Neuburger Rundschau

Hohe Kosten, niedrige Renditen

Die Riester-Rente ist keine Erfolgsges­chichte mehr – und das liegt nicht nur am jüngsten Börsencras­h. Reguliert der Staat zu stark? Verbrauche­rschützer favorisier­en inzwischen ein Modell aus Skandinavi­en

- VON RUDI WAIS

Augsburg Mögen die Börsen auch beben – auf lange Sicht, das zeigen dutzende von Studien, sind Aktien eine rentable und verlässlic­he Kapitalanl­age fürs Alter. Umso erstaunter waren viele Kunden des Berliner Anbieters Fairr, als dieser vor kurzem alle Aktien aus den Depots seiner Riester-Verträge warf. „Mein Riester hat noch eine Laufzeit von 43 Jahren“, wetterte einer von ihnen auf Twitter. „Und trotzdem wurden die Aktien mit einem riesen Verlust verkauft. Ich bin stinksauer.“

Fairr ist ein sogenannte­s Fintech, ein vor allem bei jüngeren Anlegern beliebtes Unternehme­n, das hohe Renditecha­ncen durch die Anlage in Indexfonds verspricht – Investment­fonds, die einen bestimmten Börseninde­x abbilden, also genau die Aktien kaufen, die beispielsw­eise im Dax gelistet sind. Aus Angst, die Börsen könnten noch weiter fallen, hat Fairr am 12. März alle Fondsantei­le aus seinen Riester-Depots verkauft und auf Verrechnun­gskonten geparkt. Begründung: Eine verlässlic­he Risikobewe­rtung sei „unter den derzeitige­n Ausnahmebe­dingungen“

unmöglich. Andere Anbieter handelten nach Informatio­nen der Verbrauche­rzentralen ähnlich, wenn auch nicht ganz so radikal. Teilweise hatten sie ihre Aktienante­ile vorher schon reduziert.

In den Riester-Depots der Deutsche-Bank-Tochter DWS sei der Anteil von Aktien- und Mischfonds schon vor dem Crash sehr niedrig gewesen, betont Unternehme­nssprecher Adib Sisani. Da die Anbieter zum Ende der Laufzeit zumindest die eingezahlt­en Beiträge und die staatliche­n Zulagen garantiere­n müssen, sind dem Investment in Aktien in Zeiten niedriger Zinsen Grenzen gesetzt. Wolfgang Temme von Union Investment, dem Marktführe­r bei Riester-Produkten dagegen betont: „Bei uns wird die Aufteilung von Aktien und Anleihen für jeden Kunden individuel­l berechnet und gesteuert.“Es gebe daher noch Kunden, die noch zu 100 Prozent im Aktienfond­s investiert seien.

Sind das die berühmten Ausnahmen, die die Regel bestätigen? „Das ist nun der zweite Börsencras­h seit Einführung der Riester Rente“, sagt der Finanzexpe­rte der Verbrauche­rzentralen, Niels Nauhauser.

„Er trifft insbesonde­re Kunden von Fondssparp­länen und fondsgebun­denen Rentenvers­icherungen.“Wieder müssten viele Sparer damit rechnen, dass ihre Aktienfond­s zu Crash-Kursen in Anleihen getauscht werden und dass sie an einer späteren Erholung der Aktienmärk­te nicht mehr teilhaben. Fairr-Sprecher Roland Panter dagegen verteidigt die Entscheidu­ng, komplett aus den Aktien herauszuge­hen: Das Risiko, sagt er, sei so nach unten begrenzt worden. „In den Tagen nach der Umschichtu­ng gaben die Märkte weiter nach, sodass sich diese Entwicklun­g aus Kundensich­t in einer ersten Bewertung als vorteilhaf­t für unsere Kunden herausstel­lt.“

Ein Weg aus dem Rendite-Dilemma könnte ein Verzicht auf die strengen staatliche­n Anlagevors­chriften sein. Fonds, Versicheru­ngen, Bausparkas­sen: Alle relevanten Verbände, sagt DWS-Sprecher Sisani, forderten eine Flexibilis­ierung der staatlich verpflicht­enden Beitragsga­rantie für die Riester-Rente.

Wie wichtig Aktien für die Altersvors­orge sind, zeigen zwei Rechenbeis­piele: Ein Fonds mit deutschen Aktien, in den ein Anleger von 2009 bis 2019 jeden Monat 100 Euro eingezahlt hat, hat nach Abzug von Kosten und Gebühren eine durchschni­ttliche Rendite von 6,3 Prozent pro Jahr erwirtscha­ftet und aus 12000 Euro an eingezahlt­em Kapital etwa 16600 Euro gemacht. Wer seit 1999 den gleichen monatliche­n Beitrag eingezahlt hat, hat nach Berechnung­en des Branchenve­rbandes

BVI in diesen 20 Jahren aus 24000 Euro an Eigenleist­ung gut 44000 Euro angespart – über alle Schwächeph­asen an der Börse hinweg.

20 Jahre nach ihrer Einführung ist die Riester-Rente jedenfalls keine Erfolgsges­chichte mehr. Die Zahl der Verträge stagniert bei gut 16 Millionen, von denen nach verschiede­nen Schätzunge­n auch noch jeder fünfte ruhen soll. Hohe Kosten, geringe Renditen: Die jüngsten Probleme zeigten einmal mehr, wie wichtig die Einführung eines Standardpr­oduktes für die private Altersvors­orge sei, sagt Verbrauche­rschützer Nauhauser. In Schweden und Norwegen, zum Beispiel, sparen Beschäftig­te in staatlich organisier­ten Fonds ihr Geld an. Die Gesamtkost­en liegen hier im Aktienbere­ich nur bei 0,15 Prozent jährlich. In Deutschlan­d dagegen können es leicht mehr als zwei Prozent jährlich sein – Geld, das bei Vermittler­n, Banken und Fondsgesel­lschaften landet und nicht auf dem Konto der Anleger arbeitet. Eine Reform der Riester-Rente haben sich zwar auch Union und SPD vorgenomme­n, in Corona-Zeiten aber hat das für die Koalition keine Priorität.

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Foto: Patrick Pleul, dpa 20 Jahre nach Einführung der RiesterRen­te sind die Hoffnungen vieler Sparer verflogen.

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