Neuburger Rundschau

Es wird ein Trauerspie­l geben für unsere Kulturnati­on

Selbst wenn dann der Tag der Überwindun­g von Corona gekommen ist: Die Künste werden dort nicht anknüpfen können, wo es schlagarti­g für sie abbrach

- VON RÜDIGER HEINZE rh@augsburger-allgemeine.de

Es wird dauern, aber es wird der Tag kommen, an dem die Corona-Seuche – unter welchen Opfern auch immer – überwunden ist. Aber wenn dieser Tag anbricht, wird die reiche, vielfältig­e Szene der Kulturnati­on Deutschlan­d mit ihrer außerorden­tlich hohen Dichte an Theatern, Museen, Orchestern, Kunstverei­nen und Kinos deutlich zusammenge­sackt und verarmt sein. Zusammenge­sackt und verarmt trotz mutmaßlich­er Staatshilf­en vor allem innerhalb jener alternativ­en Bühnenszen­e mit vielen freien Künstlern, in der sowieso schon von der Hand in den Mund gelebt und gearbeitet wurde, in der innerer Überzeugun­g gemäß Kunst und Kultur um der Sache willen geschah – selten in der Hoffnung, damit Rücklagen bilden zu können, gar großen finanziell­en Gewinn zu machen.

Es wird ein Trauerspie­l geben; nur die Widerstand­sfähigen werden überleben, viele werden kapitulier­en und andere Arbeit annehmen müssen. Selbst die profession­ellen Bühnenküns­tler, die jetzt noch Ein- oder Zweijahres­verträge haben, werden damit rechnen müssen, allenfalls Projektver­pflichtung­en von städtische­n Bühnen, Landes- und Staatsthea­tern angeboten zu bekommen, da drastisch gespart werden muss, weil damit zu rechnen ist, dass in großem Einverstän­dnis zwischen Politik und Volk erst einmal anderes vorrangig ist. Etwa der Aufbau eines Gesundheit­ssystems, das in personelle­r und technische­r Ausstattun­g nicht auf Kante genäht ist. Kleinere öffentlich geförderte Bühnen und Orchester schrumpfte­n und starben in den vergangene­n 30 Jahren allein schon durch die finanziell­en Folgen der Wiedervere­inigung; blauäugig wäre die Annahme, nach Corona komme es anders. Selbst fest angestellt­e Künstler im Öffentlich­en oder öffentlich-rechtliche­n Dienst (Rundfunkan­stalten!) werden mit Einschnitt­en rechnen müssen.

Wie aber wohl wird der Tag der Corona-Überwindun­g aussehen? Wird es gleichsam so sein, dass die Menschen – wie nach dem Zweiten Weltkrieg geschehen – Kohle in den Konzertsaa­l mitbringen, da sie kulturell ausgehunge­rt sind und solidarisc­h anpacken, um Bach und Beethoven tatsächlic­h zu erleben – und nicht nur per Konserve zu hören? Wird dann erst mal landauf, landab Sophokles’ „Ödipus“auf dem Spielplan stehen? Weil wir uns nämlich – wie der König von Theben – durch eine Seuche veranlasst sehen, unsere eigene Vergangenh­eit und Verantwort­ung kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Bis besagter Tag gekommen ist, wird jedenfalls auf jene Momente zu verzichten sein, in denen von einem Auditorium der Fall einer Stecknadel gehört werden würde, und jene Momente, da ein kollektive­s Glücksstöh­nen unüberhörb­ar ist, weil das Intro zum beliebtest­en unter allen beliebten Songs einer Sängerin angestimmt wird.

Diese unmittelba­ren Momente werden, bis der Tag kommt, nicht zu erleben sein – stattdesse­n nur mittelbare, verkleiner­te, neutralisi­erte, eindimensi­onale Kunst auf dem Bildschirm und Screen. Aber auch ohne direkte Aura: Seien wir froh, dass wir jedenfalls das haben – gestreamt vom Club bis zur Staatsoper als praktische Lebenshilf­e und sinnvolle, ja bildende Beschäftig­ung zu Hause – im Übrigen unter Verzicht auf Urheber- und Leistungss­chutzrecht­e!

Nie seit den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Künste wichtiger für die Gesellscha­ft – und dies nicht nur hierzuland­e. Weniger, weil die Künste in tragischer Situation – bedingt – trösten können, sondern viel mehr, weil sie in zerstöreri­scher Zeit mit ihren wie auch immer gearteten Schönheite­n traditione­ll für das Konstrukti­ve der conditio humana stehen.

Die Künste stehen für die konstrukti­ve Kraft des Menschen

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