Neuburger Rundschau

„Eine Krise der Demokratie sehe ich nicht“

Christian Ude war mehr als 20 Jahre lang für die SPD Münchner Oberbürger­meister. Vor der Kommunalwa­hl lobt er Ministerpr­äsident Söder von der Konkurrenz. Den Wahlkampf der Münchner CSU nennt er dagegen „grottensch­lecht“

- Interview: Uli Bachmeier

Herr Ude, Sie waren mehr als 20 Jahre Oberbürger­meister in München und sind 2013 auch noch als SPD-Spitzenkan­didat gegen Horst Seehofer in den Landtagswa­hlkampf gezogen ... Ude: ... und hab’ 20,6 Prozent geholt. Das klang damals bescheiden und stimmt heute nostalgisc­h.

Stimmt. Die Zeiten waren schon besser für die SPD. Aber auch nach allem, was man sonst so hört aus diesem Kommunalwa­hlkampf, kann es doch keinen Spaß mehr machen, Kandidat zu sein. Ude: Das kann ich so nicht bestätigen. Ich habe eher den Eindruck, dass die finsteren Zeiten vorbei sind und es vielen Leuten wieder Spaß macht. Ich stelle jedenfalls überrascht fest, dass trotz aller Politikver­drossenhei­t auf Bundeseben­e und trotz aller sozialdemo­kratischer Tristesse in Bayern, die Kommunalpo­litik neuen Schwung aufgenomme­n hat.

Woran machen Sie das fest? Nur daran, dass es mehr Kandidaten gibt? Ude: Nein. Ich mache die Beobachtun­g, dass vielerorts eine unverhofft­e und – ich möchte fast sagen – unverdient­e Verjüngung stattgefun­den hat. Das geht quer durch die Parteien. Die Grünen schwimmen auf einer Erfolgswel­le und müssen schon deshalb viele Positionen besetzen. Bei der CSU hören viele Amtsinhabe­r auf, das erzwingt Erneuerung. Die Münchner Stadtratsf­raktion der SPD hatte das Glück, dass ihr Vorsitzend­er, der sie autoritär auf CSUKurs trimmen wollte, jetzt ganz offiziell zur CSU übergetret­en ist. Seitdem kann ein neues Team endlich die SPD profiliere­n, da ist jetzt viel Schwung drin. Nach der Wahl werden wir wissen, ob dieser Aufschwung noch rechtzeiti­g kam. In Bamberg, Lindau und Fürth sieht es richtig gut aus.

Es gibt aber auch andere Beispiele. Ude: Richtig. Nürnberg wird spannend, weil Uli Maly eine große Lücke hinterläss­t. Es gibt aber auch Städte, in denen jetzt die CSU wegen eines Wechsels an der Spitze schwächelt, Augsburg zum Beispiel.

Und Regensburg? Das ist ja aktuell so etwas wie die Korruption­shauptstad­t Bayerns. Da weiß man doch nach all den Affären und Strafverfa­hren, in die SPD und CSU verwickelt sind, überhaupt nicht, wie die Wahl laufen wird. Ude: Das kann tatsächlic­h niemand vorhersage­n. Der strafrecht­lichen Beurteilun­g sollte niemand vorgreifen. Aber die politische­n Sitten, die dort vor allem im Spendenwes­en und bei Beraterver­trägen um sich gegriffen haben, waren schon schockiere­nd.

In welcher Stadt machen Sie sich Hoffnungen, dass die SPD es packen könnte?

Ude: Große Hoffnungen setze ich auf Ingolstadt. Christian Scharpf macht einen glänzenden Wahlkampf. Die SPD hat dort ein Faschingsf­est mit 1300 zahlenden Gästen veranstalt­et. So etwas haben wir noch nicht einmal in München zustande gebracht. Und Scharpf macht nahezu jede Woche ein Fachgesprä­ch mit hochkaräti­gen Experten. Er zeigt seine Kompetenz und seine Truppe ist hoch motiviert. Da sind noch richtige Audi-Betriebsrä­te mit in der Mannschaft. Dort ist es so, wie es bei der SPD sein soll – mit einer Parteiorga­nisation, die der Bevölkerun­g nahe steht. Also, da mache ich mir große Hoffnungen, zumal die CSU örtliche Skandale an den Hacken hat. Und wie es der Zufall will, sind viele der aussichtsr­eichen Kandidaten aus der Münchner Stadtverwa­ltung hervorgega­ngen.

