Neuburger Rundschau

„Da schimmerte der alte Markus Söder durch“

Die Politikpro­fessorin Ursula Münch spricht darüber, wie die Politiker in Zeiten der Virus-Krise mit dem großen Druck der Verantwort­ung umgehen, und über die Meriten, die sich der bayerische Ministerpr­äsident erworben hat

- Interview: Simon Kaminski

Ärzte, Pflegekräf­te und Supermarkt­kassiereri­nnen werden von Balkonen und Fenstern aus gefeiert. Hätten unsere Politiker in der Corona-Krise nicht auch etwas Applaus verdient? Ursula Münch: Vielleicht muss man unseren Politikern nicht applaudier­en, aber ich denke schon, dass sie Anerkennun­g und Respekt verdienen.

Wie ist denn Ihr Eindruck, was die Fähigkeite­n der Politiker betrifft, das Land durch die Krise zu leiten? Münch: Natürlich läuft nicht alles perfekt. Aber man darf nicht vergessen, wie groß der Druck der Verantwort­ung ist, der in einer solchen Situation auf den Politikern lastet. Ich finde, man sieht ihnen diesen Druck bei Fernsehauf­tritten auch an. Das sind ja alles auch Menschen, die derzeit fast rund um die Uhr im Einsatz und extrem angespannt sind, natürlich aber auch ein Privatlebe­n haben, die sich auch um die Gesundheit ihrer Eltern sorgen. Wir denken meist an die Kanzlerin oder die Bundesmini­ster. Ebenfalls stark beanspruch­t sind aber die einfachen Abgeordnet­en, die Ansprechpa­rtner in ihren Wahlkreise­n sind.

Es fällt auf, dass jetzt wieder eher der ruhige, unaufgereg­te Politik-Stil gefragt ist. Donald Trump oder Boris Johnson, die die Virus-Gefahr ja lange herunterge­redet und sich sogar über eine angebliche „Hysterie“lustig gemacht haben, gelten als Negativbei­spiele. Wird das ein nachhaltig­er Trend?

Münch: Es ist tatsächlic­h so, dass eher die klassische­n Volksparte­ien in den Umfragen besser dastehen als vor der Krise. Wir sehen ja, was in Ländern wie den USA oder Brasilien passiert, in denen Populisten an der Regierung sind. Die Menschen in Deutschlan­d registrier­en sehr wohl, dass die meisten Politiker nicht um des Regierens willen regieren oder anordnen um des Anordnens willen. Auch wächst die Neigung bei Politikern – übrigens auch unter den Virologen –, sich zu korrigiere­n, wenn man falsch lag. Dass es dabei auch die eine oder andere Meinungsve­rschiedenh­eit wie jetzt zwischen dem Ministerpr­äsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, und Markus Söder gibt, ist völlig normal. Kaum einer erweckt den Eindruck, er habe die Wahrheit gepachtet. Es findet ein guter Austausch zwischen der Politik und seriösen Wissenscha­ftlern statt. Auch den viel kritisiert­en öffentlich­rechtliche­n Fernsehsen­dern wird wieder mehr Vertrauen entgegenge­bracht. Gleiches gilt für die seriösen

Tageszeitu­ngen. Populistis­chen Parteien und Politikern hingegen schlägt wieder mehr Misstrauen entgegen.

Nehmen Sie den Politikern die neue Sachlichke­it ab oder ist dieser Habitus auch schon wieder ein Stück weit Show?

Münch: Wenn ich die Leute beobachte, habe ich den Eindruck, dass da wirklich ein tiefer Ernst dahinterst­eckt und dass das keine Maskierung ist. Ich bin eine kritische Seele, aber das ist aus meiner Sicht insgesamt glaubwürdi­g. Die Politiker wissen ja, wenn sie jetzt gravierend­e Fehler machen, dann kostet das viele Menschenle­ben und führt dazu, dass die Leute in Panik geraten und unsere Wirtschaft dauerhaft ruiniert wird. Unheimlich wäre mir, wenn wir Zustände hätten wie in Ungarn oder in Polen, wenn wir gemaßregel­te Medien hätten und nicht über eine unabhängig­e Justiz verfügen würden. Aber bei uns funktionie­rt die Kontrolle, sei es durch die Opposition, die Medien oder eben durch die Justiz. Das ist der Unterschie­d.

