Ein Anwalt der Armen
Ernesto Cardenal, Dichter und lateinamerikanische Stimme für Gerechtigkeit, starb 95-jährig in Managua
Managua Er war das intellektuelle Aushängeschild der sandinistischen Revolution in Nicaragua. Als idealistischer Dichter träumte er vom Himmelreich in sozialistischen Kommunen, als Kulturminister seiner mittelamerikanischen Heimat trieb er die Alphabetisierung der armen Landbevölkerung voran. Zuletzt war er ein erbitterter Gegner seiner einstigen Genossen. Nun ist Ernesto Cardenal 95-jährig gestorben. „Stärker als der Glaube treibt mich die Hoffnung an und noch stärker als die Hoffnung die Liebe“, hatte der Theologe und Schriftsteller einmal erklärt. Und so begründete 1980 die Jury des Friedenspreises des deutschen Buchhandels auch seine Auszeichnung mit den Worten: Cardenal kenne die Liebe als einziges Element der Veränderung.
Cardenal stammte aus einer wohlhabenden Familie aus Granada. Er studierte Philosophie und Literatur in Mexiko-Stadt sowie New York, später Theologie in Mexiko und Kolumbien. Zwei Jahre verbrachte er in einem US-Trappistenkloster, bevor er 1965 zum Priester geweiht wurde. Auf der Insel Mancarrón im
Solentiname-Archipel im Nicaraguasee gründete Cardenal eine Bauernkommune nach urchristlichem Vorbild. Er verstand die Gemeinschaft als Versuch, das Reich Gottes im irdischen Kommunismus zu verwirklichen. Im See entstand auch sein bekanntestes Werk, „Das Evangelium der Bauern von Solentiname“. Auf der Insel wird er nun seine letzte Ruhe finden. „Mit dem Tod von Ernesto Cardenal verlieren wir einen bedeutenden Fürsprecher und Anwalt der Armen. Mit ihm ist eine einflussreiche Stimme für Frieden und Gerechtigkeit in Lateinamerika verstummt“, trauert der Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Adveniat, Pater Michael Heinz.
Als scharfer Kritiker der Diktatur von Anastasio Somoza musste Cardenal 1977 ins Exil nach Costa Rica fliehen und schloss sich dort der Guerillaorganisation FSLN an. Nach dem Sieg der Sandinisten 1979 kehrte er in seine Heimat zurück und startete als Kulturminister der neuen Regierung eine große Bildungskampagne unter den verarmten Bauern. Beim Papstbesuch 1983 in Managua kam es zum Eklat zwischen dem linken Befreiungstheologen und dem Vatikan. Weil sandinistische Parteigänger Johannes Paul II. ausbuhten, maßregelte das
Kirchenoberhaupt Cardenal in aller Öffentlichkeit. Zwei Jahre später wurde er wegen seiner politischen Tätigkeit vom Priesteramt suspendiert.
Nach dem Ende der ersten sandinistischen Regierungszeit brach Cardenal auch mit seinen einstigen revolutionären Weggefährten. Der autoritäre Führungsstil von Sandinistenchef Daniel Ortega und die unverhohlene Raffgier der linken Nomenklatur ließen ihn an seiner Partei verzweifeln. Gemeinsam mit seinem Freund, dem österreichischen Schauspieler Dietmar Schönherr, gründete er die Kulturstiftung „Casa de los tres mundos“in Granada. Er widmete sich wieder mehr dem Schreiben und veröffentlichte den Gedichtzyklus „Gesänge des Universums“.
Gerade für die europäische Linke war Cardenal eine Ikone der sandinistischen Revolution, doch mit den früheren Genossen wollte er nichts mehr zu tun haben. „Es ist nichts geblieben von der Revolution“, klagte Cardenal. Seit Ortega 2007 an die Macht zurückgekehrt sei, habe er sich das Land „zur Beute gemacht. Es ist eine Diktatur von Daniel Ortega, seiner Frau und seinen Kindern“. Trotz seiner scharfen Kritik ordnete die Regierung eine dreitägige Staatstrauer an.