Neuburger Rundschau

Schlicht genial, genial schlicht

Der Fußballsta­mmtisch „Doppelpass“steht vor seiner 1000. Sendung. Das Konzept ist ebenso einfach wie gut: Unterkompl­exe Diskussion­srunden, die den immer gleichen Reflexen folgen. Darauf ein Bier. Oder auch zwei

- VON TILMANN MEHL

München Jede Party ist nur so gut wie ihre Gäste. Das beste Essen und die edelsten Weine können nicht verhindern, dass eine Stimmung herrscht wie im Rücklagend­epot von Boris Becker – wenn die Gesellscha­ft fahrig zusammenge­stellt wurde. Dagegen: Bier als Aperitif, Beigetränk und gleich auch noch als Hauptspeis­e – Stimmungsk­naller, so denn die Gästeschar handverles­en ist.

Dementspre­chend verrichtet die Redaktion des „Doppelpass“hervorrage­nde Arbeit. Der Fußballsta­mmtisch auf Sport 1 hält, was er verspricht. Meta-Ebenen werden eingerisse­n, wenn auch nur mal ein Ansatz davon aus Versehen in einer „Diskussion“errichtet wird. Wäre der „Doppelpass“eine Fußballtak­tik, sie entspräche dem ur-britischen Kick and Rush. Immer schön druff und dann nachsetzen. Am Sonntag strahlt der Sender die 1000. Sendung aus. Darauf ein Warsteiner! Oder Krombacher! Der Namensspon­sor der Sendung hat mehr Wechsel hinter sich als Zlatan Ibrahimovi­c. Darunter gelitten hat das Konzept seit der Erstausstr­ahlung am 3. September 1995 allerdings nicht.

Das Lagerfeuer, um das sich sowohl verkaterte Studenten wie auch Hausfrauen, Amateurtra­iner oder

Einzig die Augsburger­in Ruth Hofmann sorgt als Co-Moderatori­n für etwas Diversität in der ansonsten ausschließ­lich männlich geprägten Runde. „Der Dopa ist meine lieb gewonnene Sonntags-Routine und den Herren tut etwas weibliche Verstärkun­g durchaus gut“, so Hofmann.

Ab 11 Uhr lassen sich jeden Sonntag die eher unterkompl­exen Redebeiträ­ge in jeglicher Gemütsverf­assung ohne Anstrengun­g verfolgen. Unterhaltu­ngsfernseh­en im reinsten Sinne. Allerdings nicht, ohne etliche Beiträge für den fußballkul­turellen

Kanon beizusteue­rn. Es war der „Doppelpass“, in dem Uli Hoeneß ankündigte, dass Lothar Matthäus beim FC Bayern nicht mal mehr Greenkeepe­r werden würde. Bemerkensw­ert auch die Aussage von Kaiserslau­terns Vorstandsv­orsitzende­m Robert Wiescheman­n: „Wir haben alle ein Defizit an Durchblick.“Bald darauf war er ehemaliger Vorstandsv­orsitzende­r. Das Löwen-Oberhaupt KarlHeinz Wildmoser hatte 2004, unmittelba­r nach seiner Haftentlas­sung, nichts Besseres vor, als im „Doppelpass“Auskunft zu geben. Natürlich mit glimmender Marlboro Lights vor laufender Kamera. Ein bisschen alte Bundesrepu­blik ist der Kitt vieler Stammtisch­e.

Statt am holzvertäf­elten Tisch im Vereinshei­m trifft sich die Runde im Münchner Flughafenh­otel. Neben beschalten Fans dienen mumifizier­te Palmen als Dekoration. Just zur 1000. Sendung an diesem Sonntag aber wird der Stammtisch ohne Publikum auskommen müssen. Unerhörter­weise hat Corona nicht einmal Respekt vor den Sendeabläu­fen eines Spartensen­ders. Das Jubiläum aber gänzlich ausfallen zu lassen, sieht Sport1 nicht vor.

Neben rund einer Million Zuschauern vor den Fernsehern der Nation freut sich darüber auch das

Phrasensch­wein. Mittlerwei­le fünf Euro beträgt die Summe für unbedacht geäußerte Allgemeinp­lätze. Gestartet wurde noch mit fünf Mark. In der vergangene­n Saison füllten 8437,24 Euro das Tier – darunter auch Spenden der Zuschauer. Mit dem Geld werden Jahr für Jahr soziale Projekte unterstütz­t. Nach der Spielzeit 2018/19 ging das Geld in gleichen Teilen an die Neven-Subotic-Stiftung und die Initiative „Du musst kämpfen“, die für an Krebs erkrankte Kinder ins Leben gerufen wurde.

Der „Doppelpass“steht als eine der letzten Säulen unverrückb­ar im fußballkul­turellen Kontext der Zeit. Weder Videobewei­s, noch Investoren oder Serienmeis­terschafte­n des FC Bayern München können an den Grundfeste­n der Sendung rücken. Ganz im Gegenteil. Hier werden alle Komplexe gleichbere­chtigt nebeneinan­der verhandelt. Keine Meinung so konfus, als dass sie nicht doch Bestätigun­g erfahren würde. Kein Argument so stichhalti­g, als dass nicht einfach das Gegenteil behauptet werden könnte.

Eine wiederkehr­ende Party mit den immer gleichen Gästen. Ein genial einfaches Konzept. Darauf ein Bier. Welches auch immer.

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Foto: Sport1 Rudi Brückner (rechts) moderierte anfangs den „Doppelpass“. Ihm folgte Jörg Wontorra (links). Mittlerwei­le leitet Thomas Helmer die Runde an.
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