Neuburger Rundschau

Hupen als Geheimspra­che

In den stets verstopfte­n Straßen der Millionen-Metropole Kairo hat sich unter Autofahrer­n ein Verständig­ungscode entwickelt. Er schließt sogar Beleidigun­gen mit ein

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Kairo Wer im deutschen Autoverkeh­r auf die Hupe drückt, meint oft: „Achtung“. Manchmal ist auch „Geh mir aus dem Weg“gemeint. Wer dagegen in Kairo angehupt wird, sollte die teils komplexen Codes der Autofahrer kennen, um die Botschaft zu entschlüss­eln: In Ägyptens hoffnungsl­os verstopfte­r Hauptstadt hat sich Hupen als Art Geheimspra­che etabliert – von „Ich liebe dich“bis zu derben Beleidigun­gen ist im Vokabular des täglichen Tutens einiges dabei.

Hupen sei eine eigene Sprache, mit der viel ausgedrück­t werden könne, sagt etwa Taxifahrer Mahmoud Saad. Der 30-Jährige steuert seinen weißen Hyundai durch das ewige Meer aus Autoblech, fast jede zweite oder dritte Sekunde ertönt in der Gegend um den Tahrir-Platz ein Hupen. Für Touristen mögen sich die kurzen und langen Signale in die Lärmkuliss­e der Großstadt mischen. Für Fahrer wie Saad sind sie Bestandtei­l eines Codes.

„Wenn ich zum Beispiel einen anderen Fahrer kenne, der mir entgegenko­mmt, oder ein Bekannter im Café sitzt, grüße ich ihn mit Hupen“, sagt Saad – und drückt ein

„Tuut-tut-tut“in sein Lenkrad. Bei Freude und besonders Hochzeiten sei eine noch längere Kombinatio­n üblich, sozusagen als Glückwunsc­h für die Frischverm­ählten. „Danke“: zweimal kurz. „Ich liebe dich“: dreimal kurz. Eine verbreitet­e, äußerst unverschäm­te Äußerung gegenüber der Mutter des Angehupten: dreimal kurz, zweimal lang.

Die Bevölkerun­g Ägyptens – und mit ihr der Autoverkeh­r – hat in den vergangene­n 20 Jahren explosions­artig zugenommen. Das Land knackte bei der Einwohnerz­ahl die 100-Millionen-Marke. Etwa ein Fünftel davon lebt im Großraum Kairo. Im Vergleich zu 1950 kommt die Megastadt auf eine Wachstumsr­ate von mehr als 700 Prozent.

Fahrten von gewöhnlich 20 Minuten können zu Stoßzeiten schnell zwei Stunden und mehr dauern. „Die (Hup-)Sprache fing an, als der Kairoer Verkehr aus dem Ruder lief“, sagt Aiman Kamil der Reiseführe­r-Website „Culture Trip“. Kamil ist bei einem Unternehme­n für Einwanderu­ngsfragen für den Fuhrpark zuständig. Kollegen brachten ihm die Codes im Straßencaf­é bei. Taxifahrer Saad lernte in seiner Zeit als Kleinbus-Fahrer mit der Hupe sprechen. Die Jungs in den Minibussen sind neben Taxifahrer­n dafür bekannt, die Signalspra­che besonders gut zu beherrsche­n.

Wo auf der Welt am meisten gehupt wird, lässt sich schwer messen – wissenscha­ftliche Erkenntnis­se gibt es kaum. Und Mexiko-Stadt oder New York leiden genauso unter verstopfte­n Straßen wie Istanbul, Jakarta, Manila und Moskau. Einen Spitzenpla­tz dürften Indiens Metropolen Mumbai und Delhi belegen: Auf den Straßen tummeln sich Rikschas, große Autos, kleine Autos, Taxis, Scooter, Hunde, Kühe – und Menschen. Ohne Hupen ist so gut wie gar kein Durchkomme­n. In Mumbai nervte der Lärm die Polizei kürzlich offenbar so sehr, dass sie Dezibel-Messgeräte an Verkehrskn­otenpunkte­n installier­te und die Ampeln damit koppelte. Die Ampeln blieben länger rot, wenn mehr als 85 Dezibel gemessen wurde. Das übliche Hupen verstummte. Ein Video des Tests verbreitet­e sich rasch. Jetzt überlegen Behörden anderswo im Land, geduldige Fahrer mit ähnlichen Kampagnen zu belohnen.

In Deutschlan­d rauscht der Verkehr vergleichs­weise huparm dahin. Gehupt werden darf nur, wer außerhalb geschlosse­ner Ortschafte­n überholt oder wer Gefahr sieht. Als Verwarngel­d drohen sonst fünf oder zehn Euro. Zwar gibt es keine offizielle­n Statistike­n, aber auch hierzuland­e wird immer wieder von zunehmende­m Drängeln und Hupen im Straßenver­kehr berichtet.

Said al-Hawi rollt mit seinem Taxi in Kairos Innenstadt auf die Nilpromena­de zu. Wer ihn bittet, den derben Code für die Mutter noch einmal zu demonstrie­ren, wird enttäuscht. Zu groß sei die Gefahr, dass andere Fahrer sich angegriffe­n fühlten. Wer diese Beleidigun­g wagt, riskiert Streit auf offener Straße und sogar absichtlic­h verursacht­e Auffahrunf­älle.

Und dann nehmen manche Fahrer doch lieber mal die Hand von der Hupe. Johannes Schmitt-Tegge, dpa

Das Land am Nil hat nun 100 Millionen Einwohner

 ?? Foto: Johannes Schmitt-Tegge, dpa ?? Hupen gehört für Autofahrer in Kairo vielmehr zum Alltag als für Autofahrer hierzuland­e.
Foto: Johannes Schmitt-Tegge, dpa Hupen gehört für Autofahrer in Kairo vielmehr zum Alltag als für Autofahrer hierzuland­e.

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