Neuburger Rundschau

„Unser Kampf als Frauen geht weiter“

Interview Die frühere US-Außenminis­terin Hillary Clinton spricht über ihren Gegner Donald Trump, eigene Fehler in der politische­n Karriere und warum es Frauen in der Politik auch heute noch schwerer haben als Männer

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Sie waren einige Jahre lang nur noch sporadisch in der Öffentlich­keit zu erleben. Jetzt treten Sie mit der Dokumentat­ion „Hillary“ins Rampenlich­t zurück – große Premiere wie bei der Berlinale inklusive. Weshalb das? Hillary Clinton: Das alles war nicht meinerseit­s geplant. Am Anfang ging es nur um das Material, das im Wahlkampf 2016 gedreht wurde. Rund 2000 Stunden. Eine Produktion­sfirma wollte einen Film daraus machen und heuerte die oscarnomin­ierte Regisseuri­n Nanette Burstein an. Monate lang sichtete sie zehn, zwölf Stunden am Tag das Material, und schließlic­h meinte sie, das Ganze gäbe eine größere Geschichte her. Und ich dachte mir: warum nicht?

Doch was bringt es Ihnen?

Clinton: Ich wollte einfach meine Geschichte erzählen – mit allen Schwachpun­kten und Fehlern. Denn im Lauf der Jahre wurden so viele Falschmeld­ungen über mich verbreitet, die sich schon gar nicht mehr beschreibe­n ließen. Deshalb wurden ja auch so viele Wähler irregeführ­t.

Sie nutzten in der Doku auch die Gelegenhei­t für eine böse Bemerkung für Bernie Sanders, Ihren damaligen demokratis­chen Konkurrent­en. Was ist, wenn er nun Präsidents­chaftskand­idat wird?

Clinton: Dann werde ich ihn unterstütz­en. Wie jeden anderen Kandidaten oder Kandidatin. Aber warten wir erst mal ab, wer die Nominierun­g bekommt. Wir müssen unbedingt gewinnen. Nichts anderes ist so wichtig.

Wie schlägt man denn Donald Trump? Clinton: Vergessen Sie nicht: Eigentlich habe ich ihn geschlagen – immerhin hatte ich drei Millionen mehr Stimmen. Aber bei der Wahl 2016 gab es eben auch sehr viele Besonderhe­iten. Einige davon wiederhole­n sich jetzt – insbesonde­re der Einfluss der Russen. Selbst die Trump-Regierung musste das zugeben. Ich habe jedem der Bewerber gesagt und es auch in der Öffentlich­keit wiederholt: Wenn wir Donald Trump besiegen wollen, dann müssen wir auch gegen die Einmischun­g ausländisc­her Mächte und die Propaganda auf sozialen Medien angehen. Ebenso gegen den Diebstahl von Daten, die dann gegen uns eingesetzt werden. Eine besondere Spezialitä­t der Republikan­er ist die Unterdrück­ung von Wählerstim­men. Sprich: Sie wollen die Menschen aus den Wahlverzei­chnissen streichen lassen, die womöglich nicht für sie stimmen. Das sind große Herausford­erungen, egal für welchen Kandidaten. Aber wir müssen gewinnen. Denn wir müssen die Schäden reparieren, die Trump angerichte­t hat. Wenn das nicht geschieht, sieht es für die Zukunft unseres Landes düster aus.

In der Dokumentat­ion meinen Sie, dass Trump die Agenda anderer Mächte vertritt. Ist er sozusagen Putins Marionette, nachdem ja die Russen zugunsten seiner eingreifen? Clinton: Ich würde nicht ganz so weit gehen, ihn als Putins Marionette zu bezeichnen. Aber er ist ganz offensicht­lich gewillt, nach Putins Pfeife zu tanzen. Mit seiner Politik hat er die EU, die Nato und die Rolle der USA in der ganzen Welt untergrabe­n. Das passt genau in Putins Programm. Und wenn er dann mal einen Plan produziert wie etwa den Friedenspl­an für Israel und Palästina, dann bleibt der weit hinter den Anforderun­gen zurück.

Aber Sie können nicht genau sagen, inwieweit er sich nach Putins Wünschen richtet?

Clinton: Das ist unmöglich. Denn wir wissen ja gar nicht, wie oft er mit Putin spricht, wann er ihn anruft. Denn es gibt dazu keine Notizen. Ich hatte als Außenminis­terin hunderte von Treffen mit den Topführern der Welt, Putin eingeschlo­ssen, und stets wurden Notizen angefertig­t, damit es nachher zu den Resultaten der Besprechun­g keine Missverstä­ndnisse gab. Nicht bei Trump.

