So hat Paul Winter Neuburg geprägt
Der Steckenreiter-Komponist und Namensgeber der Neuburger Realschule starb vor 50 Jahren. Welche Rolle Winter in der Nazi-Diktatur spielte
Neuburg Die Sonne reflektiert auf der grauen Grabplatte. In den dunklen Stein sind eine Orgel und ein lateinischer Spruch graviert. Es ist die Ruhestätte von dem Komponisten Paul Winter auf dem alten Friedhof in der Franziskanerstraße. Am 1. März jährte sich sein Todestag zum 50. Mal. Die Stadt Neuburg gedachte ihres Ehrenbürgers am Montagvormittag mit einer Gedenkfeier.
Ein kleiner Kreis, fast ausschließlich Männer, versammelt sich vor dem Grab an der Westmauer. Auf einer Marmorplatte sind der Name und die Berufe des Ehrenbürgers zu lesen. Recht schlicht im Vergleich zu dem großen musikalischen Erbe, das Winter hinterließ. Unter den Trauergästen ist auch Anton Sprenzel. Der pensionierte Richter aus Neuburg kannte Winter noch persönlich. Als früherer Kulturreferent der Stadt erinnert sich Sprenzel an verschiedene Konzerte und Veranstaltungen.
Winter sei sehr umgänglich gewesen und habe für die Musik gelebt, beschreibt Sprenzel den gefeierten Komponisten. Ein Erlebnis hat sich besonders fest in Sprenzels Gedächtnis gebrannt: Anfang der 1960er Jahre war Sprenzel, damals noch Student und Leiter einer katholischen Jugendgruppe, bei Winters Probe im Vatikan mit dabei. Winter gab gemeinsam mit dem Lassus-Chor Klangproben zur Mehrchörigkeit im Petersdom. Die wuchtigen Kirchenportale waren da bereits geschlossen und von Schweizer Gardisten bewacht, als Winter im Inneren den Takt vorgab.
Oberbürgermeister Bernhard Gmehling betonte in seiner kurzen Grabrede: „Winters Herz und Geist sind unlöschbar mit der Stadt Neuburg verbunden. Seine Musik wird unvergessen bleiben.“Und auch die Leiterin der Paul-Winter-Realschule, Sonja Kalisch, betonte die enge Verbindung der Schule mit ihrem Namensgeber. Jedes Jahr im Januar finde deshalb für die Fünftklässler ein Aktionstag statt, an dem sie die Musik und das Leben des Schulpaten kennenlernen, sagt Kalisch. Mit den Bläserklassen werde das Erbe Winters besonders hochgehalten. Auch bei der Gedenkfeier spielt eine Bläserformation am Grab des Schulpaten.
Vor allem mit dem Neuburger Schloßfest ist Winters Name stets zu nennen. Der Ehrenbürger, der am Schrannenplatz aufgewachsen war und in Neuburg sein Abitur abgelegt hatte, komponierte den bekannten Steckenreitertanz. Bis heute wird der Tanz auf jedem Schloßfest aufgeführt.
Neben der Musik hatte Winter aber auch noch eine zweite Karriere. Er war ein ranghohes Mitglied im Militär. Unter anderem war er im Dritten Reich fünf Jahre lang der Leiter der Zentralabteilung im Oberkommando der Wehrmacht in Berlin. Welche Rolle spielte der Ehrenbürger im NS-Regime?
Die Historikerin und ehemalige Leiterin des Stadtarchivs Neuburg, Barbara Zeitelhack, sagt auf Nachfrage unserer Zeitung: „Es gibt zu Paul Winter noch einiges aufzuarbeiten.“Dabei meint sie vor allem seine Verstrickungen zum NS-Regime. „Er hatte zumindest am Anfang eine Affinität zum System“, sagt die promovierte Historikerin. Diese These wird für sie durch Winters Teilnahme an den Tagen der Deutschen Kunst in den Jahren 1937 und 1938 bestärkt. Sie erwähnt auch die von ihm komponierte Hymne zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Zeitelhack forschte in ihrer Freizeit intensiv zu Winters Rolle im Nazi-Reich. Dazu durchforstete sie Archive in Berlin und München. In Neuburg finden sich ebenfalls Quellen aus dem Leben des Ehrenbürgers.
Das Neuburger Stadtarchiv habe nur wenige Quellen zu Winter und dessen Rolle im NS-Regime, weiß Zeitelhack. Dort seien jedoch vereinzelte Partituren und handschriftliche Briefe zwischen Winter und ehemaligen Lehrern des Gymnasiums zu finden.
Zeitelhack fasste ihre Forschungsergebnisse in dem wissenschaftlichen Artikel „Kritische Anmerkungen zur Biografie Paul Winters“zusammen. Die historische Auseinandersetzung erschien 2016 in dem Fachmagazin Archiv für Musikwissenschaft. Um Winters Rolle noch genauer zu bewerten, müsste sich jedoch ein Militärhistoriker des Themas annehmen, sagt Zeitelhack. Das oft angeführte Argument, dass Winter kein Mitglied der NSDAP war, sei für einen ranghohen Militär nicht außergewöhnlich, gibt Zeitelhack zu bedenken. Dennoch betont sie auch Winters Freundschaft zu der jüdischen Familie MendelssohnBartholdy.
Nach Kriegsende war Winter in zweijähriger Gefangenschaft. 1947 urteilte die Spruchkammer Miesbach in seinem NS-Prozess, dass er „nicht betroffen“sei. Die Unterlagen zu seiner Entnazifizierung seien jedoch heute nicht mehr vorhanden, weiß Zeitelhack.