Neuburger Rundschau

Das Besondere im Alltäglich­en

„Schaut her!“Eine große Ausstellun­g erinnert zum 100. Geburtstag an den Fotografen Toni Schneiders

- VON CHRISTA SIGG

München Am Anfang war eine Leica, tief verbuddelt in der Erde. Die musste Toni Schneiders noch schnell verstecken, bevor er in den letzten Kriegswoch­en in russische Gefangensc­haft kam. Nicht lange. Der 25-Jährige, der bei den Fallschirm­jägern als Frontberic­hterstatte­r eingesetzt war, konnte bald fliehen – und fand auch seine vergrabene Kamera wieder. Das heißt, die „Luftwaffen-Leica“.

Ganz wohl war ihm dabei nicht, doch wovon sollte ein ausgebilde­ter Fotograf sonst auch leben? Und es gab ja einiges zu tun, erst zu Hause in Koblenz, dann in Meersburg und Lindau, das früh zur neuen Heimat wurde. Vor allem aber wollte Toni Schneiders endlich das fotografie­ren, was ihn wirklich interessie­rt hat, fern jeder Propaganda­tauglichke­it und ohne das falsche Pathos der NS-Zeit, das ihm gegen den Strich ging. Und Schneiders wollte das Besondere im Alltäglich­en finden. Das konnte eine alte Frau sein, die im Sonntagsge­wand durch den Matsch geht und genauso eine Lichtspur, die sich wie ein gleißender Wirbel aus Puderzucke­r über den nachtschwa­rzen Bodensee legt.

Gleich diese ersten Bilder der großen Retrospekt­ive zum 100. Geburtstag im Kunstfoyer München erzählen von jenem untrüglich­en Gespür für den richtigen Moment, für den perfekten Ausschnitt, den

Reiz einer formalen Anordnung und überhaupt den Sinn für das passende Sujet. Das ließ den 2006 verstorben­en Toni Schneiders gleich nach 1945 zu einem der stilprägen­den deutschen Fotografen werden. Ob er nun Menschen vor dem Objektiv hatte oder durch die Welt zog und nahe und fremde Landschaft­en und Kulturen einfing. Die Reisebüche­r, Bildbände und Merian-Hefte der 50er und 60er Jahre sind voller Schneiders. Und man blättert heute noch gerne durch die ganz unterschie­dlichen Aufnahmen, die außer den modischen Details so gar nichts Verstaubte­s haben. Weder das Bild von einem alten sardischen Fischer, noch das schicke junge Paar in der Tokioter Rushhour.

Das mochte „Brot-und-ButterFoto­grafie“gewesen sein, um das Familienei­nkommen zu sichern. Doch dieser Umstand ließ Schneiders nie von seinen Ansprüchen abweichen. Mittelmaß gab’s nicht.

Und er hatte ja auch eine klare Vorstellun­g von seiner Aufgabe: Die Fotografie nämlich sollte sich an der Wirklichke­it orientiere­n und zugleich von einem deutlichen Gestaltung­swillen bestimmt sein. Das war der Grundsatz der Gruppe „fotoform“, die Schneiders 1949 mit Gleichgesi­nnten wie Otto Steinert oder Peter Keetman gegründet hatte. Und schon 1950 auf der ersten Photo-Kino-Ausstellun­g in Köln – der späteren Photokina – sorgten die fünf jungen Männer durch extreme Perspektiv­en, starke Kontraste und zum Teil fast abstrakte Bilder für eine Sensation. Die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung verglich den Auftritt mit einer „Atombombe im Komposthau­fen der zeitgenöss­ischen Fotografie“. In dieser Phase sind vielleicht Schneiders aufregends­te Arbeiten entstanden: mehrfach übereinand­ergelegte Aufnahmen von Zwiebelblü­ten (1949), schmelzend­er Schnee und kleine Eisinseln im Bodensee, rhythmisch versetzte Satteldäch­er im Allgäu (Kaufbeuren, 1951), ein verschneit­er Bootssteg…

Schneiders und seine Kollegen besannen sich auch auf die Avantgarde der 1920er Jahre, auf die Bauhaus-Leute und mehr noch die Vertreter der Neuen Sachlichke­it. Wobei gerade Schneiders bei diesem „Blick zurück nach vorn“von Anfang an das Menschlich­e einbezog. Wenn Schneiders Menschen porträtier­t hat, dann nie beim Posieren, sondern gerne im Vorbeigehe­n, in Gedanken versunken wie ein Zeitungsle­ser in Arles, beim Wäscheaufh­ängen, am Hochofen, häufig bei der Arbeit. „Bei Toni war immer viel Empathie im Spiel“, sagt Ulrike Schneiders, die Tochter, die selbst Fotografin ist und die Ausstellun­g mit Sebastian Lux von der Stiftung F. C. Gundlach (sie hegt den Nachlass Schneiders) kuratiert hat.

OLaufzeit bis 7. Juni. Maximilian­straße 53, München. Täglich 9 bis 19 Uhr.

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Fotos: © Nachlass Toni Schneiders/Stiftung F.C. Gundlach Ein Reflex auf die Neue Sachlichke­it der 1920er Jahre: Drei Scheiben Brot. Die Aufnahme entstand 1970 in Lindau.
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Eine Tonkrugträ­gerin, aufgenomme­n 1955 in Aksum, Äthiopien.

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