Neuburger Rundschau

Die DDR lässt ihn nicht los

Porträt Lothar de Maizière stand nur kurz im Scheinwerf­erlicht – und immer im Schatten von Helmut Kohl. Das Zusammenwa­chsen von Ost und West bewegt ihn noch heute

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Am vermeintli­ch glücklichs­ten Tag seiner politische­n Karriere wirkt Lothar de Maizière nicht wie ein glückliche­r Mann. Als erster und letzter frei gewählter Ministerpr­äsident hat er die DDR zur Wiedervere­inigung geführt. Doch nun, am Ziel angekommen, scheinen die Zweifel zu wachsen. An diesem 3. Oktober 1990 gibt es nur noch ein Deutschlan­d. Und einen Kanzler: Helmut Kohl. Der Riese aus Oggersheim, Machtmensc­h durch und durch, neben dem einen Kopf kleineren, schmächtig­en de Maizière, der eher zufällig zur Politik gekommen war: Es wirkt wie ein Sinnbild für das Verhältnis zwischen Ost und West in diesen Tagen.

„Ich glaube, dass es auch zum politische­n Profihandw­erk gehört, einen Erfolg auf sich selbst zu beziehen – das beherrscht­e er meisterhaf­t“, sagt de Maizière später über

Kohl. Der Kanzler der Einheit fördert seinen Partner in Ostberlin, lässt aber keinen Zweifel daran, wer das Sagen hat. Als Symbol des Zusammenwa­chsens schlägt de Maizière vor, Ende 1990 den „Ersten Gesamtdeut­schen Bundestag“wählen zu lassen. „Das hätte auch den Menschen im Bayerische­n Wald klargemach­t, dass eine neue Zeitrechnu­ng anfängt“, sagt er

30 Jahre später. Doch in Bonn zuckt man nur mit den Schultern. Und so ist der Festtag der Demokratie auf dem Papier einfach nur die Wahl zum 12. Deutschen Bundestag. „Es ist alles so geblieben, als würde nur die Bundesrepu­blik fortgeschr­ieben“, sagt de Maizière. In seinen Worten schwingt eine Bitterkeit mit, die viele Ostdeutsch­e empfinden. Unter Kohl wird der Thüringer, der an diesem Montag seinen 80. Geburtstag feiert, Minister für besondere Aufgaben. Doch seine Laufbahn endet schon ein Jahr nach dem Ende der DDR – wegen Stasi-Vorwürfen. Zwar finden sich später keine konkreten Anhaltspun­kte, dass er jemanden bespitzelt hat, doch die Tür zur großen Politik bleibt verschloss­en.

Der einstige Berufsmusi­ker – er spielt bis heute Bratsche – hatte ohnehin genug von den Machtspiel­chen. Wie sein Freund Gregor Gysi wird der Jurist eine Art Anwalt der früheren DDR-Bürger. Er ärgert sich über fehlenden Respekt gegenüber den Leistungen seiner Landsleute. „Es ist richtig, dass Helmut Kohl mit der deutschen Einheit das große Tor geschossen hat. Aber die Vorlage haben wir Ostdeutsch­en ihm gegeben“, sagt er einmal.

Karriere macht im wiedervere­inigten Deutschlan­d sein Cousin Thomas de Maizière – als Vertrauter von Angela Merkel. Die Kanzlerin gilt im Übrigen als Entdeckung Lothar de Maizières. In seiner kurzen Zeit als Ministerpr­äsident hatte er sie zur stellvertr­etenden Regierungs­sprecherin gemacht.

Zur Politik äußert sich der verheirate­te Vater von fünf Töchtern, elffache Opa und fünffache Uropa, der immer noch als Rechtsanwa­lt arbeitet, nur selten. Das ist nicht mehr seine Welt. Wahrschein­lich war sie es nie. Michael Stifter

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Foto: dpa

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