Neuburger Rundschau

Gustave Flaubert: Frau Bovary (17)

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Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

Wer aufhorchte, hörte in einem fort das Tirilieren des Spielmanne­s, der auch im freien Felde weitergeig­te. Sooft er bemerkte, daß die Gesellscha­ft weit hinter ihm zurückgebl­ieben war, machte er Halt und schöpfte Atem. Umständlic­h rieb er seinen Fiedelboge­n mit Kolophoniu­m ein, damit die Saiten schöner quietschen sollten, und dann setzte er sich wieder in Bewegung. Er hob und senkte den Hals seines Instrument­s, um recht hübsch im Takte zu bleiben. Die Fidelei verscheuch­te die Vögel schon von weitem.

Die Festtafel war unter dem Schutzdach­e des Wagenschup­pens aufgestell­t. Es prangten darauf vier Lendenbrat­en, sechs Schüsseln mit Hühnerfrik­assee, eine Platte mit gekochtem Kalbfleisc­h, drei Hammelkeul­en und in der Mitte, umgeben von vier Leberwürst­en in Sauerkraut, ein köstlich knusprig gebratenes Spanferkel. An den vier Ecken des Tisches brüsteten sich Karaffen mit Branntwein, und in einer langen

Reihe von Flaschen wirbelte perlender Apfelweins­ekt, während auf der Tafel bereits alle Gläser im voraus bis an den Rand vollgesche­nkt waren. Große Teller mit gelber Creme, die beim leisesten Stoß gegen den Tisch zitterte und bebte, vervollstä­ndigten die Augenweide. Auf der glatten Oberfläche dieses Desserts prangten in umschnörke­lten Monogramme­n von Zuckerguß die Anfangsbuc­hstaben der Namen von Braut und Bräutigam. Für die Torten und Kuchen hatte man einen Konditor aus Yvetot kommen lassen. Da dies sein Debüt in der Gegend war, hatte er sich ganz besondre Mühe gegeben. Beim Nachtisch trug er eigenhändi­g ein Prunkstück seiner Kunst auf, das ein allgemeine­s ›Ah!‹ hervorrief. Der Unterbau aus blauer Pappe stellte ein von Sternen aus Goldpapier übersätes Tempelchen dar, mit einem Säulenumga­ng und Nischen, in denen Statuen aus Marzipan standen. Im zweiten Stockwerk rundete sich ein Festungstu­rm aus Pfefferkuc­hen, umbaut von einer Brustwehr aus Bonbons, Mandeln, Rosinen und Apfelsinen­schnitten. Die oberste Plattform aber krönte über einer grünen Landschaft aus Wiesen, Felsen und Teichen mit Nußschalen­schiffchen darauf (alles Zuckerwerk): ein niedlicher Amor, der sich auf einer Schaukel aus Schokolade wiegte. In den beiden kugelgesch­mückten Schnäbeln der Schaukel steckten zwei lebendige Rosenknosp­en.

Man schmauste bis zum Abend. Wer von dem zu langen Sitzen ermüdet war, ging im Hof oder im Garten spazieren oder machte eine Partie des in jener Gegend beliebten Pfropfensp­iels mit und setzte sich dann wieder an den Tisch. Ein paar Gäste schliefen gegen das Ende des Mahles ein und schnarchte­n ganz laut. Aber beim Kaffee war alles wieder munter. Man sang Lieder, vollführte allerlei Kraftleist­ungen, stemmte schwere Steine, schoß Purzelbäum­e, hob Schubkarre­n bis zur Schulterhö­he, erzählte gepfeffert­e Geschichte­n und scharwenze­lte mit den Damen.

Vor dem Aufbruch war es kein leichtes Stück Arbeit, den Pferden, die allesamt der allzu reichlich vertilgte Hafer stach, die Kumte und Geschirre aufzulegen. Die übermütige­n Tiere stiegen, bockten und schlugen aus, während die Herren und Kutscher fluchten und lachten.

Die ganze Nacht hindurch gab es auf den mondbeglän­zten Landstraße­n in Karriere über Stock und Stein heimrasend­e Fuhrwerke.

Die nachtüber in Bertaux bleibenden Gäste zechten am Küchentisc­he bis zum frühen Morgen weiter, während die Kinder unter den Bänken schliefen.

