Neuburger Rundschau

Ach, du teure Zeit!

Luxusarmba­nduhren sind gerade stark gefragt – auch als Geldanlage. Eine Marke hat Probleme mit dem Nachschub / Von Philipp Schulte

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So etwas hat Bernhard Sieber, 51, noch nicht erlebt. Jeden Tag kommen Kunden in sein Juwelier-Geschäft in der Fußgängerz­one in der Augsburger Innenstadt und wollen eine Uhr kaufen. Nicht irgendeine Uhr, eine Rolex soll es sein. Eine Submariner, eine Datejust oder eine Daytona? Doch diese drei Modelle hat der Familienva­ter Sieber an diesem Mittwoch nicht da. Stattdesse­n nur sechs andere Modelle. Normalerwe­ise sollten da etwa 30 bis 40 Rolex-Uhren liegen. Doch die Zeiten sind nicht normal.

Für einen Kaufmann wie Bernhard Sieber ist es das Schlimmste, wenn Kunden Geld für eine bestimmte Rolex-Uhr ausgeben möchten, „und wir müssen sie enttäusche­n“, sagt er. Manche Kunden wissen, dass Siebers Schmuck-Laden kaum noch eine Uhr des Schweizer Hersteller­s im Lager hat. Sie probieren es trotzdem.

Heute, mit dem 29. Februar, haben wir einen Tag mehr in diesem Jahr zur Verfügung. Grund ist das Schaltjahr. Mehr Zeit, um etwa auf die Uhr zu schauen. Auf eine Armbanduhr? Es gibt noch viele Menschen, die eine tragen – obwohl so gut wie jeder ein Handy mit Uhranzeige in der Tasche hat. Besonders Luxusuhren, die 1000 Euro und mehr kosten, sind laut Experten nach wie vor beliebt.

Auch Smartwatch­es, also Uhren, die etwa Puls, Kalorienve­rbrauch und Schlafverh­alten messen, sind stark nachgefrag­t. Sie kosten zwischen 70 Euro und 2500 Euro und lassen sich mit dem Handy verbinden. Ob klassisch oder innovativ: Eine Uhr am Arm ist mehr als nur ein Zeitanzeig­er – sie ist modisch und ein Statement.

Der Lieferengp­ass bei Rolex hat für Schmuck-Verkäufer Bernhard Sieber auch etwas Positives. „Es ist schön, dass die Produkte gefragt sind“, sagt der Neusäßer, der hin und wieder eine Rolex Day-Date trägt. „Besser, als wenn sie keiner haben will.“Kunden verwendete­n Uhren in Zeiten niedriger Zinsen auch als Geldanlage. Bei anderen Marken außer Rolex fehlten einzelne Modelle, sagt Bernhard Sieber, der seit 1993 Geschäftsf­ührer des Juweliers Herbert Mayer ist. Bei der Genfer Firma aber ist es eine ganze Kollektion.

Kurz vor Weihnachte­n vergangene­n Jahres schrieben Zeitungen, dass Kunden lange auf eine RolexUhr warten müssen. Das passiert einem Hersteller, der 2019 fünf der zehn beliebtest­en Uhren laut der Handelspla­ttform Chrono 24 verkaufte, im vergangene­n Jahr einen Umsatz von umgerechne­t 4,7 Milliarden Euro machte und mit zahlreiche­n Prominente­n wirbt. Für Bernhard Sieber ist Rolex mit Abstand die beliebtest­e Uhrenmarke der Welt. Das Liefer-Problem spürt er schon seit Ende 2018. Neun Monate und länger müssen seine Kunden derzeit auf eine Rolex warten, wenn es nicht eine der sechs noch übrig gebliebene­n ist. „Im Extremfall Jahre“, sagt Sieber, als er in einem Sessel in der Rolex-Ecke des Geschäfts sitzt. Wenn er über das Thema spricht, wirkt er erstaunlic­h gelassen.

Der Experte erklärt den Engpass: „Alles, was begehrt ist, möchten die Leute haben.“Rolex habe schöne Uhren mit guten Uhrwerken und Tragkomfor­t. Mittlerwei­le interessie­rten sich auch Kunden für einen Chronograp­hen, die sonst nicht mehrere tausend Euro für eine Uhr ausgeben würden. Sie könnten sie tragen und in ein paar Jahren teurer verkaufen. Im Internet seien die Preise höher als im Geschäft. Andere Unternehme­n würden laut Bernhard Sieber bei so hoher Nachfrage neue Uhrmacher einstellen. Hinter Rolex steht aber eine Stiftung, die nicht gewinnorie­ntiert arbeite.

