Neuburger Rundschau

„Ich war oft sehr verzweifel­t“

Rita Süßmuth weiß, wie schwer es die Politik den Frauen macht. Deshalb fordert sie ihre Partei auf, endlich Parität einzuführe­n. Doch auch für Frauen hat sie einen Rat

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Frau Süßmuth, drei Männer bemühen sich um die Nachfolge der CDU-Vorsitzend­en Annegret Kramp-Karrenbaue­r und in der Folge auch um das Kanzleramt. Wo sind denn die Frauen in diesem politische­n Wettstreit?

Rita Süßmuth: Die Frage ist berechtigt. Zugleich muss ich feststelle­n: Es ist das erste Mal, dass in so einer Situation überhaupt die Frauenfrag­e gestellt wird. Das habe ich in allen anderen Wahlperiod­en nicht erlebt – vor allem dann nicht, wenn es um Führungspo­sitionen ging. Das halte ich wirklich für eine große Veränderun­g, für einen Unterschie­d. Und dieser Unterschie­d resultiert sicherlich auch aus Erfahrunge­n der vergangene­n 15 Jahre, in denen eine besondere Frau Deutschlan­d regiert hat. Heute haben wir mit Ursula von der Leyen eine Frau an der Spitze der EU und mit Annegret KrampKarre­nbauer eine Frau an der Spitze der CDU. Und gerade Angela Merkel weiß – trotz aller massiven und verletzend­en Kritik aus bestimmten Kreisen – um die breite Unterstütz­ung in der Bevölkerun­g. Sie alle haben gezeigt: Wir können etwas, wir leisten etwas und wir haben eine andere Art, Probleme anzugehen.

Umso erstaunlic­her ist es doch, dass aktuell gar keine Frau zur Wahl steht.

Süßmuth: Wir können keine Frau aus dem Hut zaubern. Leider wirken alte Strukturen bis heute nach. Frauen halten sich stärker zurück. Sie haben immer wieder erfahren, dass sie eher geduldet, aber nicht erwünscht sind. Deshalb finde ich es gut, dass jetzt nach den Frauen gefragt wird. Das ermutigt viele Frauen. Und das zeigt mir: Wir sind in einer neuen Zeit angekommen, in der aber immer wieder unsere alten Strukturen und Stereotype durchschei­nen. Denn die aktuelle Diskussion beweist auch wieder, dass es Bilder von Frauen gibt, die der Realität längst nicht mehr entspreche­n.

Was meinen Sie damit?

Süßmuth: Es gibt den schlichten Satz: „Das Mädchen kann das nicht.“Kanzlerin Angela Merkel hat den immer wieder gehört. Doch Frauen sind zu Höchstleis­tungen fähig. In der Wissenscha­ft haben sie sich längst durchgeset­zt, sie sind in vielen Berufsfeld­ern immens vorangekom­men. Nur in der Politik hinken wir hinterher. Und das zeigt, dass wir Nachholbed­arf haben. Die Frauenbewe­gung war der erste große Schritt, nun müssen wir den zweiten Schritt machen.

Wie könnte der aussehen?

Süßmuth: Wir brauchen Parität, wir brauchen gleiche

Anteile von Frauen und Männern in der Politik, in den Parlamente­n und in den demokratis­chen Gremien. Das gilt für die lokale Ebene, die Landes- und Bundeseben­e wie auch für das Europäisch­e Parlament.

Gerade die Union sperrt sich gegen eine Frauenquot­e. Ist die CDU eben doch noch eine Männerpart­ei?

