Neuburger Rundschau

So hat Paul Winter Neuburg geprägt

Der Steckenrei­ter-Komponist und Namensgebe­r der Neuburger Realschule starb vor 50 Jahren. Welche Rolle Winter in der Nazi-Diktatur spielte

- VON ANDREAS DENGLER

Neuburg Die Sonne reflektier­t auf der grauen Grabplatte. In den dunklen Stein sind eine Orgel und ein lateinisch­er Spruch graviert. Es ist die Ruhestätte von dem Komponiste­n Paul Winter auf dem alten Friedhof in der Franziskan­erstraße. Am 1. März jährte sich sein Todestag zum 50. Mal. Die Stadt Neuburg gedachte ihres Ehrenbürge­rs am Montagvorm­ittag mit einer Gedenkfeie­r.

Ein kleiner Kreis, fast ausschließ­lich Männer, versammelt sich vor dem Grab an der Westmauer. Auf einer Marmorplat­te sind der Name und die Berufe des Ehrenbürge­rs zu lesen. Recht schlicht im Vergleich zu dem großen musikalisc­hen Erbe, das Winter hinterließ. Unter den Trauergäst­en ist auch Anton Sprenzel. Der pensionier­te Richter aus Neuburg kannte Winter noch persönlich. Als früherer Kulturrefe­rent der Stadt erinnert sich Sprenzel an verschiede­ne Konzerte und Veranstalt­ungen.

Winter sei sehr umgänglich gewesen und habe für die Musik gelebt, beschreibt Sprenzel den gefeierten Komponiste­n. Ein Erlebnis hat sich besonders fest in Sprenzels Gedächtnis gebrannt: Anfang der 1960er Jahre war Sprenzel, damals noch Student und Leiter einer katholisch­en Jugendgrup­pe, bei Winters Probe im Vatikan mit dabei. Winter gab gemeinsam mit dem Lassus-Chor Klangprobe­n zur Mehrchörig­keit im Petersdom. Die wuchtigen Kirchenpor­tale waren da bereits geschlosse­n und von Schweizer Gardisten bewacht, als Winter im Inneren den Takt vorgab.

Oberbürger­meister Bernhard Gmehling betonte in seiner kurzen Grabrede: „Winters Herz und Geist sind unlöschbar mit der Stadt Neuburg verbunden. Seine Musik wird unvergesse­n bleiben.“Und auch die Leiterin der Paul-Winter-Realschule, Sonja Kalisch, betonte die enge Verbindung der Schule mit ihrem Namensgebe­r. Jedes Jahr im Januar finde deshalb für die Fünftkläss­ler ein Aktionstag statt, an dem sie die Musik und das Leben des Schulpaten kennenlern­en, sagt Kalisch. Mit den Bläserklas­sen werde das Erbe Winters besonders hochgehalt­en. Auch bei der Gedenkfeie­r spielt eine Bläserform­ation am Grab des Schulpaten.

Vor allem mit dem Neuburger Schloßfest ist Winters Name stets zu nennen. Der Ehrenbürge­r, der am Schrannenp­latz aufgewachs­en war und in Neuburg sein Abitur abgelegt hatte, komponiert­e den bekannten Steckenrei­tertanz. Bis heute wird der Tanz auf jedem Schloßfest aufgeführt.

Neben der Musik hatte Winter aber auch noch eine zweite Karriere. Er war ein ranghohes Mitglied im Militär. Unter anderem war er im Dritten Reich fünf Jahre lang der Leiter der Zentralabt­eilung im Oberkomman­do der Wehrmacht in Berlin. Welche Rolle spielte der Ehrenbürge­r im NS-Regime?

Die Historiker­in und ehemalige Leiterin des Stadtarchi­vs Neuburg, Barbara Zeitelhack, sagt auf Nachfrage unserer Zeitung: „Es gibt zu Paul Winter noch einiges aufzuarbei­ten.“Dabei meint sie vor allem seine Verstricku­ngen zum NS-Regime. „Er hatte zumindest am Anfang eine Affinität zum System“, sagt die promoviert­e Historiker­in. Diese These wird für sie durch Winters Teilnahme an den Tagen der Deutschen Kunst in den Jahren 1937 und 1938 bestärkt. Sie erwähnt auch die von ihm komponiert­e Hymne zum Anschluss Österreich­s an das Deutsche Reich. Zeitelhack forschte in ihrer Freizeit intensiv zu Winters Rolle im Nazi-Reich. Dazu durchforst­ete sie Archive in Berlin und München. In Neuburg finden sich ebenfalls Quellen aus dem Leben des Ehrenbürge­rs.

Das Neuburger Stadtarchi­v habe nur wenige Quellen zu Winter und dessen Rolle im NS-Regime, weiß Zeitelhack. Dort seien jedoch vereinzelt­e Partituren und handschrif­tliche Briefe zwischen Winter und ehemaligen Lehrern des Gymnasiums zu finden.

Zeitelhack fasste ihre Forschungs­ergebnisse in dem wissenscha­ftlichen Artikel „Kritische Anmerkunge­n zur Biografie Paul Winters“zusammen. Die historisch­e Auseinande­rsetzung erschien 2016 in dem Fachmagazi­n Archiv für Musikwisse­nschaft. Um Winters Rolle noch genauer zu bewerten, müsste sich jedoch ein Militärhis­toriker des Themas annehmen, sagt Zeitelhack. Das oft angeführte Argument, dass Winter kein Mitglied der NSDAP war, sei für einen ranghohen Militär nicht außergewöh­nlich, gibt Zeitelhack zu bedenken. Dennoch betont sie auch Winters Freundscha­ft zu der jüdischen Familie Mendelssoh­nBartholdy.

Nach Kriegsende war Winter in zweijährig­er Gefangensc­haft. 1947 urteilte die Spruchkamm­er Miesbach in seinem NS-Prozess, dass er „nicht betroffen“sei. Die Unterlagen zu seiner Entnazifiz­ierung seien jedoch heute nicht mehr vorhanden, weiß Zeitelhack.

 ?? Foto: Andreas Dengler ?? Am 1. März jährte sich der Todestag von Neuburgs Ehrenbürge­r Paul Winter. Landrat Peter von der Grün (links) und Oberbürger­meister Bernhard Gmehling gedachten des Musikers. Winter war aber nicht nur Komponist, sondern auch in der Führungseb­ene der Wehrmacht.
Foto: Andreas Dengler Am 1. März jährte sich der Todestag von Neuburgs Ehrenbürge­r Paul Winter. Landrat Peter von der Grün (links) und Oberbürger­meister Bernhard Gmehling gedachten des Musikers. Winter war aber nicht nur Komponist, sondern auch in der Führungseb­ene der Wehrmacht.

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