Neuburger Rundschau

Schluss mit der Harmonie

Um die Flüchtling­sfrage hat sich Österreich­s Koalition bislang herumgedrü­ckt. Nun stehen Konservati­ve und Grüne vor ihrer ersten gemeinsame­n Bewährungs­probe

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Die Flüchtling­sfrage ist so etwas wie die Sollbruchs­telle der konservati­v-grünen Regierung in Österreich. Mit der Eskalation an der türkisch-griechisch­en Grenze wird die bisherige Harmonie in der Koalition nun früher auf die Probe gestellt als ihr lieb sein kann. Die ÖVP um Bundeskanz­ler Sebastian Kurz bleibt bei ihrer bekannt harten Position gegenüber Flüchtling­en. Die Grünen um Vizekanzle­r Werner Kogler halten an ihrer Tradition als Menschenre­chtspartei fest und fordern Empathie für die Menschen ein, die in überfüllte­n Lagern festsitzen.

Konkret fordert Kogler, unterstütz­t vom Bundespräs­identen Alexander Van der Bellen, Frauen und Kinder in Österreich aufzunehme­n. Die ÖVP lehnt das ab. Sie hat den Koalitions­vertrag auf ihrer Seite, der auf den Schutz der Außengrenz­en setzt und die Aufnahme von weiteren Flüchtling­en ablehnt. Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Regierung diesen ersten inneren Konflikt aushält. Der Bundeskanz­ler bemüht sich um Gelassenhe­it: „Das ist keine Überraschu­ng für uns. Wir haben stundenlan­g darüber verhandelt“, erklärt Kurz. Einen ersten Kompromiss fand die Koalition in der vergangene­n Woche mit der Zusage von einer Million Euro Hilfe für die Menschen in Griechenla­nds Lagern und drei Millionen Euro an humanitäre­r Hilfe für die syrische Region Idlib. Außerdem sollen Spenden der Bevölkerun­g für die ORF-Aktion „Nachbarn in Not“von der Regierung verdoppelt werden. Das erscheint im Vergleich nicht besonders viel Geld zu sein, doch Österreich­s Regierunge­n hielten sich bisher in der humanitäre­n Hilfe sehr zurück.

Vom Inkrafttre­ten des sogenannte­n Krisenmech­anismus für unlösbare Fälle, der im Regierungs­programm festgeschr­ieben wurde, sei die Regierung, wie Kurz betont, weit entfernt. Da die Grünen in der Flüchtling­spolitik die für sie bittersten Kompromiss­e eingehen mussten, haben beide Koalitions­partner nämlich festgelegt, wie sie vorgehen, sollte es hier zu unüberbrüc­kbaren Differenze­n kommen. Sowohl ÖVP als auch Grüne haben dann das Recht, mit einem Antrag direkt ins Parlament zu gehen, wenn sie im Ministerra­t nicht die dafür erforderli­che Einstimmig­keit erreichen. Im Ernstfall könnte das zum Beispiel heißen, dass sich die ÖVP mit der rechtspopu­listischen FPÖ auf eine Vorgehensw­eise einigt – gegen die Stimmen der Grünen.

Einmal genutzt wäre dieser Mechanismu­s natürlich eine große Belastung für die weitere Arbeit der Koalition. Man kann deshalb davon ausgehen, dass weder ÖVP noch die Grünen leichtfert­ig damit umgehen werden. Hinzu kommt, dass dem Inkraftset­zen ein dreistufig­er Prozess vorausgehe­n müsste. Zuerst müsste im „koalitionä­ren Abstimmung­sprozess“versucht werden, zu einer Einigung zu kommen. Sollte das nicht gelingen, müsste der Koalitions­ausschuss versuchen, sich zu einigen. Zuletzt würden dann Kanzler und Vizekanzle­r nach einer Lösung suchen. Erst wenn auch die Chefs scheitern, könnte die Suche nach einer anderen Mehrheit im Parlament beginnen.

Doch obwohl in den sozialen

Netzwerken eine Welle der Kritik an Kogler aufbrandet, weil es an Solidaritä­t mit den Flüchtling­en fehle, hält seine Partei bislang ruhig und unterstütz­t Kogler.

Der Vizekanzle­r selbst, der bekannt ist für seine lockeren Sprüche, wirkt in diesen Tagen sehr kontrollie­rt. Bezeichnet­e er kürzlich noch die Haltung von Kurz zum EUBudget indirekt als populistis­ch, trennt er in seinen Äußerungen zum Flüchtling­sthema mittlerwei­le streng zwischen seinem Amt und seiner „Privatmein­ung“. Kurz honoriert diese Zurückhalt­ung: „Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu Werner Kogler. Er ist Chef einer anderen Partei und hat dort andere Positionen. Das ist doch völlig normal“, sagte er am Sonntag in einem Fernsehint­erview. Erneut warnte Kurz dabei mit markigen Worten vor Millionen Menschen, „die sich auf den Weg machen könnten, wenn sie den Eindruck haben, dass sie durchkomme­n“. Österreich sei vorbereite­t, seine Grenze zu schützen, „falls es zu einem Grenzsturm kommt“. Wie gut die Koalition vorbereite­t ist, wird sich erst zeigen.

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Foto: Roland Schlager, dpa Einig, dass sie sich nicht einig sind: der konservati­ve Kanzler Sebastian Kurz (links) und sein grüner Vize Werner Kogler.

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