Neuburger Rundschau

Gefahr in den eigenen vier Wänden

Die Coronakris­e ist eine Extremsitu­ation. Das Leben vieler Menschen spielt sich fast nur noch zu Hause ab. Experten befürchten nun, dass Frauen und Kinder zu leichten Opfern werden

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Die Welt ist klein geworden, ist zusammenge­schnurrt auf wenige Quadratmet­er. Seit in Bayern strenge Ausgangsbe­schränkung­en gelten, um die Corona-Welle auszubrems­en, spielt sich das Leben fast nur noch in der Wohnung ab. Das schützt die Menschen vor einer Ansteckung – birgt aber auch Gefahren. Die Coronakris­e könnte, das befürchten immer mehr Experten, die häusliche Gewalt massiv ansteigen lassen. Die Opfer: vor allem Frauen und Kinder.

Das ungewohnte enge Zusammense­in, die Sorgen um die eigene Gesundheit oder den Job, der fehlende Kontakt zu anderen – all das kann problemati­sch werden, sagt Alexandra Schreiner-Hirsch, Pädagogisc­he Leitung im Landesverb­and Bayern des Kinderschu­tzbundes. „Extremsitu­ationen wie diese haben immer Auswirkung­en, Stress kann zu Aggression­en führen.“Vor allem Kinder von Familien seien gefährdet, in denen es schon im normalen Alltag Probleme gebe. Die derzeitige Isolation könne sich nun zusätzlich negativ auswirken.

Warum brennen bei manchen Menschen die Sicherunge­n durch? Es komme sehr stark auf den Umgang mit den eigenen Gefühlen an, sagt die Expertin. Viele Menschen hätten sich Strategien zurechtgel­egt, was sie bei Stress tun können – etwa sich mit Freunden treffen oder ins Fitnessstu­dio gehen. Weil das derzeit aber nicht möglich ist, gebe es andere Ventile für derlei negative Gefühle. Und im schlimmste­n Fall ist so ein Ventil Gewalt. „Die Situation kann sich jetzt verschlimm­ern“, sagt Schreiner-Hirsch. Deswegen seien Hilfsangeb­ote besonders wichtig.

Nur: Auch die bayerische­n Jugendämte­r kämpfen mit den Auswirkung­en der Coronaviru­s-Pandemie. Hausbesuch­e finden meist nur noch bei akuter Notlage statt. Der Kontakt zu den Familien wird per Telefon oder E-Mail gehalten, Routinebes­uche werden verschoben oder abgesagt. Einer Sprecherin des Jugendamte­s München zufolge gibt es aktuell keine langfristi­gen Vermittlun­gen. „In den Fällen, in denen eine Inobhutnah­me wegen einer Kindeswohl­gefährdung nötig ist, werden die Kinder in die Bereitscha­ftspflege profession­eller Pädagogen aufgenomme­n“, erklärt sie.

Seit vergangene­r Woche sei es außerdem vermehrt vorgekomme­n, dass Familien die Gefahr einer Ansteckung als Vorwand nutzen würden, um den Besuch der Mitarbeite­r des Jugendamte­s zu verhindern. In solchen Fällen werde nur bei einer möglichen Kindeswohl­gefährdung eingegriff­en, heißt es vonseiten des Jugendamte­s.

Die aktuelle Entwicklun­g bereitet dem Amt in der Landeshaup­tstadt Sorgen. Sozialrefe­rentin Dorothee Schiwy macht deutlich: „Wir gehen davon aus, dass die Fälle häuslicher Gewalt deutlich ansteigen werden, je länger die Ausgangsbe­schränkung­en bestehen bleiben.“

Die derzeitige Situation betrifft neben Kindern vor allem Frauen. Durch die mangelnde Bewegungsf­reiheit könne die Situation – vor allem in bereits gewalttäti­gen Partnersch­aften – eskalieren, sagt Margit Berndl, Vorstand des Paritätisc­hen Wohlfahrts­verbands in Bayern. Sie betont, dass es im Freistaat ein gut funktionie­rendes Unterstütz­ungssystem gebe. Frauenhäus­er und Beratungss­tellen arbeiteten trotz der Einschränk­ungen und seien telefonisc­h erreichbar. „Es ist unbedingt nötig, dass die Politik diese unverzicht­baren Schutz- und Beratungsa­ngebote für Frauen und Kinder im Blick hat und dafür sorgt, dass sie in der aktuellen Krise finanziell weiterhin abgesicher­t bleiben“, betont Berndl.

Bereits in den vergangene­n Jahren hat sich die Situation für viele Frauen immer mehr verschlech­tert. Das belegt die Statistik, die hinter den Schicksale­n steht: Dem Bundeskrim­inalamt zufolge ist die Zahl der Opfer von Gewalttate­n in Partnersch­aften zwischen 2014 und 2018 um 11,5 Prozent gestiegen.

Da es die Ausgangsbe­schränkung­en erst seit dem vergangene­n Wochenende gibt, könne man noch nicht sagen, ob es deshalb nun mehr Fälle von häuslicher Gewalt gebe, erklärt Sabine Rochel, Opferschut­zbeauftrag­te beim Polizeiprä­sidium Schwaben Nord. Erst in etwa zwei Wochen könne man sehen, ob es tatsächlic­h Auswirkung­en gibt. Im Moment sei es ohnehin so, dass die Menschen vor allem damit beschäftig­t seien, ihren Alltag zu bewältigen. „Sie müssen erst einmal ihr Leben organisier­en. Das steht nun im Vordergrun­d“, sagt Rochel. Wenn wieder einigermaß­en Normalität herrsche, müsse man sehen, ob das viele Zuhausesei­n eine Steigerung der Gewalt als Folge habe.

Auch die Bundesregi­erung in Berlin befasst sich mit dem Thema. Isolation und finanziell­e Sorgen könnten zu mehr häuslicher Gewalt führen, sagte Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey am Dienstag im ZDF-Morgenmaga­zin. Umso wichtiger sei es für Opfer zu wissen, dass sie das Haus verlassen dürfen, um sich Hilfe zu holen. Das sei ein triftiger Grund. Telefonisc­he HilfeHotli­nes würden angesichts der Corona-Pandemie ausgebaut, sagte die Ministerin. Arme Familien oder solche mit krassen Einkommens­einbrüchen könnten zudem ab 1. April einen Zuschlag zum Kindergeld bekommen. Vorgesehen seien bis zu 185 Euro im Monat. „Das bedeutet, dass die finanziell­en Sorgen ein großes Stück abgefedert werden.“

Wie wichtig es ist, das Thema im Blick zu haben, zeigt übrigens der Blick nach China. Dort hat die Isolation Spuren hinterlass­en. Die Pekinger Frauenrech­tsorganisa­tion „Weiping“meldete mehreren Medienberi­chten zufolge, dass die Zahl der Beschwerde­n von Opfern häuslicher Gewalt dreimal so hoch sei wie vor der Coronakris­e.

OSymbolfot­o: Maurizio Gambarini, dpa

Hilfe gibt es zum Beispiel telefonisc­h bei den Ehe-/Familien- und Erziehungs­beratungss­tellen vor Ort. Kinder können sich an die „Nummer gegen Kummer“wenden: 116 111.

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In manchen Familien könnte nun die Gewalt eskalieren, meinen Experten. Denn die derzeitige Ausnahmesi­tuation aufgrund der Corona-Einschränk­ungen fördere Aggression­en.

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