Das kann nur schiefgehen
Giuseppe Verdis „I masnadieri“hätte in München ein psychologisches Kammerspiel werden sollen. Aber es blieb bei einer Räuberpistole – mit Diana Damrau als Amalia
München Giuseppe Verdi, wir wissen es, war durchaus ein politischer Kopf. Aber Politik und Oper über die zarte Metapher und über die verdichtete Parole hinaus zu verknüpfen („Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire“), das kam für den praktischen Dramatiker natürlich nicht infrage. Auch nicht in „I masnadieri“(1847) nach Schillers hochpolitischen Proteststück „Die Räuber“. Eingangs singt Carlo zwar „Ich möchte ganz Deutschland befreien!“– aber damit flaut dann auch jeglicher politische Sturm gleich ab. Was folgt, ist eine reine Familientragödie.
Und diese Familientragödie mit krudem Finale wollte nun auch der Regisseur Johannes Erath für die Bayerische Staatsoper inszenieren – als ein psychologisches Kammerspiel der Ursachenforschung und Vergangenheitsreflexion. Aber mehr als ein – weitgehend folgenloser – Grundgedanke und eine einzige Szene, in der sich Kindheitserinnerung und Zukunftshoffnung verdichten, ist dabei nicht herausgekommen. Man erlebt szenischen Magerquark – über weite Strecken peinlich ausgetreten. Dass darin starke Vokalsolisten wie in einem Schaufenster ausgestellt werden, versöhnt bedingt, kann aber den Abend in dieser Form nicht rechtfertigen. Eine konzertante Aufführung der „I masnadieri“, die ja nie ins Repertoire fanden und auch deswegen eines restlos überzeugenden Regiekonzepts vorab bedürfen, wäre adäquat gewesen.
Ein Cello singt im Orchester. Es singt an Mutters statt. An der tradierten Familientafel kann sie nur noch teilnehmen in Form eines Fotos mit Trauerschleife. Hinten im Raum: ihr in Ehren gehaltener Cello-Kasten. Das ist der Grundgedanke dieses Abends, der immer wieder zurückblendet auch auf Jugendszenen zwischen Carlo (Karl) und Francesco (Franz), die – sich kloppend – wohl schon immer grundverschieden waren. Und nun fehlt auch noch eine ausgleichende, vermittelnde, jegliche Aggressivität kanalisierende Mutter. Das kann nur schiefgehen, vermittelt der Abend unterschwellig. Und es geht schief.
Auch Amalia, Cousine von Carlo und Francesco und Nichte Massimilianos, kann hier nichts am Platz der Mutter an der Familientafel retten. Zwischen den Fronten der drei Männer wird sie zerrieben; sie ist einfach zu gut. Wenn Francesco sie gewalttätig besitzen will und schon mal – ziemlich lächerlich – die Hose runterlässt, hält sie ihm das Bild seiner Mutter und das Cello wie ein Kruzifix vor, wie ein Mittel zur Dämonenbannung. Beeindruckt den bösen Burschen aber nur kurz.
wenn zum Finale eine weiß gestrichene Hirschfamilie als dämlich symbolistische „Familienaufstellung“auf die Bühne fährt, dann ist der Zerfall dieser Familie, der Kollaps schon längst nicht mehr aufzuhalten. Carlo rammt Amalia ein Messer in den Bauch – und ein Abend, der „psycho“hätte sein sollen, ist doch nur eine nächtliche Räuberpistole geblieben, ein Schauerund Albtraumstück des 19. Jahrhunderts, überdies mit viel frontalem Rampentheater und StandardGestik, mit stereotyper Szenenfolge in einem Bühnenbild (Kaspar Glarner), das repräsentativ mordsmäßig was hermachen will (Prospekt-Palast-Architektur), aber kein überzeugendes Proportionsverhältnis zu den handelnden Personen findet. Alles Szenische verharrte im gut Gemeinten, aber nicht Gelungenen.
Ausnahme: das Duett Carlo/ Amalia im dritten Akt, eine Wiedersehensszene. Da verdichtet und kristallisiert sich Erinnerung, momentanes Glück und Zukunftshoffnung packend in einer Viererkonstellation: Carlo, Amalia und – als
Doubles – ihr Ebenbild aus Kindheitstagen. Bild und Musik wirken nicht nur intensiv, sondern auch sinnverstärkend zusammen – was natürlich auch mit besagten starken Vokalsolisten zusammenhängt.
Charles Castronovo ist ein flamboyanter Tenor in der Rolle des Carlo. Eine so hitzige wie tragische Stimme. Er kann den Einzelton wie ganze Phrasen genauso schön öffnen und schließen, wie Räuberbraut Diana Damrau als Amalia sie aufund abzublenden versteht. Das harmoniert natürlich bestens – und darin liegt der Wert des Abends nahezu allein. Nur das Vokale macht ihn reizvoll und darin wiederum der nach wie vor so frische, so jugendliche Sopran der Damrau. Im Aussingen geht sie an ihre Grenzen und ein-, zweimal wirkt das auch angeschärft – aber wie sie insgesamt den soprano drammatico d’agilità des junUnd gen Verdi im ersten Akt belkantistisch nobilitiert und später dann mit Koloraturen verziert, das ist schon bewegende, große Klasse. Und dann wird dieser menschliche Engel final zusammengestochen …
Wenn Carlo eine Vorform des Don Carlos ist, dann Francesco eine Vorform des nihilistischen Jago. Igor Golovatenko singt ihn mit gewaltvollem Bariton entsprechend schwarz, perfide, triumphierend. Ein mächtiges, raumfüllendes Organ, dem nur der Staatsopernchor Paroli bieten kann. Mika Kares’ Massimiliano hingegen schwankt ein wenig in seiner stimmlichen Durchschlagskraft.
Und das Bayerische Staatsorchester? Michele Mariotti führte es gewiss zu Schlagkraft und dramatischer Verve. Doch großartig differenziert blieb das nicht, eher robust, eher pauschal. Auch in dieser VerdiPartitur steckt mehr drin. Bravos für die Sänger – wenn auch insgesamt verhalten für Münchner Verhältnisse; deutliche Ablehnung des Regieteams. Aber Letzteres konnte gar nicht anders kommen.
Diana Damrau nobilitiert Giuseppe Verdis Soprano drammatico