Ach was?

Ude: Christian Scharpf war mein persönlich­er Mitarbeite­r. Er setzt mich deswegen auch ziemlich massiv ein. Und Claudia Halberkamp, die SPD-Kandidatin in Lindau, ist aus dem engsten Stab unseres früheren Kreisverwa­ltungsrefe­renten.

Stichwort Verjüngung. In München schickt die CSU mit der Kommunalre­ferentin Kristina Frank eine junge, attraktive Kandidatin ins Rennen. Trotzdem sieht es im Wahlkampf so aus, als würden die alten Herren der Partei die Richtung vorgeben.

Ude: Der Auftritt der CSU ist neu, aber extrem ungeschick­t. Ich hab’ da so eine Kabarettnu­mmer, die kommt in ganz Bayern an, weil man offenbar überall im Freistaat die Ratlosigke­it der Münchner CSU mit ungläubige­m Staunen begleitet. Nehmen Sie nur den Satz: „Ich bin kein Rad, sagt das Auto, aber für viele der einzige Weg.“Was soll so eine Nonsens-Aussage? Das ist doch bestenfall­s Philosophi­e für Fortgeschr­ittene auf hohem Abstraktio­nsniveau. Die Leute stehen in München an Straßenkre­uzungen und fragen sich bei CSU-Plakaten wie zu unserer Schulzeit bei der Gedichtint­erpretatio­n: Was will uns der Dichter damit sagen?

Und bei Frau Frank, die vergangene­s Jahr noch mit einer blumenverz­ierten Radl-Rikscha Wahlkampf gemacht hat, weiß man auch nicht mehr so genau, woran man ist.

Ude: Genau. Einerseits tritt sie als Radl-Königin schlechthi­n auf, anderersei­ts schimpft sie die „RADikalen“als die wahren Extremiste­n unserer Tage, so, als würde sie die wirklichen Probleme mit Extremiste­n nicht mal vom Hörensagen kennen. Für mich liegt der Wahlkampf der Münchner CSU total daneben. Und das scheint ja auch der CSUVorsitz­ende und bayerische Ministerpr­äsident so zu empfinden. Markus Söder ist ja schon auf größtmögli­che Distanz gegangen.

Nur mal angenommen, es gäbe in

München eine Stichwahl zwischen ihrem Nachfolger, Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) und der Kandidatin der Grünen, Katrin Habenschad­en. Was würde das für die CSU und Markus Söder bedeuten?

Ude: Das wäre für die CSU ein erschütter­nder Tiefschlag, wenn sie nicht einmal mehr bei der Stichwahl dabei wäre. Aber sie hat sich ihre Situation selbst eingebrock­t – nicht wegen der Kandidatin, die ich für eine durchaus denkbare Sympathiet­rägerin halte, sondern wegen eines grottensch­lechten Wahlkampfs, den ich derart vermasselt noch nie bei einer größeren Partei in München erlebt habe. Auch der Slogan „Wieder München werden“als Zentralbot­schaft – da muss man doch die Frage stellen, an welchen sozialdemo­kratischen Bürgermeis­ter in München wieder angeknüpft werden soll: Eduard Schmidt? Thomas Wimmer? Hans-Jochen Vogel? Georg Kronawitte­r? Oder, Gott bewahre, gar an meine Amtszeit? An welche seligen Zeiten Münchens wollen Frau Frank und die CSU wieder anknüpfen?

Na ja, mit Erich Kiesl hat ja die CSU einmal – von 1978 bis 1984 – einen Münchner Oberbürger­meister gestellt. Ude: Und das ist der einzige Oberbürger­meister in der Geschichte der Stadt, der vom Wähler in die Wüste geschickt wurde – und das nach nur einer Amtszeit. Nach dem sehnt sich nun wirklich niemand zurück, nicht

„Das Schicksal der CDU droht der CSU auf jeden Fall“

einmal die CSU, die damals mit ihm in der Wüste gelandet ist.

Wir haben jetzt viel über München geredet. Wie intensiv beobachten Sie die Kommunalwa­hlkämpfe andernorts in Bayern?

