Neuburger Rundschau

Hightech und Handarbeit

Unternehme­n aus der Region Technische Produkte, Schmuck und funkelnde Glassteine: Die Betriebe der Gablonzer Industrie eint ihre Vielfalt – und eine bewegte Geschichte

- VON ALEXANDER VUCKO

Kaufbeuren Schmuck, den einst die Diven Sophia Loren und Marlene Dietrich schätzten. Knöpfe für die Kollektion­en von Joop, Boss und Escada. Schneekuge­ln, die den stillen Zauber an Weihnachte­n betonen. Technische Teile und Baugruppen für nahezu alle industriel­len Branchen. Diese Produkte haben mitunter eine gemeinsame Herkunft. Sie werden in Betrieben der Gablonzer Industrie gefertigt, die bei Kaufbeuren angesiedel­t sind.

„Erfinderge­ist und die Suche nach innovative­n Lösungen sind seit jeher eng mit den Unternehme­n verbunden“, sagt Thomas Nölle, der Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes der Gablonzer Industrie, der den derzeit 65 Mitgliedsb­etrieben ein Dach gibt. Den Anfang dieses glänzenden Stücks Wirtschaft­sgeschicht­e im Allgäu markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs, als sich die ersten Vertrieben­en aus Gablonz an der Neiße im nordböhmis­chen Isergebirg­e (heute Tschechien) auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsf­abrik bei Kaufbeuren niederließ­en. Dort bauten die Unternehme­r die Industrie ihrer Heimat wieder auf. Der Grundstein des späteren Kaufbeurer Stadtteils Neugablonz.

Damals griffen die Handwerker sogar auf die innen goldfarben­en Dosen der Amerikaner vom Fliegerhor­st zurück. Das Blech sei teilweise mit Handschere­n zugeschnit­ten und verarbeite­t worden, erzählt man sich noch heute – nicht ohne Stolz auf die Aufbauleis­tung. Offenbar haben sich die Unternehme­r, die ihre Betriebe im Allgäu nun mitunter in dritter und vierter Generation führen, etwas von den alten Tugenden erhalten. Gebürtige Gablonzer wie der geniale Konstrukte­ur Ferdinand Porsche und der Pionier der industriel­len Glasbearbe­itung, Daniel Swarovski, machten es vor.

Die immer wiederkehr­ende Frage nach dem, wofür die Unternehme­n eigentlich stehen, lässt sich angesichts der ungewöhnli­ch breiten Produktpal­ette aber nicht eindeutig

Denn es gibt unterschie­dliche Wahrnehmun­gen. Glasperlen, Strass, Cabouchons, Colliers, Broschen und Ohrringe prägen seit jeher den Ruf der Gablonzer Industrie, die vor dem Krieg in unvorstell­baren Mengen mit der „Gablonz“, einem Linienschi­ff der österreich­ischen Lloyd, auf der Strecke Triest–Bombay nach Indien gebracht wurden. Konzerne schätzen den Firmenverb­und heute als bedeutende­n Zulieferer für technische Komponente­n und Baugruppen. „In etlichen Betrieben finden sich die beiden Hauptgesch­äftsfelder Schmuck und Technik nach wie vor unter einem Dach“, sagt Nölle.

Globalisie­rung, weltweite Billigkonk­urrenz, Konjunktur­flauten, aber auch hausgemach­te Probleme und Nachfolges­orgen setzten und setzen zwar auch der Gablonzer Industrie zu. Die Zahl der Betriebe ist in Jahrzehnte­n geschrumpf­t. Die Umsatzzahl­en aller Mitglieder summierten sich für 2018 jedoch auf 263 Millionen Euro, was einem Plus von 1,3 Prozent zum Vorjahr entspricht. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor. Jedes Jahr gilt laut Thomas Hübner, einer der drei Verbandsch­efs, dass sich die Unternehme­n auch beim Umsatz eben nicht über einen Kamm scheren lassen. Der Grund: Die beiden Hauptgesch­äftsfelder Technik (ein Umsatzplus von 1,6 Prozent in 2018) und Schmuck (minus 3,6 Prozent in 2018) entwickeln sich zunehmend unterschie­dlich. Gerade im technische­n Bereich sind zudem wenige große Unternehme­n die „Umsatzbrin­ger“: Zwei

Drittel des Gesamterlö­ses entfallen heute auf deren Produkte. Ein Wandel, der laut Nölle zu wenig Anerkennun­g findet.

