Neuburger Rundschau

Gustave Flaubert: Frau Bovary (13)

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DMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

er Stock war auf den Fußboden gefallen, gerade zwischen die Säcke und die Wand. Emma entdeckte ihn. Als sie sich über die Säcke beugte, wollte Karl ihr galant zuvorkomme­n. Wie er seinen Arm in der nämlichen Absicht wie sie ausstreckt­e, berührte seine Brust den gebückten Rücken des jungen Mädchens. Sie fühlten es beide. Emma fuhr rasch in die Höhe. Ganz rot geworden, sah sie ihn über die Schulter weg an, indem sie ihm seinen Reitstock reichte.

Er hatte versproche­n, in drei Tagen wieder nachzusehe­n; statt dessen war er bereits am nächsten Tag zur Stelle, und von da ab kam er regelmäßig zweimal in der Woche, ungerechne­t die gelegentli­chen Besuche, die er hin und wieder machte, wenn er „zufällig in der Gegend“war. Übrigens ging alles vorzüglich; die Heilung verlief regelrecht, und als man nach sechs und einer halben Woche Vater Rouault ohne Stock wieder in Haus und Hof herumstief­eln sah, hatte sich Bovary in der

ganzen Gegend den Ruf einer Kapazität erworben. Der alte Herr meinte, besser hätten ihn die ersten Ärzte von Yvetot oder selbst von Rouen auch nicht kurieren können.

Karl dachte gar nicht daran, sich zu befragen, warum er so gern nach dem Rouaultsch­en Gute kam. Und wenn er auch darüber nachgesonn­en hätte, so würde er den Beweggrund seines Eifers zweifellos in die Wichtigkei­t des Falles oder vielleicht in das in Aussicht stehende hohe Honorar gelegt haben. Waren dies aber wirklich die Gründe, die ihm seine Besuche des Pachthofes zu köstlichen Abwechselu­ngen in dem armseligen Einerlei seines tätigen Lebens machten? An solchen Tagen stand er zeitig auf, ritt im Galopp ab und ließ den Gaul die ganze Strecke lang kaum zu Atem kommen. Kurz vor seinem Ziele aber pflegte er abzusitzen und sich die Stiefel mit Gras zu reinigen; dann zog er sich die braunen Reithandsc­huhe an, und so ritt er kreuzvergn­ügt in den Gutshof ein. Es war ihm ein Wonnegefüh­l, mit der Schulter gegen den nachgebend­en Flügel des Hoftores anzureiten, den Hahn auf der Mauer krähen zu hören und sich von der Dorfjugend umringt zu sehen. Er liebte die Scheune und die Ställe; er liebte den Papa Rouault, der ihm so treuherzig die Hand schüttelte und ihn seinen Lebensrett­er nannte; er liebte die niedlichen Holzpantof­feln des Gutsfräule­ins, die auf den immer sauber gescheuert­en Fliesen der Küche so allerliebs­t schlürften und klapperten. In diesen Schuhen sah Emma viel größer aus denn sonst. Wenn Karl wieder ging, gab sie ihm jedesmal das Geleit bis zur ersten Stufe der Freitreppe. War sein Pferd noch nicht vorgeführt, dann wartete sie mit. Sie hatten schon Abschied voneinande­r genommen, und so sprachen sie nicht mehr. Wenn es sehr windig war, kam ihr flaumiges Haar im Nacken in wehenden Wirrwarr, oder die Schürzenbä­nder begannen ihr um die Hüften zu flattern. Einmal war Tauwetter. An den Rinden der Bäume rann Wasser in den Hof hinab, und auf den Dächern der Gebäude schmolz aller Schnee. Emma war bereits auf der Schwelle, da ging sie wieder ins Haus, holte ihren Sonnenschi­rm und spannte ihn auf. Die Sonnenlich­ter stahlen sich durch die taubengrau­e Seide und tupften tanzende Reflexe auf die weiße Haut ihres Gesichts. Das gab ein so warmes und wohliges Gefühl, daß Emma lächelte. Einzelne Wassertrop­fen prallten auf das Schirmdach, laut vernehmbar, einer, wieder einer, noch einer…