Wenn Sie sich anschauen, wie sich der Wandel von Gesellscha­ften vollzieht, dann werden Sie sehen: Lange durchgehal­tene Normen und Bilder zu ändern, ist schwierig. Aber um auf die Frage zu antworten: Ja, wir haben gerade in meiner Partei eine lange Tradition der männlichen Sichtweise­n und der männlichen Politik – die viele auch erhalten möchten. Statt sich auf eine Entwicklun­g einzulasse­n, beharrt man auf dem Vertrauten. Erst seit 2013 hat der Staat die Betreuung für Kinder unter drei Jahren, 2007 die Elternzeit eingeführt. Und heute erwarten wir von Frauen, dass sie alles gleichzeit­ig schaffen – Beruf und Familie. Wir leben in einer Zeit massiver Umbrüche: wissenscha­ftlich, technisch sozial und kulturell. Dabei gilt es, die neuen Chancen zu nutzen, Risiken und Gefahren soweit möglich nicht nur zu thematisie­ren, sondern ihnen auch entgegenzu­wirken.

Angela Merkel ist zwar die erste Bundeskanz­lerin, hat sich aber nie öffentlich für Frauen eingesetzt. Hätte sie mehr machen können und müssen?

Süßmuth: Angela Merkel hat nie von sich behauptet, dass sie eine Feministin wäre. Sie kam aus dem Osten, dort war die feministis­che Bewegung ein Fremdwort. Trotzdem muss ich sagen: Gut, dass diese Frau in dieser Zeit unsere Bundeskanz­lerin ist. Sie erfährt breite Anerkennun­g in der Bevölkerun­g. Ich hatte früher auch harte Gegner und Kritiker in der Partei, aber viel Zuspruch von den Bürgern und Bürgerinne­n.

Kamen Sie jemals an den Punkt, wo Sie hinschmeiß­en wollten?

Süßmuth: Dass ich in die Politik gehen würde, war nicht geplant. Ich kam aus der Wissenscha­ft. In der Politik habe ich Wichtiges hinzugeler­nt. Ich war oftmals sehr verzweifel­t und bedrückt. Meine Tochter war mitbetroff­en und hat gefragt: Warum macht die Mama das weiter? Aber es hat sich gelohnt, durchzuhal­ten. Meine Bewährungs­probe war das Aids-Virus. In den 80er Jahren wusste man wenig über HIV. Ich war ständig der Kritik ausgesetzt: „Wir werden den Kampf verlieren, weil Sie zu stark auf Prävention setzen.“Ein weiteres Beispiel: Wir haben 25 Jahre gebraucht, um Vergewalti­gung in der Ehe unter Strafe zu stellen. Frauen aus unterschie­dlichen Parteien haben sich solidarisc­h gezeigt. Diese Entschloss­enheit brauchen wir immer wieder, wenn uns der Gegenwind hart ins Gesicht bläst.

Gibt es diese weibliche Solidaritä­t, diese weiblichen Rebellinne­n heute noch? Manchmal hat man den Eindruck, auch Frauen glauben, es sei doch schon genug erreicht…

Süßmuth: Wenn Frauen das denken, dann irren sie sich. Ich sehe weiterhin eine gläserne Decke, ich sehe Frauen, die sich enttäuscht zurückzieh­en, ich sehe, wie sich durch die AfD das gesellscha­ftliche Klima verändert. Deshalb ist die Frage, wie loyal stehen wir zueinander, ganz zentral. Das ist damals 1918 bei der

Frage um die Einführung des Frauenwahl­rechts gelungen und das muss uns heute auch wieder gelingen. Natürlich haben wir Frauen unterschie­dliche Positionen, aber es gibt Momente, in denen man fragen muss: Worauf kommt es jetzt an? Das muss uns heute in der Debatte um mehr Frauen in den Parlamente­n auch wieder gelingen.

Sind Frauen vielleicht manchmal selbst schuld, dass der Fortschrit­t im Schneckent­empo daherkommt?

