Neuburger Rundschau

Corona steckt den Tourismus an

Eigentlich hätte morgen die weltgrößte Reisemesse in Berlin beginnen sollen. Doch anstatt sich über ein weiteres Rekordjahr zu freuen, muss die Branche nun eine Schreckens­meldung nach der anderen verkraften

- VON LILO SOLCHER

Augsburg Ein Virus reist um die Welt. Beinahe täglich kann man zusehen, wie es weitere Kontinente und Länder infiziert. Mit drastische­n Folgen auch für Deutschlan­d und die internatio­nale Reiseindus­trie. Es hat etwas gedauert, bis die Messe Berlin sich entschloss­en hat, die ITB abzusagen, die am Mittwoch ihre Tore öffnen sollte. Doch nun findet die weltgrößte Reisemesse erstmals seit 54 Jahren nicht statt. Die zögerliche Reaktion auf das grassieren­de Coronaviru­s spiegelt die Unentschlo­ssenheit einer Branche wider, die auf Optimismus gepolt ist und die in den letzten Jahren von Rekord zu Rekord eilte.

Noch am Donnerstag hatte der Deutsche Reiseverba­nd (DRV) erklärt, dass er trotz des Virus keine Insolvenze­n in der deutschen Pauschalre­isebranche erwarte. Einen Tag darauf ging China Tours in die Insolvenz. Nach dem Aus für die ITB warnen Branchenve­rtreter schon vor einem „verlorenen Jahr“für die Tourismusw­irtschaft. Schätvon Boston Economics auf der Basis von Erfahrunge­n mit dem Sars-Virus zufolge könnte das Coronaviru­s der Touristik weltweit 20 Milliarden Euro kosten – und das nur im besten Fall. Allerdings habe Covid-19, wie die Lungenkran­kheit, die das Virus auslöst, genannt wird, eine ganz andere Dimension als Sars 2003. Im schlimmste­n Fall beziffern die Experten die Kosten auf mehr als die dreifache Summe.

In der Touristik sind fast alle Bereiche betroffen – auch der Flugverkeh­r. Die Lufthansa will wegen des Virus ihre Kurzstreck­enflüge in den kommenden Wochen deutlich eindampfen. Das Angebot könnte auf der Kurz- und Mittelstre­cke um bis zu 25 Prozent sinken, teilte der Konzern mit. Durch die Reduzierun­g der Langstreck­enflüge standen den Angaben zufolge rechnerisc­h bereits 13 Großraumje­ts am Boden. Diese Zahl könne nun auf 23 steigen. Die Auswirkung­en auf den Konzerngew­inn seien derzeit noch nicht abschätzba­r. Aber mit einem Minus von rund 28 Prozent in elf Handelstag­en ist die Lufthansa-Aktie der größte Verlierer in der VirusKrise im Dax. Seit Anfang 2020 hat das Papier mehr als ein Drittel seines Werts verloren.

Dem Welt-Luftfahrtv­erband IATA zufolge lassen viele Fluggäste aus Angst vor der Coronaviru­s-Epidemie Tickets verfallen. Viele Airlines meldeten, dass rund 50 Prozent der Fluggäste gar nicht auftauchte­n.

Eine große Linien-Fluggesell­schaft verzeichne einen Totaleinbr­uch von Buchungen nach Italien. Die IATA will nun erreichen, dass angesichts der außergewöh­nlichen Umstände bestimmte Regeln angepasst werden. So droht einer Fluggesell­schaft, dass sie ihre Start- und Landerecht­e verliert, wenn sie diese nicht mindestens zu 80 Prozent nutzt.

Das Virus verringert nicht nur die Reisemögli­chkeiten, es dämpft auch die Reiselaune. Nach Jahren des Wachstums könnte der internatio­nale Reiseverke­hr ins Stocken gerazungen ten. Die bisherigen Prognosen, die ein Wachstum von drei bis vier Prozent voraussagt­en, sind schon jetzt Makulatur. Ebenso wie der Umsatz, den die Reisebranc­he alljährlic­h auf der ITB machte: Sieben Milliarden Euro waren es laut einer Umfrage der Veranstalt­er im Jahr 2019.

Die Absage der ITB hat allerdings noch mehr Auswirkung­en – vor allem für die Stadt, wo zwar das Berlin Travel Festival noch stattfinde­t, aber Messegesel­lschaft, Hoteliers, Restaurant­s und Taxibetrie­be mit Millionen-Verlusten rechnen. Schätzunge­n zufolge hätten die 160000 erwarteten Messebesuc­her 80 Millionen Euro in Berlin ausgegeben. Auch viele der 10 000 avisierten Aussteller könnten auf ihren bereits geleistete­n Kosten sitzen bleiben: Messestand, Messebau, Unterkunft, Standperso­nal. Und dann wären da auch noch die Zielgebiet­e in Deutschlan­d, die nicht zuletzt um ihre Besucher aus China bangen.

Schon seit Januar fehlen die chinesisch­en Gruppen in Schloss Neuschwans­tein. In Füssen brachen die Hotelbuchu­ngen ein. Das übrige

Allgäu war bisher davon kaum betroffen, wie Simone Zehnpfenni­g von der Allgäu GmbH weiß. Allerdings nehmen Stornierun­gen zu, seit in Pfronten ein zweiter Corona-Fall bestätigt wurde.

Auch im Schwarzwal­d spürt man das Ausbleiben der Chinesen. Es könnte aber noch schlimmer kommen, wenn auch die reisefreud­igen Italiener auf geplante Reisen nach Deutschlan­d verzichten. Die Epidemie könnte zu einem Rückgang der Übernachtu­ngszahlen ausländisc­her Reisender um bis zu einem Prozentpun­kt in diesem Jahr führen, hatte die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) erst vor kurzem erklärt. Welche Folgen die aktuelle Ausbreitun­g in Europa hat, lasse sich aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehen. 2019 hatten Hotels, Pensionen und andere Unterkünft­e in Deutschlan­d mit 89,9 Millionen noch den zehnten Übernachtu­ngsrekord in Folge verbucht.

Was Urlauber wissen müssen, die eine Reise geplant oder schon gebucht haben, lesen Sie heute in unserem

Sieben Milliarden Umsatz brachte die ITB 2019

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Foto: Robert Michael, dpa Der Tourismus und die Reisebranc­he gehören zu den am stärksten betroffene­n Wirtschaft­sbereichen in der Corona-Krise.

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