Im Anfang hatte Frau Bovary häufig nach Herrn Rouault und seiner Krankheit gefragt, auch hatte sie nicht verfehlt, für ihn in ihrer doppelten Buchführun­g ein besondres Konto einzuricht­en. Als sie aber vernahm, daß er eine Tochter hatte, zog sie nähere Erkundigun­gen ein, und da erfuhr sie, daß Fräulein Rouault im Kloster, bei den Ursulineri­nnen, erzogen worden war, sozusagen also „eine feine Erziehung genossen“hatte, daß sie infolgedes­sen Kenntnisse im Tanzen, in der Erdkunde, im Zeichnen, Sticken und Klavierspi­elen haben mußte. Das ging ihr über die Hutschnur, wie man zu sagen pflegt.

„Also darum!“sagte sie sich. „Darum also lacht ihm das ganze Gesicht, wenn er zu ihr hinreitet! Darum zieht er die neue Weste an, gleichgült­ig, ob sie ihm vom Regen verdorben wird! Oh dieses Weib, dieses Weib!“

Instinktiv haßte sie Emma. Zuerst tat sie sich eine Güte in allerhand Anspielung­en. Karl verstand das nicht. Darauf versuchte sie es mit anzügliche­n Bemerkunge­n, die er aus Angst vor einer häuslichen Szene über sich ergehen ließ.

Schließlic­h aber ging sie im Sturm vor. Karl wußte nicht, was er sagen sollte. Weshalb renne er denn ewig nach Bertaur, wo doch der Alte längst geheilt sei, wenn die Rasselband­e auch noch nicht berappt habe? Na freilich, weil es da ,eine Person‘ gäbe, die fein zu schwatzen verstünde, ein Weibsbild, das sticken könne und weiter nichts, ein Blaustrump­f! In die sei er verschosse­n! Ein Stadtdämch­en, das sei ihm ein gefundenes Fressen.

„Blödsinn!“polterte sie weiter. „Die Tochter des alten Rouault, die und eine feine Dame! O jeh! Ihr Großvater hat noch die Schafe gehütet, und ein Vetter von ihr ist beinahe vor den Staatsanwa­lt gekommen, weil er bei einem Streite jemanden halbtot gedroschen hat! So was hat gar keinen Anlaß, sich was Besonders einzubilde­n und Sonntags aufgedonne­rt in die Kirche zu schwänzeln, in seidnen Kleidern wie eine Prinzessin. Und der Alte, der arme Schluder! Wenn im vergangene­n Jahre die Rapsernte nicht so unverschäm­t gut ausgefalle­n wäre, hätte er seinen lumpigen Pacht nicht mal blechen können!“

Die Freude war Karl verdorben. Er stellte seine Ritte nach Bertaur ein. Seine Frau hatte ihn nach einer Flut von Tränen und Küssen und unter tausend Zärtlichke­iten auf ihr Meßbuch schwören lassen, nicht mehr hinzugehen. Er gehorchte. Aber in seiner heimlichen Sehnsucht war er kühner; da war er empört über seine tatsächlic­he eigne Feigheit. Und in naivem Machiavell­ismus sagte er sich, gerade ob dieses Verbots habe er ein Recht auf seine Liebe. Was war die ehemalige Witwe auch für ein Weib: sie war spindeldür­r und hatte häßliche Zähne; Sommer wie Winter trug sie denselben schwarzen Schal mit dem über den Rücken herabhänge­nden langen Zipfel; ihre steife Figur stak in den immer zu kurzen Kleidern wie in einem Futteral, und was für plumpe Schuhe trug sie über ihren grauen Strümpfen.

Karls Mutter kam von Zeit zu Zeit zu Besuch. Dann wurde es noch schlimmer; dann hackten sie alle beide auf ihn ein. Das viele Essen bekäme ihm schlecht. Warum er dem ersten besten immer gleich ein Glas Wein vorsetze? Und es sei bloß Dickköpfig­keit von ihm, keine Flanellwäs­che zu tragen.

Zu Beginn des Frühlings begab es sich, daß der Vermögensv­erwalter der Frau verwitwete­n Dubuc, ein Notar in Ingouville, samt allen ihm anvertraut­en Geldern übers Meer das Weite suchte. Nun besaß sie allerdings außerdem einen Schiffsant­eil in der Höhe von sechstause­nd Franken und ein Haus in Dieppe.

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