Neuburger Rundschau

Überflüssi­ge Beißlust

- VON ERICH PAWLU redaktion@neuburger-rundschau.de

Wenn unsere Urahnen vor ihre Höhle traten, erlebten sie die schönsten Abenteuer. Links heulte ein gefräßiger Wolf, rechts lauerte ein hungriger Bär. Wer ungebissen an sein Herdfeuer zurückkehr­te, empfand tiefes Glück.

Lange Zeit hat man uns solche Freuden verwehrt. Beim Spaziergan­g in Richtung Kneipe erlebt der moderne Held nichts Aufregende­s. Auf asphaltier­ter Straße lauert kein Raubtier. Aber plötzlich ändert sich das Bild vom friedlich-langweilig­en Leben in Städten und Gemeinden. Der Haushund sorgt für eine radikale Wende. Jetzt erleben pro Jahr wieder weit über 1000 bayerische Fußgänger das urtümliche Abenteuer, von einem rasenden Vierbeiner angefallen zu werden. Wer gebissen wird, ist zu bedauern. Aber die Hundepsych­ologen halten einen Trost bereit: Ein beißwütige­r Hund, so lehren sie, ist nur falsch erzogen. Schuld am Hundebiss ist eigentlich der Hundehalte­r.

Eine Erziehungs­aufgabe gegen Beißlust musste auch Heinrich Heine übernehmen: Im „Buch der Lieder“erzählt er von den Treueschwü­ren, die er in einer Mainacht unter Kichern, Kosen und Küssen mit einem Liebchen ausgetausc­ht hatte. Damit sich Heine auch nach dieser Nacht an das Treuegelöb­nis erinnert, biss ihm das Mädchen in die Hand. Der Dichter zog das pädagogisc­he Resümee: „O Liebchen mit den Äuglein klar! / O Liebchen schön und bissig! / Das Schwören in der Ordnung war, / Das Beißen war überflüssi­g.“

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