„Wir verlieren den Anstand“
Nach seiner gelungenen Premiere im vergangenen Jahr darf der Allgäuer Kabarettist Maximilian Schafroth erneut als Fastenprediger auf dem Nockherberg ran. Warum er nächsten Mittwoch lieber Gentleman als Agitator ist
Sie haben im vergangenen Jahr viel Lob für Ihre erste Rede als Fastenprediger auf dem Nockherberg bekommen. Ist das Ansporn oder Bürde? Maximilian Schafroth: Ansporn ist genug da. Es schauen knapp drei Millionen Zuschauer zu, und ich werde von Schleswig-Holstein bis in die Schweiz hinein auf diese Rede angesprochen. Natürlich strebe ich nach Perfektion für diese 45 Minuten, die müssen sitzen.
Wie müssen wir uns die Arbeit an der Rede vorstellen? Ziehen Sie sich ins stille Kämmerlein zurück und brüten sie dort aus?
Schafroth: Ich schreibe sehr viel im Wirtshaus. Das habe ich mir irgendwann mal so angewöhnt. Außerdem rede ich mit engen Freunden über meine Ideen. Dabei möchte ich auch wissen: Setze ich die richtigen Schwerpunkte? Ich überlege, was der thematische Bogen ist und wie ich die Menschen vor den Fernsehern und zugleich die Menschen im Saal erreiche.
Sie wurden gleich nach Ihrer Rede 2019 für 2020 verpflichtet. Fühlen Sie vor dem zweiten Auftritt kommende Woche schon so etwas wie Routine? Schafroth: Ich spüre eine adrenalinreiche Vorfreude. Manchmal wache ich nachts auf, weil mir etwas Lustiges über den Aiwanger einfällt. Der Zettel neben meinem Bett ist jeden Morgen vollgeschrieben. Ich kann aber nicht immer lesen, was draufsteht.
Haben Sie ein Jahr lang den Politikbetrieb und seine Hauptdarsteller mit der Derblecken-Brille betrachtet? Schafroth: Ich bin tatsächlich das ganze Jahr am Sammeln. Mein Umfeld merkt das, wenn ich in den Fragemodus komme. Dann höre ich Sätze wie: Sammelst du wieder für deine Rede? Manchmal arten Privatgespräche, etwa mit Landwirten, zu Interviews aus. Es macht mir Spaß, ein Gefühl für das zu bekommen, was Politik für den einzelnen bedeutet. Ich besuche Landtagssitzungen, unterhalte mich mit Gemeinderäten, ich war sogar in der Ottobeurer Bauausschuss-Sitzung. Ich glaub, die haben sich gewundert, warum. Ich hatte ja keinen Bauantrag gestellt.
Haben Sie einen Sparringspartner, mit dem Sie vorab über die Rede sprechen?
Schafroth: Tatsächlich ist die Arbeit an dieser Rede eher eine einsame, zumindest bis sie in groben Zügen steht. Dann fange ich an, mit meinem Mitautor Thomas Lienenlüke die Bälle hin- und herzuspielen. Gerade bei Inhalten, die ich nicht bei meinen Bühnenauftritten proben kann, ist es gut, eine Zweitmeinung zu haben.
Gibt es auch „Kontroll-Instanzen“, etwa die Paulaner-Brauerei? Schafroth: Eine Woche vor dem Nockherberg lese ich meine Rede den Verantwortlichen vor, den Redakteuren des Bayerischen Rundfunks und der Paulaner-Brauerei als Veranstalter. Da gab es 2019 keine Änderungswünsche, und wenn es 2020 welche gäbe, würde ich sie charmant überhören.
In der bayerischen Politik ist es im vergangenen Jahr vergleichsweise ruhig gewesen. Ist es schwierig, etwas Zündendes zum Derblecken zu finden? Schafroth: Das Aufgeregte in der Politik ist natürlich ein Zustand, den man sehr schön pointieren und beschreiben kann, es braucht teilweise gar keine Überhöhung mehr. Wenn es aber ruhig wird, dann ist es die Aufgabe, zu fragen: Warum seid ihr denn alle so ruhig geworden? Habt ihr was zu verbergen? Oder hat die Politik etwa gelernt, dass man mit Lautsprecherei mehr kaputt macht, als richtet? Das sind alles Fragen, die man sich als Fastenprediger stellen kann.
Verraten Sie uns, welche Antworten Sie gefunden haben?
Schafroth: Nein. Ich habe eine Schweigeklausel unterschrieben. Und im Gegensatz zum Scheuer Andi lese ich, was ich unterschreibe.
Verraten Sie wenigstens, welche Politiker Sie ins Visier nehmen? Schafroth: Da habe ich grad schon einen Hinweis gegeben. Natürlich die üblichen Verdächtigen. Aber ich versuch die ganze Zeit, noch irgendwo den Miller Josef unterzubringen. Wenn man gar nicht mehr erwähnt wird, ist das fürs Politiker-Ego auch nicht förderlich.
