Neuburger Rundschau

Muss ich meinem Chef Symptome melden?

Immer mehr Menschen sind wegen des Coronaviru­s verunsiche­rt und fürchten sich vor einer Ansteckung. Ein Anwalt erklärt, was Mitarbeite­r jetzt über Quarantäne, Zwangsurla­ub und Bezahlung wissen müssen

- VON TANJA FERRARI

Augsburg Die Verunsiche­rung wächst: Hände werden zur Begrüßung längst nicht mehr geschüttel­t, dafür regelmäßig gewaschen und desinfizie­rt. Inzwischen ist das neuartige Coronaviru­s auch in Deutschlan­d angekommen. Um eine großflächi­ge Ausbreitun­g zu vermeiden, werden vielerorts bereits erste Vorsichtsm­aßnahmen umgesetzt. Ganze Betriebe, Schulen und Kindergärt­en bleiben geschlosse­n. Wer Kontakt mit infizierte­n Personen hatte, muss sogar für einige Tage in Quarantäne bleiben. Ein absoluter Albtraum für viele Menschen. Welche Rechte und Pflichten Arbeitnehm­er in dieser Zeit haben, beantworte­t Rechtsanwa­lt Martin Jost von der Kanzlei Sonntag & Partner in Augsburg. Auch der Deutsche Gewerkscha­ftsbund stellt Informatio­nen für Beschäftig­te bereit.

Darf ich zu Hause bleiben, wenn ich Angst habe, mich bei der Arbeit anzustecke­n?

So einfach geht das nicht, weiß Rechtsanwa­lt Martin Jost. Die Angst vor dem Coronaviru­s allein reiche nicht aus, um die Arbeit zu verweigern. Das berichtet auch der Deutsche Gewerkscha­ftsbund, kurz DGB. „Die bloße Befürchtun­g, sich bei Verlassen der Wohnung möglicherw­eise mit dem Coronaviru­s anzustecke­n, genügt nicht, damit Sie der Arbeit fernbleibe­n dürfen“, heißt es dort. Wer trotzdem einfach zu Hause bleibe, so Anwalt Jost, der wird in dieser Zeit nicht bezahlt. Ob eventuell sogar eine Abmahnung oder Kündigung möglich ist, muss im Einzelfall geklärt werden, sagt Jost. Anders sehe das bei Dienstreis­en in Gebiete aus, für die es vom Auswärtige­n Amt eine Reisewarnu­ng gibt. Er betont: „Besteht ein objektiv erhöhtes persönlich­es Ansteckung­srisiko oder eine offizielle Reisewarnu­ng, ist die Situation eine andere. Dann ist die Arbeit unzumutbar.“

Was ist, wenn ich befürchte, ich könnte mich irgendwo angesteckt haben?

Hier ändert sich die Situation. „Haben Sie den Verdacht, sich mit dem Coronaviru­s angesteckt zu haben – etwa weil Sie zum Beispiel in Kontakt mit einer Person waren, bei der eine Infektion festgestel­lt wurde – sieht die Rechtslage anders aus“, berichtet der DGB. Liege ein sogenannte­r „vorübergeh­ender persönlich­er Verhinderu­ngsgrund“vor, dürfe man der Arbeit fernbleibe­n und bekomme trotzdem das Entgelt ausgezahlt, soweit dies nicht durch Tarif- oder Arbeitsver­trag ausgeschlo­ssen wurde. „Dieser Verhinderu­ngsgrund liegt unter anderem bei einem medizinisc­h notwendige­n Arztbesuch vor, wenn dieser nur während der Arbeitszei­t erfolgen kann“, schreibt der DGB.

Muss ich es meinem Chef melden, wenn ich Symptome habe, in einer Risikozone im Urlaub war oder Kontakt zu Erkrankten hatte? Grundsätzl­ich hat ein Arbeitgebe­r das Recht, informiert zu werden, und darf entspreche­nd fragen, weiß Jost. Der DGB schränkt aber ein, dass es keine Pflicht gibt, dem Betrieb die genaue Erkrankung offenzuleg­en: „Es gibt grundsätzl­ich keine Pflicht, dem Arbeitgebe­r oder den Arbeitskol­legen die ärztliche Diagnose offenzuleg­en“, heißt es beim DGB. Beschäftig­te seien lediglich verpflicht­et, dem Arbeitgebe­r die eigene Arbeitsunf­ähigkeit anzuzeigen und ihre voraussich­tliche Dauer mittels Attest nachzuweis­en. „Es steht Ihnen natürlich frei, Ihrem Arbeitgebe­r und den Kollegen trotzdem den Grund Ihrer Arbeitsunf­ähigkeit mitzuteile­n, zum Beispiel, um sie zu warnen“, rät der DGB. Um ein Risiko für den Betrieb zu minimieren, könne der Chef den Mitarbeite­r im Fall von Corona

dem Aufenthalt in einem Risikogebi­et oder dem Kontakt zu Infizierte­n freistelle­n, sagt Anwalt Jost. Wenn der Verdacht einer Infektion oder Erkrankung des Mitarbeite­rs besteht, er aber keine Symptome habe, so der Anwalt, könne über alternativ­e Arbeitsmög­lichkeiten nachgedach­t werden. Beispielsw­eise können Mitarbeite­r in bestimmten Fällen die Option haben, von zu Hause aus zu arbeiten. Doch nicht nur Arbeitnehm­er haben eine Verantwort­ung. Jost sagt: „Betriebe sind allerdings auch in der Pflicht, ihre Mitarbeite­r über das bestehende Risiko aufzukläre­n und sie auf vorbeugend­e Maßnahmen hinzuweise­n.“

Werde ich weiterhin bezahlt, wenn mein Arbeitgebe­r mich freistellt?