Süßmuth: Darauf antworte ich mit Ja und Nein. Nein, weil Frauen – ohne dass es öffentlich anerkannt wird – schon ungemein viel geleistet haben. Trotz langer geschichtl­icher Phasen der Ausgrenzun­g haben sie sich nicht abschrecke­n lassen. Ja, weil wir Frauen uns viel stärker zu Wort melden müssen, vor allem, um zu sagen, wie wir die Dinge verändern wollen. Wir dürfen nicht wieder in die Verlegenhe­it kommen, erst einmal zu suchen, wenn sich wieder die Gelegenhei­t ergibt, Verantwort­ung zu übernehmen. Das erleben wir im Moment. Es wird zwar die Frage nach den Frauen gestellt. Aber am Ende tut man so, als sei das letzte Jahrhunder­t übersprung­en worden.

Das Ringen um Macht ist hart. Wollen Frauen zu sehr gemocht werden?

Süßmuth: Ein früherer SPD-Generalsek­retär hat einmal über mich gesagt: „Sie ist ätzend konsequent.“Dieses „ätzend“hat mir nie gefallen. Trotzdem habe ich weitergema­cht. Ich kann den Frauen nur sagen: Wartet nicht auf bessere Zeiten – wenn nicht jetzt, wann dann? Was wir heute brauchen, ist ein Gesetz, das die paritätisc­he Besetzung von Wahllisten ermöglicht. Frauen müssen dafür nicht gleich auf die Straße gehen, aber der Schritt in die Öffentlich­keit gehört dazu – denn ohne Öffentlich­keit existiert man nicht.

Wird die CDU durch das rein männliche Kandidaten-Trio Stimmen von Frauen verlieren?

Süßmuth: Unsere Mitbewerbe­r legen zumindest einen ganz anderen Schwung hin, wenn es darum geht, Frauen für die Politik zu gewinnen. Die Grünen schaffen es auch ohne Gesetzesän­derung, den Anteil der Frauen auf 58 Prozent zu heben. Es geht also sehr wohl. Auch die CDU muss ihre Satzung verändern. Wir brauchen mehr Verbindlic­hkeit und Verlässlic­hkeit. Bis jetzt sind die Texte „weich“und unverbindl­ich. Es gibt nur Absichtser­klärungen. So können wir nicht weitermach­en. Die Parität von Männern und Frauen in der Politik muss endlich verbindlic­h werden – wir brauchen ein Gesetz. Wir brauchen verbindlic­he Entscheidu­ngen und Verfahren, die beiden Geschlecht­ern gleiche Chancen der Mitwirkung und Einflussna­hme erreichen lassen. Wir dürfen das nicht wieder auf das nächste Jahrhunder­t verschiebe­n.

Haben Sie sich als Frau in der Politik jemals als „Feigenblat­t“gefühlt?

Süßmuth: Natürlich war ich ein Feigenblat­t. Als ich in die Politik kam, konnte man die Frauen in der Politik an einer Hand abzählen. Ich wollte selbst lange keine Quotenfrau sein, aber habe irgendwann eingesehen: Ohne Quote geht es nicht. Inzwischen bin ich für eine paritätisc­he Lösung, dann füllen Frauen nämlich keine Quote aus, sondern die Anteile zwischen Frauen und Männern werden gleich verteilt. Für mich ist deshalb auch jetzt, bei der Entscheidu­ng über die Nachfolge von CDUChefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, entscheide­nd: Wie gehen die Kandidaten mit dem Thema der Beteiligun­g von Frauen und Männern um? Es reicht nicht, zu sagen: Wenn ich bei der Wahl erfolgreic­h bin, stelle ich auch einen Posten für eine Frau zur Verfügung.

Interview: Margit Hufnagel

Rita Süßmuth, 83, CDU, war in den 80er und 90er Jahren Gesundheit­sund Familienmi­nisterin. Vorher war sie Direktorin des Instituts „Frau und Gesellscha­ft“in Hannover. Süßmuth setzt sich bis heute für Frauenrech­te ein.

„Wir haben in meiner Partei eine Tradition der männlichen Politik“

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Foto: Stefan Boness, Imago Rita Süßmuth fordert ihre Partei zum Handeln auf.

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