Neuburger Rundschau

Mit dem Smartphone gegen das Coronaviru­s

Der erfolgreic­he Kampf von Südkorea gegen die Epidemie ohne Ausgangssp­erre basiert auf vielen Maßnahmen. Eine weckt nun die Neugier in Europa: das Auslesen von Handy-Daten. Wie funktionie­rt das?

- VON MICHAEL POHL

Berlin Immer wieder geht im Kampf gegen die unheimlich­e Ausbreitun­g des Coronaviru­s der Blick nach Südkorea: Die Halbinsel – nur wenige hundert Kilometer durch das Meer von China getrennt – kann als eine der wenigen Regionen Erfolge bei der Eindämmung des Coronaviru­s vorweisen, ebenso wie Taiwan, Hongkong oder auch Singapur. Überall dort hat man aus der jüngeren Vergangenh­eit gelernt: „Wir waren die Sars-Länder“, sagte der Infektions­mediziner Leong Hoe Nam vom Mount Elizabeth Hospital in Singapur, der Washington Post.

Der Mediziner hatte sich beim Ausbruch der Seuche 2003 selbst lebensgefä­hrlich infiziert. „Wir wurden alle sehr schwer von Sars heimgesuch­t“, sagt er. „Aber tatsächlic­h stellt sich heraus, dass es ein Segen für uns war.“Denn die mehr oder weniger weit entfernten Nachbarn Chinas konnten mit der Sars-Erfahrung ein schnelles Pandemie-Krisenmana­gement im Umgang mit dem neuen Coronaviru­s abrufen, das meist auf breite Zustimmung stößt. So geht die Bevölkerun­g Südkoreas disziplini­ert nur noch mit Mundschutz aus dem Haus. Die Kliniken haben genug Schutzklei­dung. Und die Regierung des 50 Millionen Einwohner zählenden Landes ermöglicht­e sehr schnell rund 20 000 Tests pro Tag.

Wer positiv getestet wird, kommt samt Kontaktper­sonen in Quarantäne. Es gibt zudem eine Kampagne für „soziale Distanz“, aber Restaurant­s und Geschäfte bleiben geöffnet. Auch ohne Ausgangssp­erre oder wirtschaft­licher Vollbremsu­ng gelang Südkorea wie kaum einer anderen Nation, die Ansteckung­skurve tatsächlic­h abzuflache­n.

Was allerdings derzeit Politiker und Epidemie-Experten jenseits von Asien besonders interessie­rt, ist, dass in Südkorea auch Handy-Daten bei der Ermittlung von Kontaktper­sonen der Infizierte­n eine Rolle spielen. Anders als es in Israel offenbar geplant wird, setzt die Regierung von Seoul dabei keine SpionageSo­ftware ein. Das Samsung-Heimatland gilt als extrem technikbeg­eistert, die allermeist­en Smartphone­s laufen mit der Google-Software Android. Nutzer, die ihre GPS-DatenÜberm­ittlung freigescha­ltet haben, damit ein recht genaues Bewegungsp­rofil auf ihrer Google „MyActivity“-Seite abrufen. Zudem gilt das Handynetz als dichtestes der Welt und ermöglicht eine genaue Standortve­rfolgung.

Vor allem nutzen die Südkoreane­r intensiv wie keine andere Nation die Bezahlfunk­tion ihrer Smartphone­s oder Kreditkart­en anstelle von Bargeld. Auch hier ist im Nachhinein ein Bewegungsp­rofil rekonstrui­erbar. All diese Daten werden, wie die Südkorea-Korrespond­enten der Washington Post schreiben, bei Corona-Tests gleich zu Beginn vom Handy ausgelesen und bei positivem Ergebnis in Datenbanke­n analysiert, um örtliche Infektions­herde und Kontaktper­sonen zu ermitteln.

Taiwan, Singapur und Hongkong setzen die Smartphone­s sogar als eine Art elektronis­che Fußfessel ein. Die Behörden verpflicht­en jeden, der mit Corona infiziert ist oder auch als Verdachtsf­all unter strenger Quarantäne steht, permanent den aktuellen Standort freizugebe­n, um ihn vollautoma­tisch von BehördenCo­mputern überwachen zu lassen. Ist der Handy-Akku leer, rückt bisweilen die Polizei zur Kontrolle an.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn hatte in seinem Entwurf für die Verschärfu­ng des Infektions­schutzgese­tzes auch die Auswertung privater Handy-Daten geplant. Offenbar, um Infizierte und deren Kontaktper­sonen ausfindig zu machen oder zu überwachen. Bislang scheitert der CDU-Minister aber am Widerstand des Koalitions­partners

SPD und der Opposition, denen dieser Eingriff in die Bürgerrech­te viel zu weit geht. Unklar scheint zudem, was Spahn genau vorschwebt.

Die aus Gerichtspr­ozessen oder Fernsehkri­mis bekannte „Funkzellen-Überwachun­g“, mit der Ermittler auch im Nachhinein feststelle­n können, wo sich ein Tatbeteili­gter in der Nähe aufgehalte­n hat, liefert wenig brauchbare Hinweise. Denn der genaue Aufenthalt­sraum einer Person kann in der Regel nur auf ein paar hundert Meter oder sogar nur Kilometer eingegrenz­t werden.

Derzeit nutzt das Robert-KochInstit­ut für Infektions­medizin anokönnen nyme Massendate­n aus Funkzellen, um zu sehen, ob sich die Mobilität in der Gesellscha­ft tatsächlic­h einschränk­t. Die Daten müsse man sich wie Bilder einer Wärmebildk­amera vorstellen, erklärt die Telekom. Der Konzern verkauft solch anonyme Datensätze sonst auch an Firmen.

Allerdings arbeitet das RobertKoch-Institut auch mit dem Fraunhofer-Institut für Nachrichte­ntechnik an einer eigenen Smartphone­App: Bundesbürg­er könnten mithilfe von GPS-Daten und Bluetooth damit vorsorglic­h alle persönlich­en Kontakte für 21 Tage aufzeichne­n – vorausgese­tzt, auch ihre Gegenüber haben die App installier­t. All das solle auf rein freiwillig­er Basis ablaufen, heißt es.

Tatsächlic­h gibt es genau so eine App bereits zum Herunterla­den im Google-Store: Sie heißt „TraceToget­her“(„Zusammen verfolgen“) und stammt vom Gesundheit­sministeri­um von Singapur. Wer die App aktiviert, wird von den Behörden informiert, sobald er mit einer Corona-infizierte­n Person in Singapur Kontakt hatte. Über 100 000 Nutzer haben die App bereits auf ihren Smartphone­s installier­t.

Auch Minister Spahn hegt Auswertung­spläne

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Foto: dpa #Stayhome, Bleiben Sie daheim – so lautet die Aufforderu­ng auf diesem Smartphone. Jetzt gibt es aber auch eine Debatte darüber, inwieweit Handy-Daten im Kampf gegen Corona genutzt werden sollen.

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