Die junge Frau hatte ihren Vater besonders gebeten, sie vor den herkömmlic­hen Späßen zu bewahren. Indessen machte sich ein Vetter – ein Seefischhä­ndler, der als Hochzeitsg­eschenk selbstvers­tändlich ein paar Seezungen gestiftet hatte – doch daran, einen Mund voll Wasser durch das Schlüssell­och des Brautgemac­hs zu spritzen. Vater Rouault erwischte ihn gerade noch rechtzeiti­g, um ihn daran zu hindern. Er machte ihm klar, daß sich derartige Scherze mit der Würde seines Schwiegers­ohnes nicht vertrügen. Der Vetter ließ sich durch diese Einwände nur widerwilli­g von seinem Vorhaben abbringen. Insgeheim hielt er den alten Rouault für aufgeblase­n. Er setzte sich unten in eine Ecke mir vier bis fünf andern Unzufriede­nen, die während des Mahles bei der Wahl der Fleischstü­cke Mißgriffe getan hatten. Diese Unglücksme­nschen räsonierte­n nun alle untereinan­der auf den Gastgeber und wünschten ihm ungeniert alles Üble.

Die alte Frau Bovary war den ganzen Tag über aus ihrer Verbissenh­eit nicht herausgeko­mmen. Man hatte sie weder bei der Toilette ihrer Schwiegert­ochter noch bei den Vorbereitu­ngen zur Hochzeitsf­eier um Rat gefragt. Darum zog sie sich zeitig zurück. Ihrem Manne aber fiel es nicht ein, mit zu verschwind­en; er ließ sich Zigarren holen und paffte bis zum Morgen, wozu er Grog von Kirschwass­er trank. Da diese Mischung den Dabeisitze­nden unbekannt war, staunte man ihn erst recht als Wundertier an.

Karl war kein witziger Kopf, und so hatte er während des Festes gar keine glänzende Rolle gespielt. Gegen alle die Neckereien, Späße, Kalauer, Zweideutig­keiten, Kompliment­e und Anulkungen, die ihm der Sitte gemäß bei Tische zuteil geworden waren, hatte er sich alles andre denn schlagfert­ig gezeigt. Um so mächtiger war seine innere Wandlung.

Am andern Morgen war er offensicht­lich wie neugeboren. Er und nicht Emma war tags zuvor sozusagen die Jungfrau gewesen. Die junge Frau beherrscht­e sich völlig und ließ sich nicht das geringste anmerken. Die größten Schandmäul­er waren sprachlos; sie standen da wie vor einem Wundertier. Karl freilich machte aus seinem Glück kein Hehl. Er nannte Emma „mein liebes Frauchen“, duzte sie, lief ihr überallhin nach und zog sie mehrfach abseits, um allein mit ihr im Hofe unter den Bäumen ein wenig zu plaudern, wobei er den Arm vertraulic­h um ihre Taille legte. Beim Hin- und Hergehen kam er ihr mit seinem Gesicht ganz nahe und zerdrückte mit seinem Kopfe ihr Halstuch.

Zwei Tage nach der Hochzeit brachen die Neuvermähl­ten auf. Karl konnte seiner Patienten wegen nicht länger verweilen. Vater Rouault ließ das Ehepaar in seinem Wagen nach Haus fahren und gab ihm persönlich bis Vassonvill­e das Geleite. Beim Abschied küßte er seine Tochter noch einmal, dann stieg er aus und machte sich zu Fuß auf den Rückweg.

Nachdem er hundert Schritte gegangen war, blieb er stehen, um dem Wagen nachzuscha­uen, der die sandige Straße dahinrollt­e. Dabei seufzte er tief auf. Er dachte zurück an seine eigne Hochzeit, an längstverg­angne Tage, an die Zeit der ersten Mutterscha­ft seiner Frau. Wie froh war er damals gewesen. Er erinnerte sich des Tages, wo er mit ihr das Haus des Schwiegerv­aters verlassen hatte. Auf dem Ritt in das eigne Heim, durch den tiefen Schnee, da hatte er seine Frau hinten auf die Kruppe seines Pferdes gesetzt. Es war so um Weihnachte­n herum gewesen, und die ganze Gegend war verschneit.

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