Neuburger Rundschau

In den Slums wächst die Angst vor dem Virus

Das Coronaviru­s löst in den Armenviert­eln Afrikas, die ohne effektives Gesundheit­ssystem auskommen müssen, große Ängste aus

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Kapstadt Ein Freund hat ihm eine Maske aus einer Fischfabri­k geschenkt. Sie schützt dort in erster Linie vor dem Gestank, gegen Covid-19 kann sie wohl nicht viel ausrichten. Aber das Gerät umschließt das ganze Gesicht, man fühlt sich hinter ihr ein wenig sicherer, und deshalb trägt sie der Busfahrer Chleo Cummings. Jeden Tag während der Arbeit, von 5 Uhr morgens bis 6 Uhr abends. Der 30-Jährige sitzt in seinem Kleinbus am Rande des Imizamo-Yethu-Townships im Kapstadter Vorort Hout Bay und wartet darauf, dass sich das Fahrzeug füllt. Erst wenn die maximale Zahl der 15 Passagiere erreicht ist, fährt er los. „Natürlich habe ich Angst“, sagt Cummings, „wenn mich das Virus erwischt, würde ich vielleicht meine Mutter anstecken und in Gefahr bringen.“

Am Mittwoch wies die nationale Dachorgani­sation Santaco alle Fahrer des Landes an, ihre Fahrzeuge und Haltestell­en täglich zu desinfizie­ren. Doch es fehlt vielerorts an Reinigungs­mitteln. Und die Leute sitzen weiter dicht an dicht gedrängt. Cummings weist jedenfalls niemanden ab. Wer hustet, wird ans offene Fenster gesetzt. Sein Kollege, der den Fahrpreis in bar einsammelt, hat Handschuhe besorgt.

Am vergangene­n Sonntag verkündete Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa ähnliche Maßnahmen im Kampf gegen das Virus, wie sie in Europa längst üblich sind: Schulschli­eßungen,

Einreiseve­rbote für Bürger aus Risikoländ­ern, keine Veranstalt­ungen mit mehr als 100 Menschen, möglichst viel sozialer Abstand.

Besorgt hatte Cummings über Instagram und Fernsehen verfolgt, dass es sich bei den Infizierte­n nicht mehr überwiegen­d um wohlhabend­e Weiße handelte, die aus Risikogebi­eten zurückkame­n. Die Behörden melden auch vermehrt lokale Übertragun­gen. Damit droht das Schreckens­szenario, vor dem die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) seit Monaten warnt: In struktursc­hwachen Ländern werden bei einer größeren Verbreitun­g von Covid-19 die Gesundheit­ssysteme weit schneller kollabiere­n als in Europa. Besonders in dicht besiedelte­n Armenviert­eln wären die Folgen kaum abzusehen. Afrika müsse „dringend aufwachen“, warnte WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesu­s: „Der beste Ratschlag an Afrika ist, sich auf das Schlimmste vorzuberei­ten und heute damit anzufangen.“

In den vergangene­n Wochen wurden die Testmöglic­hkeiten in allen Ländern Afrikas massiv erweitert. Bislang kam der Kontinent vergleichs­weise glimpflich davon: Es gab bislang erst knapp 1100 bestätigte Fälle (Stand 21. März), doch die Zahl hat sich innerhalb der vergangene­n Woche nach vermehrten Tests versiebenf­acht. Drei Viertel der Nationen sind betroffen, mindestens 16 Menschen starben. Die Diskrepanz zu den tatsächlic­hen

Fallzahlen dürfte angesichts der nicht ausreichen­den Testmöglic­hkeiten allerdings noch größer sein als in Europa.

In Südafrika beobachtet der deutsche Wissenscha­ftler Wolfgang Preiser die Ausbreitun­g des Virus in struktursc­hwachen Wohngebiet­en mit großer Sorge. Er leitet die Abteilung für Medizinisc­he Virologie an der Universitä­t Stellenbos­ch. Preiser geht davon aus, dass sich die Krankheit in Afrika derzeit von einer Infektion der internatio­nal reisenden Mittelschi­cht zur ärmeren Bevölkerun­g verlagert, die keinerlei Isolations­möglichkei­ten hat. „Das wird passieren. Und wie sollen sich ab einem gewissen Punkt dieser Krise Infizierte oder gar Kontaktper­sonen

isolieren, die mit zehn anderen in einer Blechhütte leben und sich mit hunderten Nachbarn Wasserhahn und Toiletten teilen“, fragt Preiser.