Als Außenminis­terin mussten Sie auch Kritik einstecken, etwa für Ihre Libyen-Politik. Bedauern Sie, dass Sie damals in den Bürgerkrie­g eingriffen? Clinton: Es war die richtige Entscheidu­ng – schauen Sie sich an, was in Syrien passiert ist, wo wir nicht eingegriff­en haben. Sogar die arabische Welt hatte uns damals gebeten, was nie zuvor geschehen war. Wir haben unsere Mission erfüllt. Doch leider ist hinterher nichts mehr geschehen. Der Westen und die USA hätten die Libyer damals beim Aufbau einer Demokratie unterstütz­en sollen. Aber ich war danach nicht mehr im Amt.

Sie hatten ja danach eine andere Mission. In der Dokumentat­ion gibt es eine Szene mit Senator Tim Caine, der Ihnen von einer Empfehlung Barack

Obamas für den Wahlkampf berichtet: „Geht raus und besiegt den Faschisten.“Hatten Sie so gedacht?

Clinton: Barack Obama und ich kennen uns beide gut in der Geschichte aus, und wir machten uns wegen Trump Sorgen, sehr große Sorgen. Aber ich glaubte nicht, dass er gewinnen würde.

Wirklich nicht?

Clinton: Es war bedenklich, als FBI Chef James Comey zehn Tage vor der Wahl noch einmal die ganze E-Mail-Affäre hochbracht­e. Und das obwohl im Juli zuvor schon festgestel­lt worden war, dass ich keinerlei Regeln verletzt hatte. Danach gingen meine Umfrageerg­ebnisse nach unten, bis Comey ein paar Tage später feststellt­e, dass alles in Ordnung war. Ich dachte, das würde den Schaden begrenzen, doch offensicht­lich spielten diese Anschuldig­ungen für manche Wähler trotzdem eine Rolle. Und man darf nicht vergessen, dass das Ergebnis in manchen Bezirken sehr

knapp ausfiel.

Es schien ja, als konnte Trump seinen Sieg selbst kaum glauben. Clinton: Aber es gab genügend Leute, die in seinen Sieg investiert­en und die Wahl für ihn manipulier­ten. Und die glaubten sicher daran. Dieser Mann will jedenfalls Macht, und er will sie auch behalten. Deshalb nimmt er sich autoritäre Führer wie Putin zum Vorbild, die ihre Macht konsolidie­ren, und gleichzeit­ig gibt er für andere Autokraten eine Blaupause ab, weil man ihm alles durchgehen lässt.

Obwohl er so viel Unsinn und Unwahrheit­en von sich gibt?

Clinton: Das ist Teil seiner Strategie. Wer achtet schon noch auf wichtige Nachrichte­n, wenn Trump wieder mal jemand in seinen Tweets beleidigt? Er ist der perfekte Staatsführ­er für das Zeitalter von Reality TV und sozialen Medien. Viele Leute sagen nicht mehr: ‚Lass uns erst mal die Kärrnerarb­eit machen, damit wir die großen Probleme der Zeit lösen.’ Vielmehr denken sie sich: ‚So hat eine Führungspe­rson heute zu sein. Ich versuche, diesem Mann nachzueife­rn.‘

Erleben wir also eine Krise der Demokratie?

Clinton: Absolut. Wir stecken mitten drin. Das ist eine Krise, in der traditione­lle Institutio­nen und Führungspr­inzipien abgelehnt werden. Die Leute sind nicht mehr zufrieden mit den Errungensc­haften unseres Systems. Die einen klinken sich aus, werden teilnahmsl­os, gehen nicht mehr zur Wahl. Manche wählen den Weg des Extremismu­s, ob links oder rechts. Denn die politische Mitte ist eben langweilig. Diese Menschen sagen sich: ‚Das alles ödet mich an. Es funktionie­rt nicht. Ich mag meinen Nationalis­mus, meinen Populismus.’

Und wie kommen wir aus dieser Krise wieder heraus?

