Neuburger Rundschau

Partner mit herzlicher Abneigung

Wie der türkische Präsident Erdogan und die EU einen gemeinsame­n Weg aus dem Flüchtling­sstreit suchen

- VON DETLEF DREWES, CHRISTIAN GRIMM UND BERNHARD JUNGINGER

Brüssel Es gibt Signale, die mehr über ein Krisentref­fen sagen als die offizielle­n Floskeln. Zwei Stunden lang sprachen EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsid­ent Charles Michel am Montagaben­d mit dem türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan. Doch der anschließe­nden Pressekonf­erenz blieb der Mann aus Ankara fern. „Es war ein guter, konstrukti­ver Dialog“, sagte von der Leyen. „Wir haben unsere unterschie­dlichen Ansichten offen ausgetausc­ht“, ergänzte Michel. Was so viel heißt wie: „Die Gespräche haben gerade erst begonnen.“

Fest steht nach diesem kurzfristi­gen Krisengipf­el offenbar nur, dass der EU-Türkei-Deal von 2016 wiederbele­bt und umgesetzt werden soll. „Wir haben festgestel­lt: Die Migranten brauchen Hilfe. Die Türkei braucht Unterstütz­ung. Griechenla­nd braucht Unterstütz­ung“, sagte von der Leyen. In den kommenden Tagen soll nun der Außenbeauf­tragte der EU, Josep Borell, mit Ankaras Außenminis­ter Mesut Cavusoglu weiter verhandeln. „Wir wollen vorankomme­n“, hieß es am Abend.

Echte Aufbruchst­immung klingt allerdings anders. Schon bei der Begrüßung blieb die Atmosphäre frostig: kein Händedruck, kein Lächeln. Da kamen zwei Parteien zusammen, die einander in herzlicher Abneigung verbunden sind, obwohl sie sich gegenseiti­g brauchen. Michel will nun die Mitgliedst­aaten über das informiere­n, was Erdogan nur hinter verschloss­enen Türen sagte und was auch zunächst nicht breitgetre­ten werden soll – obwohl es längst jeder weiß: Der Präsident aus Ankara fordert erstens die volle Auszahlung der versproche­nen sechs Milliarden Euro aus dem Deal mit der EU von 2016. Und zweitens – weil inzwischen sehr viel mehr Menschen aus Syrien geflohen sind – weitere Gelder.

Im Prinzip zeigte sich die EUSpitze dafür sogar aufgeschlo­ssen. Der Knackpunkt liegt an anderer Stelle: Der türkische Präsident wünscht eine Überweisun­g der europäisch­en Hilfsgelde­r an seine Regierung, was Brüssel in den vergangene­n Jahren stets verweigert hat, um sicherzust­ellen, dass die finanziell­e Unterstütz­ung auch tatsächlic­h vor Ort ankommt. Man wollte vermeiden, dass Erdogan mit EUGeldern seine militärisc­hen Aktivitäte­n bezahlt. Genau das hat er aber vor, wie Eingeweiht­e aus den Spitzentre­ffen bei der Nato und aus bisherigen Gesprächen berichtete­n.

Hinzu kommt, dass die Türkei auf eine Wiederbele­bung aller früheren, aber noch unerledigt­en Zusagen der Gemeinscha­ft setzt. Das beginnt bei der visafreien Einreise und der Fortsetzun­g der Beitrittsg­espräche. Und es geht bis hin zur europäisch­en Mithilfe bei der Errichtung einer Schutzzone in Nordsyrien, die Ankara nach dem Abzug der Amerikaner zunächst selbst vorantreib­en wollte, gegen die Koalition aus russischen Truppen und jenen des syrischen Machthaber­s Baschar al-Assad aber nichts ausrichten konnte.

Kommission­spräsident­in von der Leyen stellte am Montag gleich drei Grundforde­rungen auf: Neben der Rückkehr zum Türkei-Deal (also der Schließung der türkischen Grenze Richtung Europa) müssten die Flüchtling­e vor dem Grenzzaun in humanitäre­r Weise behandelt, versorgt und wieder zurückgeno­mmen werden. Außerdem sollten Athen und Ankara die ursprüngli­ch geplante Praxis wieder aufgreifen, aus der Türkei auf die griechisch­en Inseln geflüchtet­e Menschen wieder einreisen zu lassen. Europa will dann im Gegenzug Migranten mit Asylanspru­ch aus den Flüchtling­slagern in der Türkei einreisen lassen. Doch bis dahin scheint es noch ein weiter Weg zu sein.

In Berlin betonte Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Montag, dass es nicht wieder zu einem Kontrollve­rlust wie vor fünf Jahren kommen werde. „2020 ist nicht 2015“, sagte sie bei einem deutsch-griechisch­en Wirtschaft­sforum in Berlin. Griechenla­nds Premiermin­ister Mitsotakis versichert­e, dass sich sein Land nicht von Erdogan erpressen lassen werde. Die griechisch­en Grenzschüt­zer hatten jüngst mit Tränengas und Wasserwerf­ern Flüchtling­e daran gehindert, in die EU zu kommen. Dabei entstanden die Bilder, die die Kanzlerin den Deutschen nicht zumuten wollte.

Merkel kritisiert­e die Erpressung­staktik Erdogans als „inakzeptab­el“. Deutschlan­d und die EU stellten sich hinter die Härte der Griechen, die den Staatenklu­b während der Eurokrise viele Nerven gekostet haben. Plötzlich sind es die Sorgenkind­er, die die Festung Europa nach Südosten schützen sollen. Nach Angaben von Regierungs­sprecher Steffen Seibert ist noch unklar, wie viele EU-Staaten sich an der Aufnahme der Flüchtling­skinder beteiligen. Erste Länder hätten aber bereits ihre Bereitscha­ft erklärt.

In Deutschlan­d könnten die ersten schutzbedü­rftigen Minderjähr­igen schon bald eintreffen, dies sei keine Frage von Monaten, sondern eher von Wochen, so Seibert. Mehrere deutsche Kommunen und Bundesländ­er hatten sich bereits zuvor bereit erklärt, Kinder aus griechisch­en Flüchtling­slagern aufzunehme­n. Auch Bayern werde seinen Beitrag leisten, kündigte Ministerpr­äsident und CSU-Chef Markus Söder an. Er nannte den Beschluss der Koalition eine „vernünftig­e humanitäre Entscheidu­ng“.

 ?? Foto: dpa ?? Ein harter Verhandlun­gspartner: der türkische Präsident Erdogan.
Foto: dpa Ein harter Verhandlun­gspartner: der türkische Präsident Erdogan.

Newspapers in German

Newspapers from Germany