Dramen des Begehrens
Lisa Taddeo Bestürzendes über Liebe, Sex und Frauen
Ich bin aufgebrochen, um vom Feuer und vom Schmerz der weiblichen Lust zu erzählen, damit Männer und andere Frauen erst einmal verstehen können, bevor sie urteilen. Denn gerade die alltäglichen Momente unseres Lebens zeigen uns, wer wir waren, wer unsere Nachbarinnen und unsere Mütter waren, während wir glaubten, kein bisschen wie sie zu sein. Das sind die Geschichten von drei Frauen.“
Das schreibt Lisa Taddeo im Vorwort zu ihrem ersten Buch, das in den USA sofort zur Nummer1-Sensation und inzwischen zum internationalen Bestseller geworden ist. Es heißt demgemäß schlicht „Drei Frauen“, ist aber alles andere als einfach. Das fängt bei der Entstehung an: Acht Jahre hat die Journalistin Taddeo dafür recherchiert, kreuz und quer durch die USA, ist sogar in die Städte der Frauen gezogen, die sich ihr öffneten. Denkbar einfach ist allein die Begründung, warum sie nicht, wie zuerst beabsichtigt, über Männer schrieb: Deren Geschichten „verschmolzen mehr und mehr zu einer einzigen Geschichte. In manchen Fällen gab es eine ausgedehnte Werbephase, in anderen war das Werben eher eine Art Manipulation, aber fast jede dieser Geschichten gipfelte im zuckenden Pulsen eines Orgasmus. Und während die Lust der Männer mit dem finalen Schuss erlosch, flackerte die Lust der Frauen an diesem Punkt gerade erst auf. Es lag eine Komplexität, eine Schönheit, ja auch eine gewisse Heftigkeit darin, wie Frauen denselben Vorgang erlebten. Dadurch und durch vieles mehr war es in meinen Augen plötzlich der weibliche Part dieses sexuellen Spiels, der für all das stand, was unser Begehren heute ausmacht.“
Gar nicht einfach dagegen, was für ein Buch „Drei Frauen“eigentlich ist. Eine Reportage über Maggie, Lina und Sloane, deren tatsächliche Geschichten Taddeo im Wechsel erzählt? Oder doch ein Roman, weil sie mit ihren Schilderungen teils sogar aus der Ich-Perspektive die Grenzen des Journalismus deutlich überschreitet? Am ehesten wohl in der Tradition von Capotes „Kaltblütig“: ein Tatsachen-Roman.
Und gar nicht einfach ist schließlich, was sie erzählt. Schon äußerlich. Da ist Maggie, die mit 17 eine Affäre mit einem Lehrer hat, ihn für die Erfüllung ihrer Träume hält – bis sie Jahre später, längst fallen gelassen und depressiv, den Missbrauch erkennt. Da ist Lina, die jung vergewaltigt wird, später heiratet, aber einen Mann, der sie irgendwann nicht mehr küsst und berührt, die sich dann, Anfang 30, mit all ihrem Begehren in eine Affäre mit einer Jugendliebe stürzt, aber ausgenutzt wird. Und da ist Sloane, aus reichem Haus, die als Jugendliche magersüchtig ist und sich später mit einem Mann zu finden meint, der sie zum Sex mit anderen anstiftet. Und all das schildert Lisa Taddeo auch äußerlich sehr explizit.
Am wenigsten einfach aber ist das Innerliche. Denn wie problematisch das Bekenntnis zum eigenen Begehren dieser Frauen wirkt, so dramatisch nährt die Gesellschaft mit ihren Rollenbildern die Selbstzweifel der drei. Das liegt an den als fast ausnahmslos bestürzend charakterund lieblos geschilderten Männern, die den Frauen nie das sind, was die suchen: Partner! Aber es liegt auch an den Frauen untereinander. Taddeos Mutter riet ihr kurz vor dem Tod noch: „Lass sie nicht merken, wenn du glücklich bist.“– „Wen?“– „Alle. Vor allem andere Frauen.“
Ob das alles so verallgemeinernd stimmt, wie hier geschildert? Fraglich. Aber als Roman dreier Frauenschicksale leuchtet dieses Buch in Abgründe, die man unter der Oberfläche des Normalen wohl als alltäglich annehmen muss. Im Begehren steckt viel Archaisches. Der Umgang damit eine weitgehend noch immer ungelöste zivilisatorische Herausforderung. Wolfgang Schütz