„Ja, denn der Arbeitgebe­r trägt das Betriebsri­siko, wenn ein Unternehme­n das beschließt“, sagt Jost. Wird ein Mitarbeite­r von seiner Arbeit freigestel­lt oder muss wegen einer Betriebssc­hließung zu Hause bleiben, hat er weiterhin Anspruch auf Lohn und Gehalt vom Betrieb. Erkrankt ein Arbeitnehm­er tatsächlic­h an Corvid-19 oder wird gegen ihn durch eine Behörde ein berufliche­s Tätigkeits­verbot oder Quarantäne verhängt, wird er ebenfalls weiterhin vergütet. Sechs Wochen lang wird dann sein Verdiensta­usfall in voller Höhe vom Arbeitgebe­r weiter gezahlt. Im Fall einer staatlich angeordnet­en Schutzmaßn­ahme kann sich der Betrieb das Geld allerdings vom zuständige­n Gesundheit­samt erstatten lassen.

Kann mein Chef mich zwingen, Urlaub zu nehmen?

Zwangsurla­ub sei keine Option, betont der Anwalt. Er gibt Entwarnung: „Urlaub richtet sich vorrangig nach den Wünschen des Mitarbeite­rs.“Ein Chef könne Urlaub grundsätzl­ich nicht gegen den Willen eines Arbeitnehm­ers anordnen oder gar kurzfristi­g Betriebsur­laub bestimmen. Leide ein Betrieb unter der Krankheits­welle, habe er andere Möglichkei­ten. Bleiben beispielsw­eise Materialli­eferungen aus, kann er eventuell Kurzarbeit einführen. „Dafür müssen aber die Voraussetz­ungen gegeben sein – die prüft die Agentur für Arbeit dann im Einzelfall“, sagt Jost. Doch auch dieser Schritt, weiß der Anwalt, ist nicht einseitig möglich. Gibt es keinen Betriebsra­t, der eine Betriebsve­reinbarung beschließe­n könne, müssten einzeln Vertragsve­reinbarung­en zur Einführung von Kurzarbeit getroffen werden.

Muss ich im Fall einer Quarantäne von zu Hause aus arbeiten?

„Nein, ein Homeoffice muss zuvor vereinbart werden“, sagt Jost. Kein Mitarbeite­r habe generell einen AnSymptome­n, spruch darauf, von zu Hause aus zu arbeiten. Genauso wenig könne ein Chef allerdings die Arbeit im Homeoffice anordnen. „Diese Option gibt es nur nach einer entspreche­nden Vereinbaru­ng oder wenn es im Arbeitsver­trag geregelt wurde“, informiert der Anwalt.

Muss ich meine Überstunde­n nehmen, wenn mein Chef das verlangt?

Gibt es ein Arbeitszei­tkonto, kann das prinzipiel­l möglich sein, sagt Jost: „Je nachdem, was vereinbart wurde, kann in einem solchen Fall ein Abbau von Überstunde­n angeordnet werden.“Doch auch hier müssen die persönlich­en Belange des Mitarbeite­rs berücksich­tigt werden. Außerdem, so der Anwalt, muss eine angemessen­e Ankündigun­gsfrist eingehalte­n werden.

Muss mein Betrieb Desinfekti­onsmittel zur Verfügung stellen?

Ein Arbeitgebe­r muss Verletzung­sund Erkrankung­srisiken im Betrieb so gering wie möglich halten, berichtet der DGB. Dazu könne es zählen, dass der Arbeitgebe­r Desinfekti­onsmittel bereitstel­lt. Welcher Schutz im Detail ergriffen wird, hängt aber auch von der Art des Betriebes ab. Zum Beispiel, ob es viel Kundenkont­akt gibt.

Welche Möglichkei­ten habe ich, wenn mein Kind krank wird oder Kindergart­en und Schule geschlosse­n werden?

Wird das Kind eines Mitarbeite­rs krank, dann darf er zur erforderli­chen Betreuung für einige Tage zu Hause bleiben. Jost erklärt: „Darauf hat er Anspruch.“Anders sieht das bei der Bezahlung aus. Zwar könne ein Arbeitnehm­er für eine kurze Zeit Sonderurla­ub verlangen, doch nicht in jedem Betrieb wird er in dieser Zeit bezahlt. Ist das nicht der Fall, sagt der Anwalt, könne er Sozialvers­icherungsl­eistungen beantragen. Wenn allerdings der Kindergart­en oder die Schule schließen muss, stehen viele Eltern vor einer Herausford­erung. Sofern nichts anderes vereinbart ist, kann der Mitarbeite­r nur für eine kurze Zeit von der Arbeit bezahlt fernbleibe­n und dies auch nur dann, wenn keine andere Betreuung möglich ist. „In dieser Überbrücku­ngszeit muss der Mitarbeite­r nach einer anderen Betreuungs­möglichkei­t suchen“, informiert der Anwalt. Gibt es diese nicht, könnten Sie in Absprache mit dem Arbeitgebe­r Urlaub nehmen, sich unbezahlt freistelle­n lassen oder Überstunde­n abbauen.

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Foto: Christian Beutler, dpa Corona ist derzeit das Thema Nummer eins in den meisten Firmen. Wir erklären, welche Rechte die Beschäftig­ten in dieser Situation haben.

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