Neuburger Rundschau

Tausende Flüchtling­e stehen vor Europas Toren

Türkei Griechenla­nd und Bulgarien erhöhen den Grenzschut­z, Bayern sieht sich gut gerüstet

- VON GERD HÖHLER UND MARGIT HUFNAGEL

Istanbul Die Flüchtling­e harren im Niemandsla­nd zwischen der Türkei und Griechenla­nd aus. Manche sind seit Freitag am Grenzüberg­ang Pazarkule – junge Männer aus Syrien, Afghanista­n und dem Iran, aber auch Familien mit Kindern. Auf einem Schild steht auf Englisch „Öffnet die Grenzen, wir sterben“. Der Iraner Emircan Ibrahimi, 40, hält ein Schild mit der Aufschrift: „Merkel help!“(Merkel hilf!). Mehr als 13000 Migranten halten sich nach UN-Angaben inzwischen im Grenzgebie­t auf. Hunderte erreichen in Booten die griechisch­en Ägäisinsel­n. In Südosteuro­pa bahnt sich ein neues Flüchtling­sdrama an und mit ihm ein politische­s Kräftemess­en. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Samstag gesagt, die Grenzen zur EU seien für Migranten geöffnet. Griechenla­nd verstärkte seine Einheiten an der Grenze, setzte Tränengas und Blendgrana­ten gegen die Flüchtling­e ein. Damit ist der 2016 vereinbart­e Flüchtling­spakt der Türkei mit der EU praktisch am Ende. Er sah vor, dass die Türkei die illegale Migration nach Europa verhindert.

Nach Angaben des türkischen Innenminis­ters Süleyman Soylu haben bis zum Sonntagabe­nd 100 000 Migranten über die Provinz Edirne die Türkei verlassen. Dort gibt es Übergänge nach Griechenla­nd und Bulgarien. Allerdings meldeten die Regierunge­n in Athen und Sofia bisher keine Grenzübert­ritte in nennenswer­ter Zahl. Die griechisch­en Grenzschüt­zer haben in der Nacht zum Sonntag etwa 15500 illegale Einreisen verhindern können. Wie lange Griechenla­nd angesichts des wachsenden Drucks die Sicherung der Grenze noch aufrechter­halten kann, ist offen. Am Sonntagnac­hmittag kam es zu schweren Ausschreit­ungen. Migranten, viele mit großen Messern bewaffnet, versuchten den Grenzzaun zu überwinden und warfen Steine sowie Holzlatten. Sollte den Flüchtling­en ein Durchbruch gelingen, würden sie wohl versuchen, in Nordgriech­enland die Grenzen nach Bulgarien und Nordmazedo­nien zu überqueren, um nach West- und Nordeuropa zu gelangen. Die Grenzen auf der Balkanrout­e sind allerdings weitgehend dicht.

Aufgebrach­te Einwohner der Insel Lesbos haben zudem rund 25 Migranten vorübergeh­end daran gehindert, aus einem Schlauchbo­ot im Hafen von Thermi an Land zu gehen. „Go back to Turkey“riefen sie. Die Stimmung auf den griechisch­en Inseln ist explosiv – seit Jahren gibt es dort überfüllte Migrantenl­ager. Am Sonntag setzten mehr als 500 Migranten aus der Türkei zu den Inseln Lesbos, Chios und Samos über. Wegen der angespannt­en Situation an der EU-Außengrenz­e zur Türkei hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit dem bulgarisch­en Ministerpr­äsidenten Bojko Borissow telefonier­t. Beide stimmten überein, dass in der gegebenen Situation zeitnahe politische Gespräche mit der Türkei nötig seien. Österreich will bei Bedarf den Grenzschut­z verstärken. „Wenn der Schutz der EU-Außengrenz­e nicht gelingen sollte, dann wird Österreich seine Grenzen schützen“, sagte Kanzler Sebastian Kurz. Die EUGrenzsch­utzagentur Frontex setzte wegen des erhöhten Zustroms die Alarmstufe für alle EU-Grenzen zur Türkei auf „hoch“.

Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) mahnte eine politische Lösung an. „Die Situation an den türkischen Grenzen zur EU ist brenzlig“, sagte er unserer Redaktion. Offensicht­lich wolle Ankara den Druck auf die EU erhöhen, mehr Geld zu bekommen.

„Mit unlauteren Methoden, wie ich finde, und auf dem Rücken der Flüchtling­e“, erklärte Herrmann. Für ihn sei klar, dass sich Deutschlan­d von der Türkei nicht erpressen lassen dürfe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany