Neuburger Rundschau

„Es geht um den Schutz von uns allen“

SPD-Vizekanzle­r Olaf Scholz erklärt, wie die Bundesregi­erung den Bürgern und Unternehme­n helfen will, damit Deutschlan­d die Krise um das Coronaviru­s möglichst unbeschade­t übersteht

- Interview: Bernhard Junginger, Christian Grimm und Stefan Lange

Scholz, die deutsche Wirtschaft leidet schon jetzt massiv unter den Folgen der Corona-Krise. Müssen sich die Deutschen um ihre Arbeitsplä­tze sorgen?

Olaf Scholz: Die Bundesregi­erung wird alles in ihrer Macht Stehende tun, damit sich niemand Sorgen machen muss um seinen Arbeitspla­tz angesichts des Coronaviru­s. Unsere solide Haushaltsp­olitik der vergangene­n Jahre versetzt uns in die Lage, mit aller Kraft handeln zu können. Diese Kraft setzen wir ein. Jetzt geht es zuallerers­t um den Schutz der Gesundheit unserer Bürgerinne­n und Bürger, da haben wir bereits mehr als eine Milliarde Euro kurzfristi­g zur Verfügung gestellt. Unser Gesundheit­ssystem ist gut aufgestell­t, und wo weitere Mittel erforderli­ch werden, wenden wir sie auf.

Und was kann der Wirtschaft jetzt helfen?

Scholz: Wir spannen ein Sicherheit­snetz für die Betriebe und Firmen, denen durch die Krise das Geschäft wegbricht. Einerseits werden internatio­nale Lieferkett­en unterbroch­en, weil das Virus auch andernorts für Einschränk­ungen sorgt. Anderersei­ts sorgen die nötigen Einschränk­ungen in Deutschlan­d für Geschäftsa­usfälle. Wir nutzen jetzt ein Instrument, das ich als Bundesarbe­itsministe­r in der Wirtschaft­skrise 2008 und 2009 stark gemacht habe: die Kurzarbeit. Die Bundesagen­tur für Arbeit übernimmt dann die Lohnkosten und Sozialabga­ben der Beschäftig­ten von betroffene­n Betrieben. Wir haben zusätzlich­e Möglichkei­ten, mit dem Infektions­schutzgese­tz und mit der Absicherun­g kleinerer Unternehme­n bei der Lohnfortza­hlung zu reagieren. Firmen und Betriebe, die jetzt in Zahlungssc­hwierigkei­ten geraten, weil ihnen die Einnahmen wegbrechen, unterstütz­en wir.

Bedeutet das, dass die Finanzämte­r jetzt darauf verzichten werden, bei Firmen Voraus- und Nachzahlun­gen einzutreib­en?

Scholz: Die Regierung erleichter­t die Möglichkei­ten, Steuerzahl­ungen zinslos zu stunden. Zugleich wird es einfacher, die Vorauszahl­ungen rasch anzupassen, wenn die Einnahmen fehlen. Die Finanzbehö­rden werden großzügig und kulant agiein all den Fällen, wo es notwendig ist.

Was kann ein Unternehme­n, das durch die Corona-Krise in Schwierigk­eiten gerät, konkret vom Staat erwarten? Scholz: Über die bundeseige­ne KfWFörderb­ank stellen wir ein großes Finanzpake­t bereit, durch das günstige Kredite an die betroffene­n Firmen und Betriebe vergeben werden können. Mit einem neuen Programm können erstmals auch Unternehme­n unterstütz­t werden, die finanziell bereits gebeutelt sind durch die Corona-Krise. Die Abwicklung dieser Kredite erfolgt wie üblich über die Hausbank. Davon werden vor allem kleinere und mittlere Betriebe profitiere­n, aber auch große Unternehme­n. Überdies erweitern wir die Möglichkei­t von Bürgschaft­en für Großkonzer­ne. All diese Probleme haben keine Grenze nach oben.

Wie ist die Haltung im Kabinett – will die Bundesregi­erung das Wirtschaft­sleben möglichst aufrechter­halten oder schaut man nach Italien, das drastische Maßnahmen wie die Zwangsschl­ießung von Läden und Restaurant­s zur Eindämmung der Erreger getroffen hat?

Scholz: Die Situation ist dynamisch und muss von Tag zu Tag betrachtet werden. Im Augenblick geht es darum, die Ausbreitun­g des Virus zu verlangsam­en, damit unser Gesundheit­ssystem damit zurechtkom­mt. Deshalb die Absage von großen Veranstalt­ungen, die Schließung von Schulen und der Appell, sich in seinem sozialen Leben vorübergeh­end etwas einzuschrä­nken. Es geht um den Schutz von uns allen, das hat jetzt oberste Priorität. Trotzdem werden wir die wirtschaft­liche Tätigkeit natürlich so weit wie möglich aufrechter­halten.

Das Ausmaß dieser Krise ist im Moment nicht absehbar. Erwarten Sie, dass es so schlimm wird wie 2009? Scholz: Die beiden Krisen sind nicht miteinande­r zu vergleiche­n, weil sie unterschie­dliche Ursachen und Dimensione­n haben, deshalb sollten wir nicht spekuliere­n. Sie wird uns eine Weile beschäftig­en, so viel ist jetzt schon klar.

Wie beobachten Sie die Auswirkung­en, die das Virus auf die Weltwirtsc­haft hat?

Scholz: Es gibt Unterbrech­ungen der globalen Produktion­sketten. Wie lange sie dauern und wie stark sie sich auswirken werden, ist noch offen. In China läuft die Produktion gerade wieder an, ob sich das auf Dauer bestätigt, muss sich erst zeigen. Wichtig ist die Erkenntnis: Wenn es länger dauern sollte, können wir das auch länger durchhalte­n. Deutschlan­d hat den finanziell­en Atem dafür.

Es gibt gerade die Kritik an den USA und US-Präsident Donald Trump, dass dort zu spät gegen das Virus vorgegange­n werde. Teilen Sie diese Einschätzu­ng?

Scholz: Vielleicht erleben wir gerade die neue Stunde des Multilater­alismus. Wir merken jetzt sehr deutlich, wie eng die Welt zusammenhä­ngt. Nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial und gesundheit­lich. Ich denke, wenn die Welt so eng zusammenhä­ngt, dann sollte sie auch zusammenha­lten. Darauf kommt es aus meiner Sicht jetzt an. Deshalb macht es aus meiner Sicht wenig Sinn, die Strategien einzelner Länder zu kritisiere­n. Da muss jedes Land, das vor ganz eigenen Herausford­erungen steht, einen eigenen Weg gehen können. Wichtig ist, dass wir uns internatio­nal koordinier­en.

Sind die Banken heutzutage eigentlich stabiler als während der Finanzkris­e 2008? Seinerzeit mussten die Geldhäuser mit Milliarden an Steuergeld­ern gerettet werden.

Scholz: Die Banken sind eindeutig stabiler als vor zehn Jahren, darum haben wir uns seit der letzten Krise gekümmert – und wir engagieren uns weiter, damit das Bankensyst­em wirtschaft­liche Verwerfung­en noch besser verkraftet. Insgesamt verfügen wir über genügend Instrument­e, um dazu beizutrage­n, dass der Finanzsekt­or eine solche Lage durchstehe­n kann.

Wie viel Geld wird nach Ihren SchätHerr zungen nötig sein, um die Folgen der Corona-Krise zu bewältigen?

Scholz: Das zu beziffern, ist im Augenblick sehr, sehr schwierig. Wenn wir die Erfahrunge­n der letzten Finanzkris­e berücksich­tigen, dann ist es so, dass wir am Ende oft weniger brauchten, als man auf dem Höhepunkt einer Krise dachte. Jetzt ist die Botschaft zentral, dass wir uns als Staat sofort stark engagieren. Wir haben sehr viel Kraft – und wir werden sie nutzen. Hier wird jetzt nicht gekleckert, sondern geklotzt.

Wenn nötig auch auf Kosten der schwarzen Null?

Scholz: Das ist eine merkwürdig­e Obsession in dieser Debatte. Gerade dadurch, dass wir durch eine ausgeglich­ene Haushaltsp­olitik in guten Zeiten solide Finanzen haben, können wir sagen, dass wir in einer Krise auch viele Milliarden Euro einsetzen können. So müssen wir auf niemanden Rücksicht nehmen, wenn wir Schwierigk­eiten haben, und können ohne mit der Wimper zu zucken das Richtige tun.

Sie sprachen in den letzten Monaten häufiger davon, dass Deutschlan­d auf eine schwere Wirtschaft­skrise mit einer starken Reaktion kontern könne. Wie sähe die Reaktion aus, die dem Finanzmini­ster Olaf Scholz vorschwebt? Scholz: Eine Reaktion ist das Sicherheit­snetz für Wirtschaft und Beschäftig­ung, das wir am Freitag vorgestell­t haben. Wir sprechen von einem milliarden­schweren Paket. Sie spielen jetzt aber auf ein mögliches Paket zur Stützung der Konjunktur an. In der Situation sind wir im Augenblick noch nicht, das sehen viele Wirtschaft­sprofessor­en genauso. Sollte sich die Lage ändern, werden wir kraftvoll agieren.

Die Unternehme­n sagen, dass niedrigere Steuern für mehr Investitio­nen und Wachstum sorgen würden …

Scholz: Eine Konjunktur­krise ist nicht dazu da, dass Leute ihre Forderunge­n, die sie schon immer hatren ten, jetzt einfach durchsetze­n können. Sie müssen zielgerich­tet und effektiv sein.

Wie kann eine europäisch­e Antwort auf die Ausbreitun­g dieser Krankheit aussehen, die die Wirtschaft aller Mitgliedsl­änder der Europäisch­en Union in Mitleidens­chaft zieht?

Scholz: Ich denke darüber nach, wie wir Liquidität­shilfen für Firmen in einem europäisch­en Maßstab wirken lassen können. Das könnte über die Europäisch­e Investitio­nsbank laufen, die genau für solche Zwecke da ist. Wir müssen den europäisch­en Staaten, die finanziell nicht so solide aufgestell­t sind, die nötige Flexibilit­ät einräumen. Das halte ich für zentral. Denn diese Staaten sind ebenfalls in einer schwierige­n Lage und müssen auch etwas tun. Wir müssen in Europa außerdem sicherstel­len, dass die europäisch­en Beihilferi­chtlinien den Schritten gegen Liquidität­sengpässe nicht im Wege stehen.

„Unser Gesundheit­ssystem ist gut aufgestell­t, und wo weitere Mittel erforderli­ch werden, wenden wir sie auf.“

Olaf Scholz

„Wir haben sehr viel Kraft und wir werden sie nutzen. Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt.“

Olaf Scholz

Ihre Koalitions­partner CDU und CSU stellen sich dagegen, die Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s für 90 Prozent der Steuerzahl­er um ein halbes Jahr vorzuziehe­n. Das ist doch eigentlich kaum nachvollzi­ehbar in der jetzigen Lage?

Scholz: Es ist schon verwunderl­ich, was wir da erleben. Ich glaube, auch viele Bürgerinne­n und Bürger fassen sich an den Kopf. Aber es hat auch aufkläreri­sche Wirkung. CDU und CSU fordern ja gerne Steuersenk­ungen. Jetzt zeigt sich, wen sie damit gar nicht meinen: die Leute mit den kleinen und mittleren Einkommen. Sie zielen stattdesse­n immer auf diejenigen mit den Spitzenein­kommen. Daran sieht man, wer politisch auf der einen Seite steht und wer auf der anderen. Das sorgt für Klarheit – und das finde ich nicht schlecht.

Olaf Scholz Der 61-jährige Sozialdemo­krat ist seit März 2018 Vizekanzle­r und Bundesfina­nzminister, zuvor war er acht Jahre Erster Bürgermeis­ter von Hamburg und davor zwei Jahre Bundesarbe­itsministe­r. Der verheirate­te, kinderlose, in Osnabrück geborene Jurist wuchs in Hamburg auf. 2019 scheiterte er mit seiner Kandidatur als SPD-Chef.

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Foto: Thomas Trutschel, Photothek, Imago Images SPD-Bundesfina­nzminister Olaf Scholz: „Wir spannen ein Sicherheit­snetz für die Betriebe und Firmen, denen durch die Krise das Geschäft wegbricht.“

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