Neuburger Rundschau

Nur einer gewann hässlicher

Brad Gilbert war einer der unbeliebte­sten Spieler auf der Tennis-Tour. Kein Trick war ihm fremd – worunter auch Boris Becker litt (Serie, Teil 1)

- VON TILMANN MEHL

Augsburg Der Typ hatte keine vernünftig­e Vorhand. Seine Rückhand: ein mittelmäßi­ger Witz. Den Aufschlag brachte er meist ins Feld. Mehr Positives lässt sich darüber aber auch nicht erzählen. Ein Kritiker bezeichnet­e Brad Gilbert einmal als einen „Neandertal­er, der zufällig einen Tennisschl­äger gefunden hat“. Brad Gilbert ist wahrschein­lich der untalentie­rteste Spieler, der jemals aktives Mitglied der Top Ten der Tennis-Weltrangli­ste war.

„Ich weiß nicht, was härter ist: Gegen Brad zu spielen – oder ihn spielen zu sehen“, sagt André Agassi über den mittlerwei­le 58-Jährigen. Agassi muss es wissen. Er stand Gilbert acht Mal auf dem Court gegenüber, ehe er ihn später zu seinem Trainer machte. Agassi gewann lediglich vier seiner acht Partien gegen Gilbert. Boris Becker immerhin verließ in seinen zehn Begegnunge­n sechs Mal den Platz als Gewinner – eine immer noch bescheiden­e Quote gegen den überschaub­ar begabten US-Amerikaner.

Gilbert war das Kryptonit der Spitzenspi­eler. „Es war herrlich, ihn greinen zu hören. Ich wusste dann, dass ich gewinnen würde“, erinnert sich Gilbert an seine Duelle mit Becker. Gilbert spielte mit den Stimmungen seiner Gegner. Er nahm sich dann und wann eine Verletzung­spause während des Spiels, um den Rhythmus seines Gegenübers zu brechen, ließ sich bei Aufschläge­n extrem viel Zeit, starrte übertriebe­n lang in die Augen. Gilberts Stärke war die Schwäche seiner

Gegner. Nach seiner Karriere schrieb er ein Buch mit dem Titel „Winning ugly“(Hässlich gewinnen). Keiner konnte das besser als er. Nie außerhalb des Regelwerks, aber den Rahmen sportliche­r Konvention­en ausreizend. Bis auf Platz vier der Weltrangli­ste brachte er es 1990 so. Für einen Grand-Slam-Titel reiche es nie, dafür immerhin für 20 Turniersie­ge auf der Tour. „Er war sehr stolz darauf, schlecht zu spielen und dennoch einen Weg zu finden, um zu gewinnen“, beschreibt Agassi die größte Stärke Gilberts als Spieler.

Noch besser aber sollte er als Trainer sein. Mit Gilbert als Coach holte Agassi sechs Grand-SlamTurnie­re, er führte ihn von Platz 141 der Weltrangli­ste auf Platz eins. Acht Jahre lang bildeten die beiden ein Team auf der Profi-Tour. Anschließe­nd begleitete er Andy Roddick zu seinem einzigen GrandSlam-Titel und an die Spitze der Weltrangli­ste, ehe sich der Jungstar von ihm trennte.

Weil Gilbert Stars betreute, die hochtalent­iert waren, konnte er darauf verzichten, ihnen die hässliche Seite des Spiels näherzubri­ngen. Ein bisschen Taktik und etwas Psychologi­e genügten meist schon. Nach einem miesen Training baute er Agassi beispielsw­eise folgenderm­aßen auf: „Morgen wird es wieder besser. Ich bin ein Statistik-Typ. Ich schaue auf die Gewinnchan­cen und weiß, dass du auf keinen Fall schlechter spielen kannst als heute.“Es funktionie­rte. Lediglich an einem Spieler scheiterte auch Gilbert. Ivan Lendl war nicht zu knacken. Der laufenden Ballmaschi­ne war mit Psychotric­ks nicht beizukomme­n. 16 Spiele, 16 Niederlage­n. Keiner gewann hässlicher als Lendl. Nicht mal Gilbert.

 ?? Foto: Imago Images ?? Seine größten Erfolge feierte Brad Gilbert als Trainer von André Agassi. Als Spieler aber gewann er immerhin häufiger, als es sein überschaub­ares Talent eigentlich erlaubt hätte.
Foto: Imago Images Seine größten Erfolge feierte Brad Gilbert als Trainer von André Agassi. Als Spieler aber gewann er immerhin häufiger, als es sein überschaub­ares Talent eigentlich erlaubt hätte.

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