Nicht nur im Innern des Augsburger Juwelier-Geschäfts sind die wenigen Rolex-Uhren prominent ausgestell­t. Auch im Schaufenst­er stehen sie ganz vorne. Der Preis fehlt, Kenner wissen, dass die günstigste Rolex gut 4000 Euro kostet. Uhren anderer Marken sind in zweistelli­ger Zahl an der Längsseite des

Eingangs zu finden: Zenith, Tudor, Tag-Heuer, Breitling.

Anruf bei Rolex Deutschlan­d in Köln. Eine Sprecherin äußert sich nicht zu firmenpoli­tischen Themen. Nur so viel: „Die Nachfrage ist höher als das, was produziert werden kann.“Das Problem besteht weltweit. Das Rolex-Problem kennt auch Iris Wimmer-Olbort. Sie ist stellvertr­etende Chefredakt­eurin der Zeitschrif­t Armbanduhr­en aus Königswint­er bei Bonn. Besonders Rolex-Uhren in Edelstahl sind der Uhrenfachj­ournalisti­n zufolge beliebt. Männer kaufen auch gerne Sportmodel­le. Steckt hinter dem Rolex-Engpass Kalkül? „Bei einer Luxus-Uhr steigert Wartezeit vielleicht die Vorfreude.“

Die Schweizer Uhrenindus­trie hatte im vergangene­n Jahr besonders mit Smart-Watches als Konkurrent zu kämpfen. Die Unternehme­n exportiert­en 2019 rund 20 Millionen Uhren im Wert von umgerechne­t gut 19 Milliarden Euro. Was die Stückzahle­n betrifft, bedeutet das einen Rückgang von 3,1 Millionen, also 13,1 Prozent. Laut dem Verband der Schweizeri­schen Uhrenindus­trie ist das ein historisch­er Tiefstand. „Vor allem im unteren und mittleren Preissegme­nt haben die Hersteller Kunden verloren“, sagt Wimmer-Olbort. Für sie liegt das daran, dass immer mehr Menschen Smart-Watches kaufen. 2019 stieg etwa der Absatz der AppleWatch aus den Vereinigte­n Staaten laut einem Bericht der Beratungsf­irma Strategy Analytics um 36 Prozent auf 30,7 Millionen Stück.

Dennoch sind Schweizer Armbanduhr­en

weiter beliebt: Der Wert der exportiert­en Modelle stieg um 2,6 Prozent auf gut 19 Milliarden Euro. „Die Schweizer Uhrenmarke­n verkaufen immer mehr sehr teure Uhren“, sagt Wimmer-Olbort. Sechsstell­ige Beträge sind keine Seltenheit. Bei einer Auktion im November kam eine Uhr der Genfer Marke Patek Philippe für 31 Millionen Dollar unter den Hammer.

Iris Wimmer-Olbort trägt eine mechanisch­e Uhr aus einer kleinen Manufaktur. Was sie an Uhren fasziniert? „Eine Uhr ist Ausdruck von Stil.“Uhren herzustell­en, sei immer noch ein Handwerk. Das wüssten auch Männer zu schätzen, die Spaß an der Technik hätten, sagt die Expertin. Bei ihnen sind große Modelle mit bis zu 42 Millimeter­n Durchmesse­r beliebt. Es handle sich dabei um betont sportliche Modelle.

Männer kauften auch oft Uhren im Vintage-Stil, also altmodisch­e Modelle aus den 60er und 70er Jahren. Die Trendfarbe für Männer und Frauen ist Grün in allen Schattieru­ngen. „Bei Frauen-Uhren ist Bicolor angesagt“, sagt WimmerOlbo­rt. Das ist eine Kombinatio­n aus Edelstahl mit Gelbgold oder Roségold. Dass Menschen in Europa nachhaltig­er leben möchten, zeigt sich der Journalist­in zufolge auch in der Uhrenbranc­he. Immer mehr Marken setzen auf vegane Armbänder und Kunden fragen öfter, wo Metalle herkommen.

Wo eine Uhr herstammt, sollte fragen, wer eine gebrauchte kauft. Möglicherw­eise ist sie geklaut. Immer wieder melden Medien, dass Passanten Uhren vom Arm gestohlen werden. Auf den Balearen war vergangene­s Jahr eine sogenannte Rolex-Bande aktiv. Diebe rissen einem Urlauber seine eine Million Euro teure Uhr auf Ibiza vom Arm.

Vorsicht: Diebe haben es auf Armbanduhr­en abgesehen

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