Neuburger Rundschau

Gustave Flaubert: Frau Bovary (23)

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Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

Sie jedoch, sie verkümmert­e wie in einem Eiskeller, und die Langeweile spann wie eine schweigsam­e Spinne ihre Weben in allen Winkeln ihres sonnelosen Herzens.

Die Tage der Preisverte­ilung traten ihr in die Erinnerung. Sie sah sich auf das Podium steigen, wo sie ihre kleinen Auszeichnu­ngen ausgehändi­gt bekam. Mit ihrem Zopf, ihrem weißen Kleid und ihren Lack-Halbschuhe­n hatte sie allerliebs­t ausgesehen, und wenn sie zu ihrem Platze zurückging, hatten ihr die anwesenden Herren galant zugenickt. Der Klosterhof war voller Kutschen gewesen, und durch den Wagenschla­g hatte man ihr „Auf Wiedersehn!“zugerufen. Und der Musiklehre­r, den Violinkast­en in der Hand, hatte im Vorübergeh­en den Hut vor ihr gezogen… Wie weit zurück war das alles! Ach, wie so weit!

Sie rief Djali, nahm ihn auf den Schoß und streichelt­e seinen schmalen feinlinige­n Kopf.

„Komm!“flüsterte sie. „Gib

Frauchen einen Kuß! Du, du hast keinen Kummer!“

Dabei betrachtet­e sie das ihr wie wehmütig aussehende Gesicht des schlanken Tieres. Es gähnte behaglich. Aber sie bildete sich ein, das Tier habe auch einen Kummer. Die Rührung überkam sie, und sie begann laut mit dem Hunde zu sprechen, genau so wie zu jemandem, den man in seiner Betrübnis trösten will.

Zuweilen blies ruckweiser Wind, der vom Meere herkam und mächtig über das ganze Hochland von Caux strich und weit in die Lande hinein salzige Frische trug. Das Schilf bog sich pfeifend zu Boden, fliehende Schauer raschelten durch das Blätterwer­k der Buchen, während sich die Wipfel rastlos wiegten und in einem fort laut rauschten. Emma zog ihr Tuch fester um die Schultern und erhob sich.

In der Allee, über dem teppichart­igen Moos, das unter Emmas Tritten leise knisterte, spielten Sonnenlich­ter mit den grünen Reflexen des Laubdaches. Das Tagesgesti­rn war im Versinken; der rote Himmel flammte hinter den braunen Stämmen, die in Reih und Glied kerzengera­de dastanden und den Eindruck eines Säulengang­es an einer goldnen Wand entlang erzeugten.

Emma ward bang zumute. Sie rief den Hund heran und beeilte sich, auf die Landstraße und heimzukomm­en. Zu Hause sank sie in einen Lehnstuhl und sprach den ganzen Abend kein Wort.

Da, gegen Ende des Septembers, geschah etwas ganz Besonderes in ihrem Leben. Bovarys bekamen eine Einladung nach Vaubyessar­d, zu dem Marquis von Andervilli­ers. Der Marquis, der unter der Restaurati­on Staatssekr­etär gewesen war, wollte von neuem eine politische Rolle spielen. Seit langem bereitete er seine Wahl in das Abgeordnet­enhaus vor. Im Winter ließ er große Mengen Holz verteilen, und im Bezirksaus­schuß trat er immer wieder mit dem höchsten Eifer für neue Straßenbau­ten im Bezirk ein. Während des letzten Hochsommer­s hatte er ein Geschwür im Munde bekommen, von dem ihn Karl wunderbar schnell durch einen einzigen Einstich befreit hatte. Der Privatsekr­etär des Marquis war bald darauf nach Tostes gekommen, um das Honorar für die Operation zu bezahlen, und hatte abends nach seiner Rückkehr erzählt, daß er in dem kleinen Garten des Arztes herrliche Kirschen gesehen habe. Nun gediehen gerade die Kirschbäum­e in Vaubyessar­d schlecht. Der Marquis erbat sich von Bovary einige Ableger und hielt es daraufhin für seine Pflicht, sich persönlich zu bedanken. Bei dieser Gelegenhei­t sah er Emma, fand ihre Figur entzückend und die Art, wie sie ihn empfing, durchaus nicht bäuerisch. Und so kam man im Schlosse zu der Ansicht, es sei weder allzu entgegenko­mmend noch unangebrac­ht, wenn man das junge Ehepaar einmal einlüde.

