Zeit für eine neue Ostpolitik?
Ex-SPD-Chef Platzeck wirbt für eine neue Annäherung an Russland. Damit ist er nicht allein
Berlin Matthias Platzeck ist ein optimistischer Mensch, der in tiefer Sorge ist. Er sorgt sich um den Frieden. Krieg könnte es wieder geben mitten in Europa. Mit Russland, der auftrumpfenden Großmacht im Osten. „Wir befinden uns in einer Aufrüstungsspirale“, sagt er, ohne dabei mahnend zu klingen. Platzeck liebt Russland und hat deshalb ein Buch geschrieben, um den Frieden zu sichern. „Wir brauchen eine neue Ostpolitik“, heißt es.
Ausgerechnet jetzt? Der neue Zar lässt in Syrien Schulen, Märkte und Krankenhäuser bombardieren. Wladimir Putin hat die Halbinsel Krim annektiert, er hat Krieg in die Ostukraine getragen, er manipuliert Wahlkämpfe in anderen Ländern. Der neue Zar lässt gerade die Verfassung umändern, damit er an der Macht bleiben kann. Matthias Platzeck sagt dennoch Ja zu Moskau. „Es gibt in Europa keine friedliche Zukunft gegen oder ohne Russland.“Kurze Pause. Der SPDPolitiker zitiert Egon Bahr, einen anderen SPD-Politiker. Bahr war der Architekt der Ostpolitik von Willy Brandt. Eigentlich ist Platzecks neue Ostpolitik die alte Ostpolitik von Bahr und Brandt. Wandel durch Annäherung. „Das sind Zauberworte“, sagt Platzeck voller Anerkennung.
Brandt und Bahr haben den Russen Ende der sechziger Jahre die Hand ausgestreckt, obwohl vorher sowjetische Panzer den Prager Frühling niedergewalzt haben. „Wenn das unter solch totalitären Bedingungen möglich war, warum sollte es heute nicht klappen?“, fragt Platzeck. Es ist sein zentrales Argument. Wenn Deutschland damals mit dem totalitären Sowjetherrscher Leonid Breschnew für eine Entspannung sorgen konnte, dann muss es heute auch mit Putin gehen.
Doch heute, beklagt Platzeck, seien die Zauberworte in die falsche Reihenfolge geraten. „Erst der Wandel, dann die Annäherung. Das wird nicht funktionieren.“Er meint damit, dass die Russen erst so werden sollen wie die Europäer und danach auf bessere Beziehungen hoffen dürfen. Der 66-Jährige geht in seinem Buch nicht darauf ein, dass das Russland von heute ein nur schwer erträglicher Partner ist, wegen seiner Kriegsverbrechen in Syrien und dem autoritären Staatsapparat. Auch auf die Frage, wie sich das riesige Land im Osten entwickeln soll, wenn es wieder an die Europäische Union heranrückt, gibt es auf den 260 Seiten keine Antwort.
Platzeck entwirft hingegen das Konzept einer strategischen Partnerschaft. In 20 Jahren, so seine Analyse, werden die USA und China die Welt als zwei Pole dominieren. Europa hängt dann irgendwo dazwischen ohne rechtes Gewicht. Deshalb braucht es Russland, um nicht zwischen den beiden anderen Weltmächten zerrieben zu werden. Strategische Partner gehen nicht aufeinander los und destabilisieren nicht die eigene Nachbarschaft.
Russland liefert die seltenen Metalle für die Industrien von morgen. „Die haben davon im Überfluss“, wie es Platzeck ausdrückt. Er rät beiden Seiten, jetzt Streitpunkte wie die Krim auszuklammern, um einen Neustart hinbekommen zu können. „Jeder klebt ein Schild drauf“. Die Europäer könnten festlegen, dass sie die Annexion niemals anerkennen, die Russen sagen, dass sie die Halbinsel im Schwarzen Meer niemals wieder hergeben werden. Auch das ist ein Trick von Egon Bahr, der noch einmal funktionieren soll.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist der Gewährsmann für diese Argumentation. Er bot Putin Ende letzten Jahres an, Tabula rasa zu machen und dem schwer belasteten Verhältnis eine echte Chance zu geben. Europa müsse die „Nachbarschaftspolitik wieder selbst in die Hand nehmen“, verlangte Macron.
Buch Matthias Platzeck: Wir brauchen eine neue Ostpolitik. Propyläen Verlag, 260 Seiten, 22 Euro