abends noch etwas zu unternehmen. Ist unsere Jugend zu gestresst, vielleicht überfordert, um mal ordentlich die Sau raus zu lassen?
Es gab Zeiten, ganz zu Anfang, als Sebastian Bollinger die „Sonderbar“übernommen hat, da war die Bar am Eck zur Donaubrücke auch donnerstags gut besucht. „Was haben wir früher dem Donnerstag entgegengefiebert, um das Wochenende einzuläuten“, erinnert sich der Kneipenwirt an seine eigene Jugend. Vor rund sechs Jahren hat Bollinger den Donnerstag-Betrieb eingestellt. Der Grund: tote Hose. „Als ich mit unserem Barkeeper irgendwann alleine drin stand, habe ich beschlossen, nur noch freitags und samstags zu öffnen“, erzählt der 33-Jährige.
Die Leute beschränken sich auf einen Tag in der Woche, an dem sie weggehen, bestätigt Robert Metzker. Seit 1989 betreibt er „Rob’s Bar“, hat viele Hochs und Tiefs mitgemacht, aber so krass wie jetzt sei es in den vergangenen 30 Jahren nicht gewesen. Es habe immer mal Zeiten gegeben, in denen die Leute mehr zu Hause geblieben sind, aber so einen gesellschaftlichen Wandel gab es noch nie.
Mike Habermeier hat die Schnauze voll. Seit 24 Jahren betreibt er das Hertlein. Ende des Jahres ist Schluss, am 31. Dezember hallt der letzte Ton durch die altehrwürdigen Räume, die vor 50 Jahren vom Tagestanzcafé in eine Nachtgastronomie umgewandelt wurden. Das Hertlein ist Kult. Trotzdem hat es seine Hochzeiten hinter sich. Auch Habermeier merkt das veränderte Weggehverhalten der jungen Leute: „Wir haben zwar schon ab Mittwoch auf, aber so richtig rund geht’s inzwischen fast nur noch am Samstag.“Und dann auch erst nach Mitternacht. „Wenn vorher eine Gruppe zu uns rein kommt, ein Video filmt von der leeren Tanzfläche und das in den sozialen Medien postet, dann kommt gleich gar keiner mehr“, erzählt der Gastronom. Wenn er sich mit jungen Gästen über das Thema unterhält, sagen die meisten: Wieso weggehen, wir haben doch alles daheim?
Die Jugend von heute ist brav geworden. Selten, berichtet Bajram Gashi, werde noch länger als bis 3 Uhr nachts gefeiert. Es gebe kaum noch Bierleichen, die Sebastian Bollinger zur Sperrstunde vor die Tür der Sonderbar setzen muss. Die jahrelangen Aufklärungskampagnen der Regierung scheinen Früchte zu tragen. Anita trinkt gar keinen Alkohol, Laura selten. Sebastian Bollinger hat früher für seine Sonderbar zwei Kisten Tafelwasser beim Großhändler bestellt, heute sind es an die vier. Das billige alkoholische Gesöff verlange kaum noch jemand. Literweise Flügerl – ade! Komasaufen – passé! Ein gepflegtes Bier, einen Gin Tonic, das war’s. Der verschärfte Jugendschutz trug vielleicht seinen Teil dazu bei. Weil die Wirte kaum kontrollieren können, ob ein 16-Jähriger nicht doch etwas Hochprozentiges trinkt, lassen die meisten Bar- und Kneipenbesitzer unter 18-Jährige gar nicht hinein. „Ihnen wurde jegliche Möglichkeit zum Weggehen genommen“, schlussfolgert Klöppl.
Eine teure SMS hat Sebastian Bollinger vor fast 20 Jahren nur versendet, um mit seinen Kumpels einen abendlichen Treffpunkt auszumachen. WhatsApp, Flatrate, Instagram und Twitter machen es möglich, dass die Jugend von heute ganze Gespräche aufs Handy auslagern kann. „Wer sich den ganzen Tag über schreibt oder Sprachnachrichten schickt, hat sich abends nichts mehr zu sagen“, schlussfolgert Bollinger. Ihr Geld geben die Mädels und Jungs für andere Dinge aus: den Handyvertrag, Abos für Spotify, Netflix und Co. und Urlaube an Orte, an denen man sich optimal für Instagram inszenieren kann. Alkohol gehört nicht dazu. Lieber ab und an lecker Essen gehen mit Freunden. Die Neuburger Restaurants profitieren von dieser Entwicklung. Freitags wie samstags sollte man frühzeitig reservieren, um noch einen Platz zu bekommen. Christoph Gräbner bietet in der „Elisenlounge“beides an: Essen, am späteren Abend auch Cocktails. „Die Nachtgastronomie hat sich gewandelt zur Essensgastronomie“, bringt es Gräbner auf den Punkt. Die steigenden Umsätze geben ihm recht. Deswegen hat er schon vor einiger Zeit die Küche noch mehr auf junge Leute zugeschnitten.
Alles wird geplant, durchgestylt. Bereits Mitte der Woche wird ausgemacht, wer wann Zeit hat, was gemacht wird. Guido Büttner ist als Geschäftsführer des Kreisjugendrings nah dran an den Jugendlichen. Er sagt: „Die Lebenswelten haben sich komplett geändert.“Spontane Aktionen unter jungen Menschen seien selten geworden. Das Handy macht’s möglich, sich umfangreich abzusprechen. Und schließlich muss dann auch alles perfekt sein. Das passt zu der Erfahrung, die die Gastronomen machen. Die Bude ist hauptsächlich dann voll, wenn Events stattfinden. Mottopartys oder zumindest Livemusik, dann kommen die Leute.
... vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass in Neuburg nachts nur schwer ein Taxi zu bekommen ist...