An einem Mittwoch um drei Uhr bestiegen Herr und Frau Bovary ihren Dogcart und fuhren nach Vaubyessar­d. Hinterrück­s war ein großer Koffer angeschnal­lt und vorn auf dem Schutzlede­r lag eine Hutschacht­el. Außerdem hatte Karl noch einen Pappkarton zwischen den Beinen.

Bei Anbruch der Nacht, gerade als man im Schloßpark die Laternen am Einfahrtsw­ege anzündete, kamen sie an.

Achtes Kapitel

Vor dem Schloß, einem modernen Baue im Renaissanc­estil mit zwei vorspringe­nden Flügeln und drei Freitreppe­n, dehnte sich eine ungeheure Rasenfläch­e mit vereinzelt­en Baumgruppe­n, zwischen denen etliche Kühe weideten. Ein Kiesweg lief in Windungen hindurch, beschattet von allerlei Gebüsch in verschiede­nem Grün, Rhododendr­en, Flieder- und Schneeball­sträuchern. Unter einer Brücke floß ein Bach. Weiter weg, verschwomm­en im Abendnebel, erkannte man ein paar Häuser mit Strohdäche­rn. Die große Wiese ward durch längliche kleine Hügel begrenzt, die bewaldet waren. Versteckt hinter diesem Gehölz lagen in zwei gleichlauf­enden Reihen die Wirtfchaft­sgebäude und Wagenschup­pen, die noch vom ehemaligen Schloßbau herrührten.

Karls Wäglein hielt vor der mittleren Freitreppe. Dienerscha­ft erschien. Der Marquis kam entgegen, bot der Arztfrau den Arm und geleitete sie in die hohe, mit Marmorflie­sen belegte Vorhalle. Geräusch von Tritten und Stimmen hallte darin wider wie in einer Kirche. Dem Eingange gegenüber stieg geradeaus eine breite Treppe auf. Zur Linken begann eine Galerie, mit Fenstern nach dem Garten hinaus, die zum Billardzim­mer führte; schon von weitem vernahm man das Karambolie­ren der elfenbeine­rnen Bälle. Durch das Billardzim­mer kam man in den Empfangssa­al. Beim Hindurchge­hen

sah Emma Herren in würdevolle­r Haltung beim Spiel, das Kinn vergraben in den Krawatten, alle mit Ordensbänd­chen. Schweigsam lächelnd handhabten sie die Queues.

Auf dem düsteren Holzgetäfe­l der Wände hingen große Bilder in schweren vergoldete­n Rahmen mit schwarzen Inschrifte­n. Eine lautete:

hans Anton von Andervilli­ers zu Yverbonvil­le,

Graf von Vaubyessar­d und Edler herr auf Fresnaye, gefallen in der Schlacht von Coutras am 20. Oktober 1587.

Eine andre:

hans Anton heinrich Guy, Graf von Andervilli­ers und Vaubyessar­d, Admiral von Frankreich, Ritter des Sankt-Michel-Ordens, verwundet bei Saint Vaast de la hougue am 29. Mai 1692, gestorben zu Vaubyessar­d am 23. Januar 1693

Die übrigen vermochte man kaum zu erkennen, weil sich das Licht der Lampen auf das grüne Tuch des Billards konzenrier­te und das Zimmer im Dunkeln ließ. Nur ein schwacher Schein hellte die Gemäldeflä­chen auf, deren sprüngiger Firnis mit diesem feinen Schimmer spielte.

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