Es mag Zufall sein, aber die drei Vorstandsv­orsitzende­n Thomas Hübner, Peter E. Seibt und Wolfgang Schnabel stehen mit ihren Unternehme­n genau für diesen Facettenre­ichtum und die lange Geschichte der Industrie. Hübner führt einen Spezialbet­rieb für Kunststoff­spritzguss, Werkzeugba­u und Galvanik mit 200 Mitarbeite­rn in Marktoberd­orf (Ostallgäu). Abnehmer der hergestell­ten und verchromte­n Bauteile sind die Autoindust­rie ebenso wie Hersteller von Sanitär- und Konsumprod­ukten. „Wir sind breit aufgestell­t, das ist uns wichtig“, sagt Hübner. Kürzlich wurden mehr als zehn Millionen Euro in moderne Technologi­e und einen neuen Firmenkomp­lex investiert. Begonnen hatte das Unternehme­n vor fast 100 Jahren – ganz klassisch mit der Herstellun­g von Schmuckwar­en.

Seibt und sein Unternehme­n Friedrich Seibt Glaswarenf­abrikation stehen für die vielen kleineren Produzente­n von Schmuck und schmückend­en Komponente­n. Fünf Mitarbeite­r fertigen dort Knöpfe, Steine und Perlen aus Glas bis hin zu fertigen Schmuckstü­cken – Produkte, die sich laut Seibt oft auch in der Haute Couture wiederfind­en. Glasbeantw­orten. linsen aus dem Neugablonz­er Betrieb werden ebenso in technische­n Produkten verbaut. Stolz ist Seibt, dass in seinem 1929 gegründete­n Betrieb die traditione­lle Tätigkeit der Glasfabrik­ation ausgeübt wird – eine Technik in einer Welt aus Feuer und Formen, die nicht mehr viele Mitarbeite­r beherrsche­n. Dennoch betont der Unternehme­r: „Wir befassen uns nicht mit der Vergangenh­eit, sondern mit Gegenwart und Zukunft.“

In Japan zieren Stocknägel mit Bayern-Motiven die Wanderstäb­e, das Charivari kommt bei den Amerikaner­n gut an, und die Barthülsen finden auch in Australien Absatz: Lieferant ist das Unternehme­n Artur Schnabel, das auf die Herstellun­g von Metallpräg­ungen, Schleuderg­uss, industriel­len Handbemalu­ngen sowie Zinnminiat­uren spezialisi­ert ist. Kunden treffen im Sortiment auf den Märchenkön­ig als Figur in einem königlich-bayerische­n Schach. Oder auf die erste deutsche Eisenbahn, die Adler, als fahrbares H0-Modell. „Wir legen vor allem auf naturgetre­ue Darstellun­gen Wert“, sagt Firmenchef Wolfgang Schnabel. „In Deutschlan­d als Herstellun­gsort besetzen wir eine Nische.“40000 Muster für Hut-, Trachten- und Modeschmuc­k sowie Souvenirs aus der 115-jährigen Geschichte lagern in den Schubladen der Firma mit ihrer 15-köpfigen Belegschaf­t.

Mit insgesamt 1300 Mitarbeite­rn in den Unternehme­n, hunderten von Heimarbeit­ern, einem großen Ausbildung­sangebot und zahllosen internatio­nalen Beziehunge­n gehöre die Gablonzer Industrie auch heute zu den wichtigste­n Wirtschaft­sfaktoren in der Region, sagt Verbandsge­schäftsfüh­rer Thomas Nölle. Darüber hinaus gebe es weitere Betriebe, die nicht Mitglieder sind, aber der Gablonzer Industrie zugerechne­t werden oder dieser entspringe­n. Eng verbunden seien viele Unternehme­r mit der einzigarti­gen Staatliche­n Berufsfach­schule für Glas und Schmuck in Neugablonz und dem Isergebirg­smuseum in der Nachbarsch­aft, das 400 Jahre deutsche Kultur und Industrie in Nordböhmen, die Vertreibun­g und den Neubeginn in Neugablonz dokumentie­rt.

Die Bedeutung für die Region ist immer noch sehr groß

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Fotos: Mathias Wild Der Stolz der Gablonzer Industrie zeigt sich auch in der Erlebnisau­sstellung in Kaufbeuren-Neugablonz: Dort stehen hinter einer Vitrine die Vorstandsv­orsitzende­n des Bundesverb­andes Thomas Hübner, Peter E. Seibt und Wolfgang Schnabel (von links).
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