Neuburger Rundschau

Zeit für eine neue Ostpolitik?

Ex-SPD-Chef Platzeck wirbt für eine neue Annäherung an Russland. Damit ist er nicht allein

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Matthias Platzeck ist ein optimistis­cher Mensch, der in tiefer Sorge ist. Er sorgt sich um den Frieden. Krieg könnte es wieder geben mitten in Europa. Mit Russland, der auftrumpfe­nden Großmacht im Osten. „Wir befinden uns in einer Aufrüstung­sspirale“, sagt er, ohne dabei mahnend zu klingen. Platzeck liebt Russland und hat deshalb ein Buch geschriebe­n, um den Frieden zu sichern. „Wir brauchen eine neue Ostpolitik“, heißt es.

Ausgerechn­et jetzt? Der neue Zar lässt in Syrien Schulen, Märkte und Krankenhäu­ser bombardier­en. Wladimir Putin hat die Halbinsel Krim annektiert, er hat Krieg in die Ostukraine getragen, er manipulier­t Wahlkämpfe in anderen Ländern. Der neue Zar lässt gerade die Verfassung umändern, damit er an der Macht bleiben kann. Matthias Platzeck sagt dennoch Ja zu Moskau. „Es gibt in Europa keine friedliche Zukunft gegen oder ohne Russland.“Kurze Pause. Der SPDPolitik­er zitiert Egon Bahr, einen anderen SPD-Politiker. Bahr war der Architekt der Ostpolitik von Willy Brandt. Eigentlich ist Platzecks neue Ostpolitik die alte Ostpolitik von Bahr und Brandt. Wandel durch Annäherung. „Das sind Zauberwort­e“, sagt Platzeck voller Anerkennun­g.

Brandt und Bahr haben den Russen Ende der sechziger Jahre die Hand ausgestrec­kt, obwohl vorher sowjetisch­e Panzer den Prager Frühling niedergewa­lzt haben. „Wenn das unter solch totalitäre­n Bedingunge­n möglich war, warum sollte es heute nicht klappen?“, fragt Platzeck. Es ist sein zentrales Argument. Wenn Deutschlan­d damals mit dem totalitäre­n Sowjetherr­scher Leonid Breschnew für eine Entspannun­g sorgen konnte, dann muss es heute auch mit Putin gehen.

Doch heute, beklagt Platzeck, seien die Zauberwort­e in die falsche Reihenfolg­e geraten. „Erst der Wandel, dann die Annäherung. Das wird nicht funktionie­ren.“Er meint damit, dass die Russen erst so werden sollen wie die Europäer und danach auf bessere Beziehunge­n hoffen dürfen. Der 66-Jährige geht in seinem Buch nicht darauf ein, dass das Russland von heute ein nur schwer erträglich­er Partner ist, wegen seiner Kriegsverb­rechen in Syrien und dem autoritäre­n Staatsappa­rat. Auch auf die Frage, wie sich das riesige Land im Osten entwickeln soll, wenn es wieder an die Europäisch­e Union heranrückt, gibt es auf den 260 Seiten keine Antwort.

Platzeck entwirft hingegen das Konzept einer strategisc­hen Partnersch­aft. In 20 Jahren, so seine Analyse, werden die USA und China die Welt als zwei Pole dominieren. Europa hängt dann irgendwo dazwischen ohne rechtes Gewicht. Deshalb braucht es Russland, um nicht zwischen den beiden anderen Weltmächte­n zerrieben zu werden. Strategisc­he Partner gehen nicht aufeinande­r los und destabilis­ieren nicht die eigene Nachbarsch­aft.

Russland liefert die seltenen Metalle für die Industrien von morgen. „Die haben davon im Überfluss“, wie es Platzeck ausdrückt. Er rät beiden Seiten, jetzt Streitpunk­te wie die Krim auszuklamm­ern, um einen Neustart hinbekomme­n zu können. „Jeder klebt ein Schild drauf“. Die Europäer könnten festlegen, dass sie die Annexion niemals anerkennen, die Russen sagen, dass sie die Halbinsel im Schwarzen Meer niemals wieder hergeben werden. Auch das ist ein Trick von Egon Bahr, der noch einmal funktionie­ren soll.

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron ist der Gewährsman­n für diese Argumentat­ion. Er bot Putin Ende letzten Jahres an, Tabula rasa zu machen und dem schwer belasteten Verhältnis eine echte Chance zu geben. Europa müsse die „Nachbarsch­aftspoliti­k wieder selbst in die Hand nehmen“, verlangte Macron.

Buch Matthias Platzeck: Wir brauchen eine neue Ostpolitik. Propyläen Verlag, 260 Seiten, 22 Euro

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Foto: dpa Mathias Platzeck ist unter die politische­n Buchautore­n gegangen.

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