Neuburger Rundschau

Die Frage der Woche Essen von daheim in die Kantine mitnehmen?

- PRO LEA THIES CONTRA MICHAEL SCHREINER

Ü

berraschun­g, hier gibt es jetzt kein Genöle über unfähige Kantinenkö­che, das wäre schließlic­h genauso langweilig wie auf Partys über das Wetter zu jammern. Brechen wir lieber gleich mal eine Lanze für Menschen in Großküchen: Die werden nämlich häufig vom Massengesc­hmack und Preisdikta­t in ihrer Kochkunst eingebrems­t. Umfragen ergeben immer wieder, dass Currywurst, Pommes, Burger und Schnitzel zu den beliebtest­en Kantinenes­sen der Deutschen gehören. Der Durchschni­ttskantine­nesser mag es also deftigfett­ig, bloß nicht zu würzig oder extravagan­t. Und billig muss das Essen auch sein, sonst gibt’s Gemaule an der Kasse. „Ich habe den Eindruck, dass manche Männer, die sich wegen des Preises beschweren, gar nicht wissen, was Lebensmitt­el eigentlich kosten, weil sie gar nicht einkaufen gehen“, schildert jemand aus gut informiert­en Kreisen. Und auch, dass gerne mehr Ausgefalle­neres angeboten werde – aber wenn kaum jemand das Tofu, den Joghurt mit Fruchtmark oder die Smoothies aufs Tablett lädt …

Der Massengesc­hmack ist auch ein Problem für diejenigen, die gerne mit Kollegen essen gehen und sich gesund ernähren möchten. Also für alle, die ohne Probleme eine Currywurst links unter der Wärmelampe liegen lassen können. Für Vegetarier und Veganer, die das permanente Salat-Nudel-Angebot satthaben. Für Scharfesse­r und Gewürzlieb­haber. Wer das Essen mit Kollegen nicht missen möchte, bringt also Essen von daheim mit. Manch eine(r) tut das übrigens auch, um etwas Geld zu sparen oder weil zu Hause am Tag zuvor wieder zu viel gekocht worden war. Das kann auch für die Kantine Vorteile haben: Vielleicht wird dem ein oder anderen angesichts der kulinarisc­hen Vielfalt die Currywurst ja dann doch mal fad.

Sich in die Essgewohnh­eiten anderer einzumisch­en, ist nicht ratsam. Ernährungs­weisen haben heute fast religiösen Charakter. Es geht um Bekenntnis­se, Moral und Überlebens­fragen. Currywurst mit Pommes war früher einfach ein Kantinenge­richt und eine Geschmacks­frage. Heute trägt man mit dem Teller eine Gewissense­ntscheidun­g mit sich herum und lädt je nach Standpunkt schwere Schuld mit Sauce auf sich. Wenn jemand nur dem traut, was er selbst zubereitet hat, macht er sich das Leben freiwillig schwer. Aber das steht jedem frei, weshalb die Mittagesse­nvon-daheim-Mitbringer mit ihren käsigen Tupperschü­sseln ein Recht darauf haben, unbehellig­t zu bleiben. Man schreibt Kollegen ja auch nicht vor, ob sie mit oder ohne Fahrradhel­m ins Büro kommen. Jeder wie er mag, solange es nicht jeden Tag Bio-Kohlsuppe ist, was auf dem Gepäckträg­er schwappt. Wer sein Tupperzeug

mittags in der Mikrowelle wärmt und sich dann an seinen Schreibtis­ch verkrümelt, um gesund und „safe“zu essen, soll sein Solo-Statement genießen. Die anderen gehen seufzend in die Kantine. Das ist der letzte Ort der kollektive­n Machtlosig­keit und des hierarchie­freien Ausgeliefe­rtseins. Du isst, was es gibt. Wie an der Losbude können das oft Nieten, aber auch mal ein schöner Gewinn sein. Gemeinsam Gericht halten über Schredders­alat, Geschnetze­ltes oder Gemüsebrei in der kasachisch­en Woche dient dem Betriebskl­ima, das viel stärker durchschlä­gt als das Weltklima, für dessen Rettung die Kantine ungefähr so geeignet ist wie ein Flughafend­rehkreuz. Und wenn da jemand mit am Tisch sitzt und aus seiner Tupperschü­ssel Trüffel auf Lauch an Nudeln löffelt, ist das nicht nur unhöflich gegenüber dem Kantinenpe­rsonal. Dabei sein wollen, aber nicht früher sterben – das geht gar nicht.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany