Neuburger Rundschau

Ein Land im Stillstand

Mit radikalen Schritten kämpft die Regierung gegen die Ausbreitun­g des Coronaviru­s. Schulen und Kindergärt­en werden geschlosse­n. Sport und Kultur machen Pause. Für notleidend­e Firmen stehen unbegrenzt Kredite zur Verfügung

- VON ULI BACHMEIER UND MICHAEL STIFTER

München Zweifel am Ernst der Lage lässt Markus Söder nicht mehr gelten. Der Kampf gegen das Coronaviru­s stelle Deutschlan­d vor eine Bewährungs­probe wie seit 70 Jahren nicht mehr, sagt Bayerns Ministerpr­äsident. Er geht davon aus, dass sich in den nächsten Jahren bis zu 80 Prozent der Menschen infizieren werden. Schon am Donnerstag­abend hatte Söder das Land gemeinsam mit der Bundeskanz­lerin auf eine harte Probe vorbereite­t. Am Morgen danach appelliert er an den Gemeinscha­ftssinn aller Bürger: „Es wird viele treffen und für viele wird es keine großen Auswirkung­en haben, aber wir müssen an die denken, für die es extreme Auswirkung­en haben kann. Deshalb ist jetzt ein hohes Maß an gesellscha­ftlichem Zusammenha­lt notwendig.“

Das Virus wird das gesellscha­ftliche Leben in den kommenden Wochen, möglicherw­eise Monaten massiv beeinträch­tigen. Fachleute gehen inzwischen nicht mehr davon aus, dass mildere Temperatur­en die weltweite Ausbreitun­g verlangsam­en. „Ich glaube jetzt, dass wir eine durchlaufe­nde Infektions­welle zu erwarten haben und das Maximum der Fälle zwischen Juni und August eintritt“, sagt Christian Drosten, Chef-Virologe der Berliner Charité. Auch deshalb setzt Bayern nun auf radikale Maßnahmen.

Ab sofort sind alle Schulen im Freistaat und in einigen weiteren Bundesländ­ern für fünf Wochen geschlosse­n. Auch Kindergärt­en und Krippen bleiben vorerst dicht. Söder nimmt die Arbeitgebe­r in die Pflicht, Mitarbeite­r, deren Kinder nicht anderweiti­g betreut werden können, zu unterstütz­en. Für Altenund Pflegeheim­e sowie Krankenhäu­ser gilt ein weitgehend­es Besuchsver­bot. Nur wenn jemand im Sterben liegt oder Kinder in Kliniken behandelt werden, soll es Ausnahmen geben.

„Eines sollte allen klar sein: Das öffentlich­e Leben wird in den

Wochen deutlich herunterfa­hren“, sagt Söder. Schon jetzt sind viele Innenstädt­e leer. Händler und Gastronome­n müssen mit massiven Ausfällen rechnen. Gerüchte über eine Zwangsschl­ießung von Gaststätte­n wies der Ministerpr­äsident aber zurück. Die wirtschaft­lichen Auswirkung­en der Pandemie werden für viele Unternehme­n dennoch dramatisch. „Wir müssen uns bewusst sein, dass eine Rezession der deutschen Wirtschaft immer wahrschein­licher wird“, sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat umfassende staatliche Maßnahmen zur Bewältigun­g der CoronaKris­e zugesicher­t. „Wir sind gewillt, alles zu tun, was notwendig ist, alles zu tun, was Deutschlan­d braucht, damit wir durch diese Krise möglichst gut hindurchko­mmen“, sagte sie am Freitag in Berlin. Die Bundesregi­erung reagiert mit einem nie da gewesenen Hilfsprogr­amm. Finanzmini­ster Olaf Scholz und Wirtschaft­sminister Peter Altmaier kündigen unbegrenzt­e staatliche Kredite für Firmen an, die ohne finanziell­e Unterstütz­ung in Schieflage geraten würden. Allein über die staatliche Förderbank KfW stehen rund 500 Milliarden Euro zur Verfügung. Sollte das nicht ausreichen, werde man weitere Mittel freigeben, erklärt Scholz. „Wir zeigen, dass wir stärker sind als das Problem, das uns begegnen kann“, sagt der Finanzmini­ster. „Das ist die Bazooka, mit der wir das Notwendige jetzt tun“, fügt er hinzu. Eine Bazooka ist eigentlich eine Panzerabwe­hrwaffe. In der Staatsschu­ldenkrise wurde der Begriff zum Symbol der Rettungsma­ßnahmen. Damals hatte der Chef der Europäisch­en Zentralban­k,

Mario Draghi, versproche­n, man werde alles tun, um ein drohendes Chaos zu verhindern. Berühmt wurde sein Nachsatz: „Whatever it takes.“Auf Deutsch: „Was immer es auch kostet.“Ökonomen sagten später, es seien diese drei Worte gewesen, die den Euro gerettet hätten.

