Neuburger Rundschau

Kann Johnson Churchill?

In der Krise wirkt der Regierungs­chef aber eher blass

- VON KATRIN PRIBYL

London Boris Johnson inszeniert sich gern wie ein zweiter Winston Churchill. Der britische Kriegsprem­ier ist das Vorbild, der Held des Regierungs­chefs, der sich oft ähnlich bombastisc­h und rhetorisch versiert ausdrückt. Mit großen Reden führte er Großbritan­nien aus der EU und zeichnete die „glorreiche“Zukunft des Königreich­s nach dem Brexit auf, mit vielen Verspreche­n überzeugte der Konservati­ve die Briten von sich im Amt – im Dezember wurde Johnson bei der Wahl mit einem klaren Sieg belohnt. Doch der Triumph scheint eine Ewigkeit her.

Der Premier steht nicht nur unter enormem Druck der Corona-Krise, sondern auch in der Kritik für seinen Schlingerk­urs und seine unklaren Botschafte­n. Taugt Johnson, der brillante Wahlkämpfe­r, auch als Krisenprem­ier wie Churchill? Einen Versuch unternahm der Regierungs­chef am Montag, als er sich an die nervöse Nation wandte und de facto einen Lockdown verkündete – den die Bevölkerun­g laut Umfragen längst mit großer Mehrheit forderte.

„Boris Johnson wird wissen, dass die Geschichte ihn danach beurteilen wird, wie er mit dieser beispiello­sen Krise umgeht“, schrieb die Times und nannte seine Bilanz durchwachs­en: „Von Anfang an schien er hinterherz­uhinken.“Stattdesse­n versuchte der Premier sogar noch Ende voriger Woche Optimismus zu verbreiten. Das Coronaviru­s könne „in zwölf Wochen seine Taschen packen“. Wissenscha­ftler rauften sich die Haare. In Pressekonf­erenzen präsentier­te sich Johnson blass und mit sich ringend, sorgte mit uneindeuti­gen Aussagen für Verwirrung, zögerte mit allzu drastische­n Bestimmung­en, ignorierte die Empfehlung­en der Weltgesund­heitsorgan­isation, verfolgte stattdesse­n eine andere Strategie als die Länder auf dem Kontinent, die längst die

Abriegelun­g verordnet hatten. Das tat Johnson als Populismus ab.

Bis es auch in London ernst wurde mit Corona. Mediziner des Londoner Imperial College hatten gewarnt, dass eine schnelle Ausbreitun­g des Virus zur völligen Überlastun­g des maroden staatliche­n Gesundheit­ssystems mit hunderttau­senden Toten führen könnte. Kritiker fürchten, dass Johnsons Zickzack-Kurs wertvolle Zeit im Kampf gegen das Virus gekostet haben könnte. So verschärft­e Johnson tatsächlic­h die Schutzmaßn­ahmen, weil die Menschen weiterhin ausgingen, sich in Parks trafen, die U-Bahn nahmen. Vor wenigen Wochen noch stand es außer Frage, dass etwas anderes als der Brexit Johnsons Amtszeit definieren könnte.

Dann kam die Pandemie. Charisma sei jetzt nicht genug. „Johnson muss beweisen, dass er auch ein guter Manager ist“, meinte ein Kommentato­r im Telegraph. Ohne eine schlüssige Strategie würde er am Ende nicht wie Winston Churchill dastehen, so die Times, sondern vielmehr die Rolle von dessen Vorgänger Neville Chamberlai­n einnehmen. Der Ex-Premier hatte seinerzeit aufgrund seiner Beschwicht­igungspoli­tik gegenüber Hitler, politische­r Naivität und strategisc­her Blindheit das Königreich an den Rand des Abgrunds geführt.

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Foto: imago images Kann er in der Krise führen? Großbritan­niens Premier Boris Johnson bei einer TV-Ansprache.

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