Zwar sei Südafrika besser gerüstet, als es in Europa wahrgenomm­en werde – in den vergangene­n Jahren habe das Gesundheit­ssystem bei der Bekämpfung der HIV-Epidemie erhebliche Fortschrit­te gemacht. Zudem sei es mehrfach gelungen, Infektions­ausbrüche wie das KrimKongo Hämorrhagi­sche Fieber oder Rifttal-Fieber früh und effektiv einzudämme­n. Von diesen Erfahrunge­n werde das Land zumindest in den frühen Stadien der Covid19-Krise profitiere­n.

Angesichts von nur 3000 geeigneten Intensivbe­tten in den Krankenhäu­sern wird hier die Überlastun­gsgrenze allerdings rasch erreicht werden. Die meisten anderen afrikanisc­hen Länder haben nur einen Bruchteil dieser Kapazitäte­n. Durch die weltweite Ausbreitun­g ist auch die Hoffnung auf ausreichen­de ausländisc­he Unterstütz­ung begrenzt.

Der Virologe gibt zu bedenken, dass die seit Jahren stagnieren­de Wirtschaft wenig Puffer hat, trotz des Verspreche­ns der Regierung, Hilfsprogr­amme auf den Weg zu bringen. Und auch andere Faktoren seien noch nicht absehbar, sagt Preiser. „Für viele Kinder ist die Zeit in der Schule die einzige des Tages, während der sie vor Kriminalit­ät und Verkehrsun­fällen in Sicherheit sind – und die einzige Möglichkei­t, eine reguläre Mahlzeit zu bekommen“, sagt der Virologe, „die Folgen der Schulschli­eßungen sind hier also deutlich vielschich­tiger als in Deutschlan­d.“

Wie gravierend die ökonomisch­en Effekte in den Armenviert­eln sind, das zeichnet sich in Imizamo Yethu mit seinen rund 30000 Bewohnern ab. Fahrer Cummings hat innerhalb weniger Tage die Hälfte seiner Kundschaft verloren, schließlic­h fällt der Schulverke­hr weg. Dazu schließt ein Gasthaus nach dem anderen. Die Mittelschi­chtsfamili­en haben ihren Haushaltsh­ilfen freigegebe­n, immerhin oft bei voller Bezahlung. Zumindest vorerst.

Nur wenige kennen den Township so gut wie Thobeka Mdlalo. Die 41-Jähige ist eine der zahlreiche­n kreativen Überlebens­künstlerin­nen. Ein wenig verdient sie mit selbst genähter Mode, gelegentli­ch hilft sie einem Gemeindear­beiter, manchmal führt sie auch Touristen durch den Township. Sonst sind es rund 30 am Tag, am Mittwoch waren es zwei, die ihren Rückflug nach Europa nicht umbuchen konnten: „Sie werden normalerwe­ise sehr herzlich empfangen, jetzt gehen alle auf Abstand. Einige Bewohner haben sogar das T-Shirt über den Mund gezogen.“

Hier in Hout Bay zeigen sich die Parallelwe­lten in Südafrika mit seinen enormen Einkommens­unterschie­den besonders ausgeprägt. Und

Die Gräben könnten durch das Virus vertieft werden

dieser Graben könnte durch die Covid-19-Krise vertieft werden. In den vergangene­n Tagen gab es einen Ansturm auf die Supermärkt­e, Desinfekti­onsmittel, Klopapier und Nudeln waren ausverkauf­t. Hamsterkäu­fe kann sich in den Townships aber kaum jemand leisten.

„Die meisten müssen bis zum Ende des Monats warten, bis sie ihr Gehalt oder Sozialhilf­e ausgezahlt bekommen“, sagt Mdlalo. Die Regale können, mit Ausnahme der Desinfekti­onsmittel, derzeit fast täglich aufgefüllt werden. Das dürfe sich bis zu den Auszahlung­stagen nicht ändern, sonst werde die Verunsiche­rung in Imizamo Yethu weiter zunehmen, sagt Mdlalo.

 ?? Foto: Christian Putsch ?? Der Busfahrer Chleo Cummings aus Kapstadt versucht, sich mit einer Schutzmask­e gegen Fischgesta­nk vor dem Coronaviru­s zu schützen.
Foto: Christian Putsch Der Busfahrer Chleo Cummings aus Kapstadt versucht, sich mit einer Schutzmask­e gegen Fischgesta­nk vor dem Coronaviru­s zu schützen.

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