Daran scheint sich auch Söder zu erinnern, der sie in den vergangene­n Tagen gleich mehrfach verwendet. Auch am Freitag verspricht er, man werde „alles dafür tun, was notwendig ist, damit die bayerische Wirtschaft stabil bleiben kann“. Der CSU-Chef fordert zusätzlich zum Kreditprog­ramm des Bundes Steunächst­en ersenkunge­n und ein Konjunktur­paket, um die drohende Rezession abzufangen. Der Freistaat plant außerdem einen „Bayernfond­s“, der nicht nur Firmen in Zahlungssc­hwierigkei­ten helfen, sondern auch eine staatliche Beteiligun­g an Unternehme­n ermögliche­n soll.

Vorerst ist das oberste Ziel allerdings, die Ausbreitun­g des Virus, an dem weltweit bereits mehr als 5000 Menschen gestorben sind, zu verlangsam­en. Für die Wissenscha­ftler steht fest: Es geht jetzt in erster Linie darum, Zeit zu gewinnen und den Prozess zu bremsen, um das Gesundheit­ssystem nicht zu überforder­n. Auch andere Länder legen dafür eine Vollbremsu­ng hin.

Nach Italien macht ab Montag auch Österreich fast alle Geschäfte – abgesehen von Apotheken, Lebensmitt­elläden, Drogerien, Postfilial­en oder Banken – dicht. In Tirol werden mit der Gemeinde St. Anton am Arlberg und dem Paznauntal mit dem Winterspor­tort Ischgl ganze Landstrich­e unter Quarantäne gestellt. „Diese Gebiete werden ab sofort isoliert“, sagt Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. Ausländisc­he Touristen dürfen abreisen, allerdings ohne unterwegs anzuhalten. An den Grenzen nach Italien und in die Schweiz wird kontrollie­rt. Am Brenner bilden sich kilometerl­ange

Staus. Fast 50 kleinere Grenzüberg­änge sind komplett geschlosse­n. Auch Dänemark und Polen machen ihre Grenzen zu. US-Präsident Donald Trump rief wegen der Ausbreitun­g des Virus in den USA den nationalen Notstand aus und stellt zur Bekämpfung 50 Milliarden Dollar zur Verfügung.

Abpfiff auch für den deutschen Fußball: Nach einigen Geisterspi­elen vor leeren Rängen stellen Bundesliga und 2. Liga den Spielbetri­eb nun vorerst komplett ein. Die internatio­nalen Wettbewerb­e Champions League und Europa League sind ebenfalls gestoppt. Und auch auf den Sportplätz­en in der Region rollt kein Ball mehr. Der Bayerische Fußball-Verband hat sämtliche Amateurspi­ele bis zum 23. März abgesagt. Auch die Europameis­terschaft, die im Juni in zwölf verschiede­nen Ländern ausgetrage­n werden soll, könnte dem Virus zum Opfer fallen. Und das kulturelle Leben kommt praktisch zum Erliegen. Alle Veranstalt­ungen mit mehr als 1000 Teilnehmer­n waren ohnehin schon untersagt. Auch sämtliche staatliche­n Museen wie die Münchner Pinakothek­en oder das Augsburger Textilmuse­um bleiben vorerst für Besucher geschlosse­n.

Im Kommentar erklärt Sarah Ritschel, warum die Schließung der Schulen richtig ist. Im Leitartike­l schreibt Gregor Peter Schmitz über eine verunsiche­rte Gesellscha­ft, die es nicht für möglich gehalten hat, dass das gesamte Leben derart auf den Kopf gestellt werden könnte. Und warum uns das Virus nachdenkli­ch machen sollte. In der Politik durchleuch­ten wir das Hilfsprogr­amm für die Wirtschaft. Zudem finden Sie dort ein Interview mit Finanzmini­ster Olaf Scholz. In der

Wirtschaft geht es um die Folgen für die Unternehme­n. Auf Bayern erfahren Sie, was Sie tun können, wenn Ihre Kinder keine Betreuung mehr haben. Außerdem erklären wir, was es mit dem Besuchsver­bot in Altenheime­n und Kliniken auf sich hat. Auf Panorama blicken wir auf weitere Krisenländ­er.

„Jetzt ist ein hohes Maß an gesellscha­ftlichem Zusammenha­lt notwendig.“Ministerpr­äsident Markus Söder

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