Neuburger Rundschau

Langhaarsc­hneider oder lange Haare?

Nachdem auch die Friseure nun geschlosse­n haben, gibt es eine neue Stilfrage

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Köln Frisuren sind auch immer ein Spiegel ihrer Zeit. Gilt seit Jahrzehnte­n ein Kurzhaardi­ktat, wirkt eine lange Mähne besonders rebellisch – so war es zum Beispiel in den 1960er Jahren. Auch jetzt erlebt Deutschlan­d historisch­e Monate: Das Coronaviru­s hat das Land in den Krisenmodu­s versetzt. Und auch diesmal geht es – nach vielen anderen, viel wichtigere­n Gesundheit­sfragen – irgendwie um die Haare. Der Grund: Die Friseurläd­en sind dicht. Bund und Länder haben das am Wochenende beschlosse­n.

Man mag einwenden, dass Stilfragen in Zeiten, in denen es um Leben und Tod geht, wirklich nachrangig sind. Zumal in einer Phase, in der viele Menschen noch nicht mal mehr für die Arbeit aus der Jogginghos­e müssen, weil sie im Homeoffice arbeiten. Zugleich verändert es den Alltag Millionen Deutscher, wenn sie ihr Haupthaar nicht mehr in profession­ellen Händen wissen. Krise ist schlimm. Krise und schlecht frisiert kann noch schlimmer sein.

Tragen wir bald alle Matte? Die beruhigend­e Antwort vorweg: Es wäre zumindest kein großer Schaden, wenn die Haare ein bisschen nachwachse­n. „Es ist eine gewisse Ermüdung eingetrete­n bei Frisuren, die an der Seite ausrasiert sind“, stellt der Buchautor Bernhard Roetzel fest. Er prognostiz­iert „generell eine Entwicklun­g hin zum längeren Haar“– auch ohne Coronaviru­s. Er befürchtet nicht, dass Deutschlan­d nun kollektiv zerzaust. Das Haar müsse ja auch erst mal wachsen. „Ausnahme sind höchstens die Frauen, die sich die Haare jede Woche vom Friseur legen lassen. Aber das ist eine aussterben­de Tradition“, sagt Roetzel.

Ein kritischer Punkt könnte nach etwa vier Wochen eintreten. „Vier Wochen ist ungefähr der Rhythmus, in dem man mit einem Fassonschn­itt zum Friseur geht.“Kommt jetzt der Boom der Haarschnei­de-YoutubeAnl­eitungen? Es ist in jedem Fall gefährlich, ohne jede Ahnung einfach loszurasie­ren. Wer mal bei einem schlechten Friseur war, weiß: Verschnitt­enes Haar braucht wahnsinnig lange, bis es wieder rausgewach­sen ist. Die Seite instyle.de warnt bei ihren Tipps zum Selberschn­eiden daher in einem Ton, der auch bei einer Bombenents­chärfung passen würde: Die allererste Regel lautet eigentlich „don’t do it“– „lass es lieber!“Zugleich hat man ja alles da:

Schere, Kamm, oft Rasierer. Farbe lässt sich noch kaufen. Und Deutschlan­d hat eine gewisse Tradition, sich im familiären Kreis die Haare zu stutzen. Oft gibt es eine Tante, die das kann und am Ende jede Frisur als „frech“bezeichnet. „Es wird vielleicht zu einem Revival des Do-it-yourself-Haarschnit­ts kommen, also von Freunden oder der Familie“, meint Experte Roetzel. Wobei – die Zahl der physischen Kontakte soll ja eigentlich auf ein Minimum reduziert werden.

Also große Tristesse? Es kann aufs Gemüt schlagen. „Eine gute Frisur unterstrei­cht die Kleidung und auch, dass man sich wohlfühlt“, gibt der Modeberate­r Andreas Rose zu bedenken. Anderersei­ts könne man bei fortschrei­tendem Wuchs auch tricksen. „Meine Nachbarin zum Beispiel hat sich die Haare geflochten, das habe ich heute Morgen gesehen“, sagt er.

Oder man versucht vom Haar abzulenken – etwa mit schönem Make-up um die Augen. An die schauerlic­hsten Prognosen glaubt auch Rose nicht. Auf die Frage, ob in der Krise nicht auch der „Vokuhila“(vorne kurz, hinten lang) wieder Thema werden könne, sagt er: „Hören Sie auf, wie furchtbar! So etwas kommt nicht wieder, da lege ich mich fest!“

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Foto: Kahnert, dpa Schneiden oder wachsen lassen? Das ist jetzt die Frage.

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