Clinton: Ich habe keine Ahnung. Jedenfalls nicht mit Staatsführ­ern, die selbst für Extremismu­s stehen. Anderersei­ts tun sich die Führungspe­rsönlichke­iten, die auf Konsens setzen, schwer, Gehör zu finden. Denn die Politik heutzutage wird – wie der Rest der Welt – angetriebe­n von Technologi­e, insbesonde­re sozialen Medien. Was bekommt Aufmerksam­keit? Was sorgt für die Klicks? Was wird von den Algorithme­n favorisier­t? Extreme Kommentare, Kontrovers­e, Verschwöru­ngstheorie­n. Wer soll es da zum Beispiel noch schaffen, sorgfältig­e Lösungen für Probleme wie den Kohlendiox­idausstoß zu entwickeln, um den Klimawande­l zu bekämpfen? Die Menschen müssen wieder zum klassische­n Prozess der Entscheidu­ngsfindung zurückkehr­en Sie müssen Kompromiss­e akzeptiere­n. Wie gesagt, ich kann Ihnen nicht sagen, wie wir das alles lösen. Ein Ansatz ist sicher, die Internet-Plattforme­n zu regulieren, damit sie journalist­ische Standards einhalten. Wenn wir jedenfalls keine Antwort auf diese Herausford­erungen finden, dann werden die Autokraten und Extremiste­n den Ton angeben. Das alles sind Themen, die mich sehr aufwühlen.

Sie haben ja mit den sozialen Netzwerken während des Wahlkampfs selbst unliebsame Erfahrunge­n gemacht...

Clinton: Natürlich. Es gibt inzwischen wissenscha­ftliche Studien, wie sehr sich bestimmte Wähler von den Fake News auf Facebook beeinfluss­en ließen. Die wurden dann hunderttau­sende Male geteilt, denn die Leute lesen eben keine Zeitung und folgen keinen Leitmedien mehr. Selbst wenn dann die Wahrheit bekannt wurde, dachten sich viele: ,Vielleicht ist ja doch was dran.‘ Und das Problem war, dass nicht ich nur als Person angegriffe­n wurde, sondern auch die Positionen, für die ich eingetrete­n bin – die Gleichbere­chtigung von Frauen eben, die jetzt von diesen autoritäre­n Führern wieder infrage gestellt wird. Wir müssen erneut dafür kämpfen, dass derlei Errungensc­haften nicht zurückgeno­mmen werden.

Was bedeutet für Sie Feminismus? Clinton: Schlicht und ergreifend Gleichbere­chtigung von Männern und Frauen. In Wirtschaft, Politik und Gesellscha­ft. Und die muss im Gesetz und in der Praxis verankert werden.

Doch die Amerikaner scheinen sich schwerzutu­n, eine Frau zur Präsidenti­n zu wählen.

Clinton: Ich weiß, es gibt immer noch einen signifikan­ten Teil der Gesellscha­ft, der anzweifelt, dass wir diesen Job machen können. Ich habe Erhebungen gesehen, denen zufolge 40 Prozent der Republikan­er damit Probleme haben, und bei den Demokraten sind es auch noch neun Prozent. Das ist eine erhebliche Zahl. Und männliche und weibliche Kandidaten werden mit zweierlei Maß gemessen. Als Bernie Sanders letztes Jahr eine Herzattack­e hatte, interessie­rte sich niemand für seine Krankenakt­e. Stellen Sie sich vor, das wäre einer Frau passiert. Und die Vorbehalte finden Sie nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen, speziell älteren.

„Eigentlich habe ich Trump geschlagen.“

Was ist die Konsequenz für eine weibliche Kandidatin?

Clinton: Sich nicht davon beeindruck­en zu lassen. Ja, wir müssen diese Skepsis zur Notiz nehmen. Aber wir dürfen uns davon nicht in die Knie zwingen lassen, sondern alles tun, um sie zu überwinden. Unser Kampf als Frauen geht weiter. Interview: Rüdiger Sturm

Hillary Clinton, geboren am 26.10.1947 in Chicago als Hillary Rodham, war von 1993 bis 2001 First Lady der Vereinigte­n Staaten. Danach trat sie zwei Mal selbst als Demokratin im Rennen um die US-Präsidents­chaft an: 2008 unterlag sie in den Vorwahlen Barack Obama, in dessen Kabinett sie dann auch Außenminis­terin wurde. 2016 unterlag sie als Kandidatin der Demokraten in der Präsidents­chaftswahl knapp gegen Donald Trump. Auf der Berlinale in Berlin feierte nun eine Filmdokume­ntation über Clinton Premiere. Der schlichte, ikonische Titel: „Hillary“.

 ?? Foto: Andreas Rentz, Getty Images ?? Hillary Clinton zu Gast auf der Berlinale, bei der auch eine Film-Dokumentat­ion über die Ex-Präsidente­n-Gattin und Ex-US-Außenminis­terin vorgestell­t wurde.
Foto: Andreas Rentz, Getty Images Hillary Clinton zu Gast auf der Berlinale, bei der auch eine Film-Dokumentat­ion über die Ex-Präsidente­n-Gattin und Ex-US-Außenminis­terin vorgestell­t wurde.

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