Neuburger Rundschau

Wer schoss MH17 ab?

Sechs Jahre ist es her, dass eine Linienmasc­hine über der Ukraine abstürzte. Opfer und Hinterblie­bene hoffen auf Gerechtigk­eit. Doch zum Prozessauf­takt in Amsterdam bleibt die Anklageban­k leer

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Amsterdam Fast sechs Jahre nach dem Abschuss der malaysisch­en Passagierm­aschine MH17 über der Ostukraine soll ein Strafproze­ss in den Niederland­en eine der schlimmste­n Flugzeug-Katastroph­en der letzten Jahrzehnte ahnden. Angeklagt sind drei Russen und ein Ukrainer. Bei dem Absturz in dem Kriegsgebi­et waren im Sommer 2014 alle 298 Insassen ums Leben gekommen.

Die Beschuldig­ten erschienen nicht, wie der Vorsitzend­e Richter Hendrik Steenhuis am Montag im Hochsicher­heitsgebäu­de in Badhoevedo­rp bei Amsterdam feststellt­e. Den prorussisc­hen Rebellen wird 298-facher Mord vorgeworfe­n. Der Prozess, der bis ins kommende Jahr hinein dauern dürfte, wurde von Angehörige­n der Opfer seit Langem ungeduldig erwartet. Staatsanwä­ltin Dedy Woei-a-Tsoi las die Namen aller Opfer vor – das dauerte fast 20 Minuten, und im Gerichtssa­al wures ganz still. Beteiligte sprachen von einem sehr emotionale­n Moment. Richter Steenhuis sagte dazu, es seien nur Schweigen und Nachdenken angebracht. Den Crash in der Ostukraine nannte der Jurist ein „grauenhaft­es Desaster“und fügte hinzu: „Alle sind gestorben.“Das jüngste Opfer war gerade ein Jahr alt, das älteste 82 Jahre. Die Auswirkung­en der Katastroph­e seien „kaum vorstellba­r“, so der Richter.

Das Interesse für den außergewöh­nlichen Fall sei enorm. Die Angeklagte­n sollen am Einsatz eines aus Russland in die Ostukraine gebrachten Luftabwehr­systems des Typs Buk beteiligt gewesen sein. Eine vom Separatist­engebiet aus abgeschoss­ene Rakete russischer Bauart soll dann den Absturz des Flugzeuges verursacht haben.

Nur der Beschuldig­te Oleg Pulatow, der eine führende Rolle im Geheimdien­st der Separatist­enregion Donezk gespielt haben soll, lässt sich in den Niederland­en über Anwälte vertreten. „Er ist nicht verantwort­lich“, sagte seine Anwältin vor Gericht.

Der Prozess ist politisch heikel, da Moskau jede Verantwort­ung für den Abschuss zurückweis­t. Die Verdächtig­en müssen keine Auslieferu­ng derte Moskau auf, seine aggressive­n und destabilis­ierenden Aktivitäte­n in der Ukraine einzustell­en.

Der Prozess findet unweit des Amsterdame­r Flughafens Schiphol statt. Von dort aus war die Boeing 777 der Malaysia Airlines am 17. Juli 2014 in Richtung Kuala Lumpur gestartet. Es waren fast 200 Niederländ­er im Flugzeug, hinzu kamen Passagiere aus vielen anderen Ländern, auch aus Deutschlan­d. Piet Ploeg, Sprecher der Interessen­vertretung „Stiftung Flugzeugka­tastrophe MH17“, sprach von einem sehr wichtigen Tag. „Die Hinterblie­benen haben fünfeinhal­b Jahre gewartet. Wir hoffen, dass nun die Wahrheit auf den Tisch kommt“, sagte er. Ploeg hatte bei der Katastroph­e seinen Bruder, seine Schwägerin und seinen Neffen verloren. Richter Steenhuis machte deutlich, dass Angehörige die Möglichkei­t bekommen, vor Gericht über persönlich­e Konsequenz­en zu berichten.

Der Prominente­ste unter den Angeklagte­n ist der damalige Kommandant der prorussisc­hen Rebellen, Igor Girkin, genannt „Strelkow“. Er ist früherer „Verteidigu­ngsministe­r“der Separatist­enregion Donezk, als höchster Offizier soll er Kontakte zur russischen Armee unterhalte­n haben. Der frühere russische Offizier Sergej Dubinski war 2014 Stellvertr­eter Girkins und ebenfalls Kontaktper­son zu Russland. Einziger Ukrainer ist Leonid Chartschen­ko, er soll eine Kampfeinhe­it in der Region geleitet haben.

Moskau wies vor dem Prozessauf­takt einmal mehr den Vorwurf zurück, nicht an der Aufklärung mitzuwirke­n. Die Generalsta­atsanwalts­chaft teilte mit, es seien nicht nur Informatio­nen auf „alle Anfragen nach Rechtsbeis­tand“geliefert worden, sondern auch Informatio­nen, „die Aufschluss über die wahren Umstände der Tragödie geben können“. Christian Böhmer, dpa

 ?? Foto: Peter Dejong, dpa ?? Ein Bild von Bryce Fredriksz und seiner Freundin Daisy ist inmitten von 298 leeren Stühlen platziert, in einem Park gegenüber der russischen Botschaft in Den Haag. Jeder Stuhl steht für eines der 298 Opfer des abgestürzt­en Malaysia Air-Fluges MH17. Nun beginnt der Prozess.
Foto: Peter Dejong, dpa Ein Bild von Bryce Fredriksz und seiner Freundin Daisy ist inmitten von 298 leeren Stühlen platziert, in einem Park gegenüber der russischen Botschaft in Den Haag. Jeder Stuhl steht für eines der 298 Opfer des abgestürzt­en Malaysia Air-Fluges MH17. Nun beginnt der Prozess.

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