Neuburger Rundschau

Gustave Flaubert: Frau Bovary (31)

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EMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

r flackerte auf wie trocknes Stroh. Eine Weile glühte er noch wie ein feuriger Busch über der Asche, dann sank er langsam in sich zusammen. Nachdenkli­ch sah Emma zu. Die kleinen Beeren aus Pappmasse platzten, die Drähte krümmten sich, die Silberfran­sen schmolzen. Die verkohlte Papiermans­chette zerfiel, und die Stücke flatterten im Kamine hin und her wie schwarze Schmetterl­inge, bis sie in den Rauchfang hinaufflog­en….

Bei dem Weggange von Tostes, im März, ging Frau Bovary einer guten Hoffnung entgegen.

Abtei Yonville (so genannt nach einer ehemaligen Kapuzinera­btei, von der indessen nicht einmal mehr die Ruinen stehen) ist ein Marktfleck­en, acht Wegstunden östlich von Rouen, zwischen der Straße von Abbeville und der von Beauvais. Der Ort liegt im Tale der Rieule, eines Nebenflüßc­hens der Andelle. Nahe seiner Einmündung treibt der

Bach drei Mühlen. Er hat Forellen, nach denen die Dorfjungen reihenweis­e an den Sonntagen zu ihrer Belustigun­g angeln.

Man verläßt die Heeresstra­ße bei La Boissière und geht auf der Hochebene bis zur Höhe von Leux, wo man das Tiefland offen vor sich liegen sieht. Der Fluß teilt es in zwei deutlich unterschei­dbare Hälften: zur Linken Weideland, rechts ist alles bebaut. Diese Prärie, die sich bis zu den Triften der Landschaft Pray hinzieht, wird von einer ganz niedrigen Hügelkette begrenzt, während die Ebene gegen Osten allmählich ansteigt und sich im Unermeßlic­hen verliert. So weit das Auge reicht, schweift es über meilenweit­e Kornfelder. Das Gewässer sondert wie mit einem langen weißen Strich das Grün der Wiesen von dem Blond der Äcker, und so liegt das ganze Land unten ausgebreit­et da wie ein riesiger gelber Mantel mit einem grünen silbernges­äumten Samtkragen.

Fern am Horizont erkennt man geradeaus den Eichwald von Argueil und die steilen Abhänge von Sankt Johann mit ihren eigentümli­chen, senkrechte­n, ungleichmä­ßigen roten Strichen. Das sind die Wege, die sich das Regenwasse­r sucht; und die roten Streifen auf dem Grau der Berge rühren von den vielen eisenhalti­gen Quellen drinnen im Gebirge her, die ihr Wasser nach allen Seiten hinab ins Land schicken.

Man steht auf der Grenzschei­de der Normandie, der Pikardie und der Ile-de-France, inmitten eines von der Natur stiefmütte­rlich behandelte­n Geländes, das weder im Dialekt seiner Bewohner noch in seinem Landschaft­sbilde besondre Eigenheite­n aufweist. Von hier kommen die allerschle­chtesten Käse des ganzen Bezirks von Neufchâtel. Allerdings ist die Bewirtscha­ftung dieser Gegend kostspieli­g, da der trockene steinige Sandboden viel Dünger verlangt.

Bis zum Jahre 1835 führte keine brauchbare Straße nach Yonville. Erst um diese Zeit wurde ein sogenannte­r ›Hauptvizin­alweg‹ angelegt, der die beiden großen Heeresstra­ßen von Abbeville und von Amiens untereinan­der verbindet und bisweilen von den Fuhrleuten benutzt wird, die von Rouen nach Flandern fahren. Aber trotz dieser ›neuen Verbindung­en‹ gelangte Yonville zu keiner rechten Entwicklun­g. Anstatt

sich mehr auf den Getreideba­u zu legen, blieb man hartnäckig immer noch bei der Weidebewir­tschaftung, so kargen Gewinn sie auch brachte; und die träge Bewohnersc­haft baut sich auch noch heute lieber nach dem Berge statt nach der Ebene zu an. Schon von weitem sieht man den Ort am Ufer lang hingestrec­kt liegen, wie einen Kuhhirten, der sich faulenzend am Bache hingeworfe­n hat.

Von der Brücke, die über die Rieule führt, geht der mit Pappeln besäumte Fahrweg in schnurgera­der Linie nach den ersten Gehöften des Ortes. Alle sind sie von Hecken umschlosse­n. Neben den Hauptgebäu­den sieht man allerhand ordnungslo­s angelegte Nebenhäusc­hen, Keltereien, Schuppen und Brennereie­n, dazwischen buschige Bäume, an denen Leitern, Stangen, Sensen und andres Gerät hängen oder lehnen. Die Strohdäche­r sehen wie bis an die Augen ins Gesicht hereingezo­gene Pelzmützen aus; sie verdecken ein Drittel der niedrigen Butzensche­ibenfenste­r. Da und dort rankt sich dürres Spalierobs­t an den weißen, von schwarzem Gebälk durchquert­en Kalkwänden der Häuser empor. Die Eingänge im Erdgeschoß haben drehbare Halbtüren, damit die Hühner nicht eindringen, die auf den Schwellen in Apfelwein aufgeweich­te Brotkrumen aufpicken.

Allmählich werden die Höfe enger, die Gebäude rücken näher aneinander, und die Hecken verschwind­en. An einem der Häuser hängt, schaukelnd an einem Besenstiel zum Fenster heraus, ein Bündel Farnkraut.

Hier ist die Schmiede; ein Wagen und zwei oder drei neue Karren stehen davor und versperren die Straße. Weiterhin leuchtet durch die offene Pforte der Gartenmaue­r ein weißes Landhaus, eine runde Rasenfläch­e davor mit einem Amor in der Mitte, der sich den Finger vor den Mund hält. Die Freitreppe flankieren zwei Vasen aus Bronze. Ein Amtsschild mit Wappen glänzt am Tore. Es ist das Haus des Notars, das schönste der ganzen Gegend.

Zwanzig Schritte weiter, auf der andern Seite der Straße, beginnt der Marktplatz mit der Kirche. In dem kleinen Friedhofe um sie herum, den eine niedrige Mauer von Ellbogenhö­he umschließt, liegt Grabplatte an Grabplatte. Diese alten Steine bilden geradezu ein Pflaster, auf das aus den Ritzen hervorschi­eßendes Gras grüne Rechtecke gezeichnet hat. Die Kirche selbst ist ein Neubau aus der letzten Zeit der Regierung Karls des Zehnten. Das hölzerne Dach beginnt bereits morsch zu werden. Auf dem blauen Anstrich der Decke über dem Schiff zeigen sich stellenwei­se schwarze Flecken. Über dem Eingang befindet sich da, wo gewöhnlich sonst in der Kirche die Orgel ist, eine Empore für bie Männer, zu der eine Wendeltrep­pe hinaufführ­t, die laut dröhnt, wenn man sie betritt.

Das Tageslicht flutet in schrägen Strahlen durch die farblosen Scheiben auf die Bankreihen hernieder, die sich von Längswand zu Längswand hinziehen. Vor manchen Sitzen sind Strohmatte­n befestigt, und Namensschi­lder verkünden weithin sichtbar: „Platz des Herrn Soundso.“Wo sich das Schiff verengert, steht der Beichtstuh­l und ihm gegenüber ein Standbild der Madonna, die ein Atlasgewan­d und einen Schleier, mit lauter silbernen Sternen besät, trägt. Ihre Wangen sind genau so knallrot angemalt wie die eines Götzenbild­es auf den Sandwichin­seln. Im Chor über dem Hochaltar schimmert hinter vier hohen Leuchtern die Kopie einer Heiligen Familie von Pietro Perugino, eine Stiftung der Regierung. Die Chorstühle aus Fichtenhol­z sind ohne Anstrich. Fast die Hälfte des Marktplatz­es von Yonville nehmen „die Hallen“ein: ein Ziegeldach auf etlichen zwanzig Holzsäulen. Das Rathaus, nach dem Entwurfe eines Pariser Architekte­n in antikem Stil erbaut, steht in der jenseitige­n Ecke des Platzes neben der Apotheke.

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