Sie wurden im vergangenen Jahr auch für Ihr verbindliches, wenig aggressives Derblecken gelobt. Claudia Roth von den Grünen pries die „liebevolle Allgäuer Art“. Werden Sie heuer andere Saiten aufziehen und die Politiker so richtig in die Pfanne hauen? Schafroth: Das würden vermutlich ein paar verärgerte Politiker und teils auch zu recht Verärgerte gern hören. Aber ich war in der Schule schon eher einer, der Schlägereien verhindert hat, als an ihnen teilzunehmen oder sie auszulösen. Es gibt einige Themen, die angegangen werden müssen. Und es ist wirklich frustrierend, dass sich in manchen Punkten nichts bewegt. Das muss ich klar benennen. Jedoch ist die Stimmung generell schon sehr aufgeheizt, wir verlieren den Anstand im Umgang miteinander. Da setz ich lieber ein Zeichen und bin Gentleman statt Agitator.
Gilt das auch für den bayerischen Ministerpräsidenten Söder? Der lobte Ihren Premieren-Auftritt in Superlativen.
Schafroth: Politiker sind Öffentlichkeitsprofis. Jeder, der um zwei Ecken denken kann, sagt natürlich: Das war eine super Rede. Damit kehrt er die Kritik unter den Teppich. Die Aufgabe ist: Nicht zugeben, dass man getroffen wurde. Der einzige, der das 2019 nicht hingekriegt hat, war Hubert Aiwanger. Das sagt ja auch was aus.
Hat Sie niemand dazu ermuntert, härter gegen die Politiker auszuteilen? Schafroth: Härte ist immer eine Frage der Stimmung. Ich glaube nicht, dass der Innenminister es akzeptiert hätte, wenn ich ihn letztes Jahr in einem anderen Kontext „den Katholiken mit der Lizenz zum Abschieben“genannt hätte. Das erfordert Fingerspitzengefühl. Deshalb war meine Rede so gebaut, dass ich am Anfang umarmt und dann immer fester zugedrückt hab. Das ist mein Prinzip. So bin ich erzogen worden: Zerscht loba, dann schimpfa.
In der bundesdeutschen Politik der vergangenen zwölf Monate ist einiges passiert. Welche Politikerinnen und Politiker werden Sie sich vorknöpfen? Schafroth: Wir Bayern haben ja unsere eigene Truppe in Berlin. Allein damit könnte man schon einen Abend füllen. Die Entwicklungen der letzten Wochen kann ich natürlich nicht ausklammern. Deshalb geht meine Arbeit bis zum Auftrittstag weiter. Aber das macht es ja auch für mich sehr spannend. Mein „Schreibtisch“im Wirtshaus ist bis zum Starkbieranstich reserviert.
Im vergangenen Jahr wurden Sie am Ende sehr persönlich und forderten von der CSU – in Bezug auf Flüchtende und Migranten – mehr christliche Nächstenliebe und Mitgefühl. Werden Sie heuer den Politikern wieder ins Gewissen reden?
Schafroth: Die meisten Themen lassen sich mit Humor, mit dem Werkzeug des Kabarettisten, bearbeiten. Es gibt aber auch Entwicklungen in unserer Gesellschaft, die im satirischen Ausdruck an Deutlichkeit verlieren. Vielleicht ist das meine Art der „Schärfe“: eine ganz klare und unverstellte Haltung zu Unrecht und Unmenschlichkeit einzunehmen.
Letztes Mal beklagten Sie, dass die Paulaner-Brauerei keine AfD-Politiker zum Derblecken eingeladen hatte. Werden diesmal welche im Saal sein? Schafroth: Die Veranstalter haben sich dagegen entschieden, die AfD einzuladen. Ich sähe es als Chance, sie direkt anzusprechen. Aber ich bin selbst hin- und hergerissen in dieser Frage.
Inzwischen ist die Partei ja noch weiter nach rechts gerückt. Herrn Höcke darf man ungestraft Nazi nennen… Schafroth: Das Wort Nazi ist die größte rhetorische Keule, die der Deutsche schwingen kann. Ich nenne die AfD faschistisch, antidemokratisch, und Gift für die Bevölkerung. Und ich nehme der Partei ihre Distanzierung von Hanau nicht ab. Das ist grotesk. Die AfD muss mit den Konsequenzen ihrer geistigen Brandstiftung leben. Aber sie muss mit Klarheit und Haltung bekämpft werden. Wir dürfen nicht den Fehler machen, uns in der Debatte der Mittel der AfD zu bedienen. Einem Rotzlöffel kann man nur mit Anstand beikommen.
● Maximilian „Maxi“Schafroth, 34, ist in Memmingen geboren, in Ottobeuren aufgewachsen, aktuell wohnt er in München. 2017 gewann er den Bayerischen Kabarettpreis. Regelmäßig tritt er auch in der Satiresendung „Extra 3“auf. (AZ)