Ude: Sehr intensiv, weil ich fast halbe-halbe mache. Ich trete außerhalb Münchens fast genauso oft auf wie hier. Ich war schon in allen Regierungs­bezirken. Damit bin ich, wie ich glaube, über die Stimmungsl­age im Freistaat ganz gut unterricht­et.

Sie machen wirklich noch richtig Wahlkampf?

Ude: Ich mache Wahlkampf und ich mache Kabarett.

Und das macht Ihnen Spaß? Sie müssten doch eigentlich nichts mehr tun. Ude: Es macht mir sogar wahnsinnig viel Spaß, wenn Kandidaten mich einladen, um sie zu unterstütz­en. Und wenn ich sogar in kleinen Orten für rappelvoll­e Säle sorgen kann, dann freut mich das. Das baut auf.

Gibt es Besonderhe­iten, die Ihnen dabei aufgefalle­n sind?

Ude: Die bemerkensw­erteste und erfreulich­ste Beobachtun­g ist, dass die Sozialdemo­kratie die Rolle des Prügelknab­en, die sie das ganze vergangene Jahr hatte, losgeworde­n ist – nicht durch eigene Genie-Taten, sondern durch die verheerend­en Fehler von FDP und CDU in Thüringen.

Dieser Stimmungsw­andel war plötzlich mit Händen zu greifen. FDP und CDU werden abgewatsch­t, wo immer politisch interessie­rte Menschen zusammenko­mmen. Bei der Wahl in Hamburg ist das schon sichtbar geworden und es wird auch bei der Kommunalwa­hl in Bayern sichtbar werden, auch wenn sich die CSU durch geschickte­s Verhalten des Ministerpr­äsidenten da ziemlich hat raushalten können.

Herr Söder hat doch im Zusammenha­ng mit Thüringen eine ausgesproc­hen gute Figur gemacht.

Ude: Ja, er hat sehr geschickt agiert. Er war der Erste im Lager der Unionspart­eien, der das „No-Go“formuliert und Klartext gesprochen hat, und zwar in einem sehr erfreulich­en Sinn. Er ist nicht mehr der frühere Generalsek­retär, der oft auf dem falschen Bein Hurra geschrien hat, sondern er ist jetzt ein Ministerpr­äsident, der den Erwartunge­n an dieses Amt gerade bei so kritischen Themen gerecht wird.

Was bedeutet das dann für die Kommunalwa­hl in Bayern? Bei der CSU ist es ja so, dass in Umfragen das Ansehen des Ministerpr­äsidenten steigt, die Partei aber unter 40 Prozent verharrt. Glauben Sie, dass der CSU irgendwann ein ähnliches Schicksal drohen könnte wie der SPD zuvor und der CDU im Moment?

Ude: Ich würde sagen: Das Schicksal der CDU droht der CSU auf jeden Fall, allerdings auf einem höheren Niveau. In der Kommunalpo­litik musste sie ja bereits in der Vergangenh­eit gerade in ländlichen Regionen erheblich Federn lassen. Das sind ähnlich dauerhafte Prozesse, wie sie die SPD durchmache­n musste – erst mit dem Aufstieg der Grünen, der jetzt noch einmal in gesteigert­er Version kommt, und dann mit der Abspaltung der Linksparte­i. Die CSU hat in der Kommunalpo­litik schon dauerhaft an die Freien Wähler verloren. Und sie verliert aktuell an die AfD. Das heißt, auch die CSU spielt längst schon in einer geringeren Liga – mit allerdings immer noch beneidensw­ert vielen Stimmen.

Insgesamt aber führt diese Entwicklun­g zu einer Zersplitte­rung in den Kommunalpa­rlamenten. Macht das das Regieren schwierige­r?

Ude: Mit Sicherheit. Wenn sich verschiede­ne Interessen in verschiede­nen Parteien gegenübert­reten, dann wird es schwierige­r, einen Interessen­ausgleich etwa zwischen Jung und Alt, zwischen Akademiker­n und unteren Einkommens­gruppen zustande zu bringen.

Ist das ein Problem für die Demokratie?

Ude: Eine Krise der Demokratie, wie sie pausenlos beschworen wird, sehe ich nicht, solange zweifelsfr­ei demokratis­che Parteien nachrücken.

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Fotos: stock.adobe.com
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Christian Ude, 72, ist in München geboren. Er war für die SPD von 1993 bis 2014 Oberbürger­meister von München.

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