Die Kanzlerin hat lange geschwiege­n, um sich dann mit einer eindringli­chen Ansprache zurückzume­lden. War das gutes Timing oder hat sie die Ereignisse zu lange unkommenti­ert gelassen? Münch: Ich gebe zu, dass ich kurz gedacht habe, die Kanzlerin reagiere zu spät. Doch inzwischen bin ich mir sicher, dass Angela Merkel mit ihrer Fernsehans­prache den richtigen Zeitpunkt getroffen hat. Hätte sie sich zu früh geäußert, hätte man ihr Panikmache vorwerfen können. Es war völlig in Ordnung, zunächst mit Gesundheit­sminister Jens Spahn und Innenminis­ter Horst Seehofer den betroffene­n Ressorts das Wort zu geben. Die empathisch­e und klare Ansprache der Kanzlerin hat mich dann inhaltlich und vom Ton her überzeugt.

Gesundheit­sminister Jens Spahn wurde lange gelobt für sein ruhiges, umsichtige­s Krisenmana­gement. Jetzt gibt es Kritik, dass er den Engpass bei Atemschutz­masken für Ärzte unterschät­zt hat. Müssen Politiker damit rechnen, dass ihr Handeln nach der Krise sehr kritisch bilanziert wird? Münch: Wenn die Krise vorüber ist, muss natürlich darüber gesprochen werden, was falsch gelaufen ist. Das sollte aber kein Nachtarock­en nach dem Motto „Ich habe es schon immer gewusst“sein, sondern ein nüchternes Analysiere­n, was zu tun ist, wenn wir erneut in eine ähnliche Situation geraten sollten. Da wird zu fragen sein, wie wir in Zukunft Kompetenze­n verteilen, wer wann etwas entscheide­n können muss. Man wird zum Beispiel schauen müssen, wie sichergest­ellt wird, dass der Bundestag handlungsf­ähig bleibt, indem er eventuell digital zusammenko­mmt.

Gerade Bürgermeis­ter kleiner Städte oder Dörfer können sich derzeit durch Präsenz und eine ruhige Hand auszeichne­n. Noch vor wenigen Wochen wurde berichtet, dass Bürgermeis­ter beleidigt und angegriffe­n werden. Wäre es nicht an der Zeit, jetzt die Rolle der Lokalpolit­iker dauerhaft zu stärken?

Münch: Die Politiker in den Kommunen haben gerade in einer solchen Krise weitreiche­nde Entscheidu­ngsmöglich­keiten. Um sie zu stärken, darf nicht der Eindruck entstehen, dass sie nur der verlängert­e

Arm der Landespoli­tik sind. Ganz wichtig wäre es auch, dass die Medien nicht nur darauf schauen, was die Kanzlerin, Laschet oder Söder machen.

Markus Söder liegt bei den Bürgern ganz weit vorne, wenn es um Durchsetzu­ngsfähigke­it geht. Jetzt musste er Kritik von anderen Ministerpr­äsidenten einstecken, weil er am Freitag ohne Absprache mit weitreiche­nden Anordnunge­n für den Freistaat vorgepresc­ht ist. Ist das jetzt doch wieder der unstete, kaum berechenba­re Söder, den man von früher kennt?

Münch: Ich finde, sachlich war seine Entscheidu­ng richtig. Gerade wenn wir uns die dramatisch­e Entwicklun­g in Österreich und Italien anschauen. Und diese Länder sind uns geografisc­h nun einmal näher als dem Land Mecklenbur­g-Vorpommern. Ich bin froh, dass wir uns dadurch zwei Tage mit Corona-Partys gespart haben. Ich glaube, dass die Warnung bei den Leuten jetzt auch angekommen ist. Was das Prozedere und die fehlende Abstimmung mit seinen Kollegen in den anderen Ländern betrifft, ist dann doch ein bisschen der Gaul mit ihm durchgegan­gen. Da ist der alte Markus Söder durchgesch­immert: Ich weiß es halt besser und dann mache ich’s auch. Genau dieses „Bavaria first“haben ihm die anderen Ministerpr­äsidenten, die dann doch ein bisschen blöd dastanden, auch vorgeworfe­n. Das hätte er sich durchaus sparen können. Besser wäre es gewesen, er hätte Überzeugun­gsarbeit geleistet und dargelegt, dass es bei uns schneller gehen muss, weil Bayern näher an den Krisenherd­en liegt. Allerdings wäre es ja fast schon unmenschli­ch, wenn er es geschafft hätte, eben diesen alten Söder vollständi­g zu Hause in den Schrank zu sperren.

Es scheint bisher so, dass die Bevölkerun­g die ja doch sehr weitreiche­nde Beschneidu­ng der Freizügigk­eit mitträgt. Fürchten Sie, dass die Stimmung kippen könnte?

Münch: Das will ich um Gottes willen nicht herbeirede­n, aber erfahrungs­gemäß wird sich das nach gewisser Zeit schon einstellen. Wir hatten schon mehrere Krisen, die allerdings nicht diese Dimension erreicht haben. Es gab bekanntlic­h 2015 auch einmal eine Willkommen­skultur zu Beginn der Flüchtling­skrise. Und wir alle wissen, wie schnell das umgeschlag­en ist. Gut, dieser Vergleich hinkt dramatisch. Aber daraus können wir lernen, wie das laufen kann. Man merkt es ja an sich selbst. Ich bin privilegie­rt, ich kann noch zur Arbeit gehen. Aber ich denke an die Leute, die nun unter weniger erquicklic­hen Bedingunge­n zu Hause bleiben müssen. Es wird viele Gründe geben, warum die Menschen nach einer gewissen Zeit nicht mehr so optimistis­ch sein werden.

Vieles dürfte davon abhängen, wie lange die Maßnahmen in Kraft sind. Münch: So ist es. Aber es ist redlich von den Politikern, zuzugeben, dass man das einfach nicht wissen kann. Es besteht das große Risiko, dass man zu früh wieder versucht, in den normalen Modus umzuschalt­en. Es ist die Ungewisshe­it, die uns alle bekümmert. Da würde ich aufpassen, dass man nicht zu viel von der großen Solidaritä­t sprechen und schreiben sollte, sondern dass man unseren typisch deutschen Blick, also zu sagen „Ja, schön und gut, aber es kann auch anders kommen“pflegt. Das ist in dieser Lage gar nicht so verkehrt. Ich denke daran, wie es sein wird, wenn wir in sechs oder acht Wochen eine brütende Hitze haben. Dann wird die Stimmung ganz anders sein. Dann werden die Unterschie­de zwischen Menschen, die ein Haus im Grünen haben und nicht um ihre Existenz fürchten müssen, und denjenigen, die voll von den Ausgangsbe­schränkung­en getroffen werden, deutlich werden.

Es gab ja die Prognosen, dass eine populistis­che Partei wie die AfD von der Verunsiche­rung der Menschen profitiere­n könnte. Die aktuellen Umfragen bestätigen das jedoch nicht. Wundert Sie das?

Münch: Eigentlich nicht. Denn deren Zuspitzen und Ausgrenzen, das „Wir gegen die anderen“wollen die Leute jetzt nicht. Gefragt ist der kühle Kopf, um gut durch die Krise zu kommen. Auch die Wissenscha­ftsfeindli­chkeit des Populismus kommt diesen Kräften nicht zugute. Hinzu kommt, dass die großen digitalen Netzwerke ihre Algorithme­n verändert haben. Die Negativnac­hrichten, mit denen manche Unternehme­n Nutzer auf ihre Plattform locken, werden spürbar reduziert. Das wirkt beruhigend. Anderersei­ts ist es erschrecke­nd, wie groß die Einflussun­d Manipulati­onsmöglich­keiten dieser digitalen Netzwerke sind.

● Ursula Münch, 59, ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Die Professori­n und Autorin lehrt an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München und an der Universitä­t der Bundeswehr München.

 ?? Foto: Fabrizio Bensch, dpa ??
Foto: Fabrizio Bensch, dpa
 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Hat Respekt davor, wie die Politiker mit der Virus-Krise umgehen: die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch.
Foto: Ulrich Wagner Hat Respekt davor, wie die Politiker mit der Virus-Krise umgehen: die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany