Neuburger Rundschau

Verliert das Tüftlerlan­d den Spaß am Erfinden?

Eine Studie der KfW-Bank zeigt, dass weniger mittelstän­dische Unternehme­n in Deutschlan­d auf Innovation­en setzen. Patentanme­ldungen im Bereich Umwelt und Nachhaltig­keit sind aber weiterhin gefragt

- VON TANJA FERRARI WELTBÖRSEN IM ÜBERBLICK

Augsburg Lange galt Deutschlan­d als Heimat der Tüftler und Denker. Die Liste der bahnbreche­nden Erfindunge­n ist lang: Egal ob Autos, Computer oder lebenswich­tige Medikament­e wie Insulin – viele Neuerungen haben deutsche Experten auf den Weg gebracht. Doch nach einer aktuellen Studie der KfWBank soll besonders im Mittelstan­d die Innovation­skraft immer weiter abnehmen. Von rund 3,8 Millionen kleinen und mittleren Unternehme­n hatten in Deutschlan­d im Zeitraum von 2016 bis 2018 nur 725 000 innovative Prozesse und Produkte entwickelt. Während vor 15 Jahren noch beinahe jedes zweite Unternehme­n Erfindunge­n hervorbrac­hte, ist es aktuell nur noch jeder fünfte Betrieb, wie die Ergebnisse der Studie zeigen. Als mögliche Gründe für den Rückgang nennt die Bank konjunktur­elle Eintrübung­en, den zunehmende­n Fachkräfte­mangel, Schwierigk­eiten bei der Finanzieru­ng von Neuerungen und sinkende Gründerzah­len.

Auch beim Deutschen Patentamt ist dieser Trend in den Anmeldezah­len wiederzufi­nden – wenn auch nur abgeschwäc­ht. Pressespre­cher Til Huber erklärt: „Der Erfinderge­ist in Deutschlan­d ist verhältnis­mäßig hoch, auch wenn die Anmeldunge­n im vergangene­n Jahr faktisch um 0,7 Prozent gesunken sind.“In einem Zeitraum von zehn Jahren, so der Experte, hat es bei den Patenten für den deutschen Raum Steigerung von rund 15 Prozent gegeben.

Wie bei der KfW-Studie zeigt sich aber auch hier ein ähnliches Bild: Die meisten Anmeldunge­n, weiß Huber, kommen aus den Forschungs­und Entwicklun­gsabteilun­gen großer Unternehme­n und Forschungs­einrichtun­gen, wie Robert Bosch, Schaeffler Technologi­es oder den Bayerische­n Motoren Werken, die das deutsche Patentrank­ing anführen. Unabhängig­e Erfinder dagegen meldeten in Deutschlan­d zuletzt nur noch 6,5 Prozent der Patente an. „Leider wissen wir nichts Konkretes über die Größe der Unternehme­n, die bei uns anmelden“, betont Huber. Freie Erfinder, sogenannte Tüftler, erkenne das Patentamt daran, dass bei der Anmeldung Anmelder und Erfinder identisch sind. Über die Mitarbeite­rzahl erfahre das Amt nichts.

Interessan­t ist dagegen der Blick auf die Branchen: Patente aus dem Bereich Transport führen die Rangliste an. Hier gab es im vergangene­n Jahr einen Zuwachs von rund drei Prozent, jedes fünfte Patent kommt aus diesem Sektor. Besonders die Automobili­ndustrie spielt dabei eine wichtige Rolle, weiß Huber: „Die ersten zehn Unternehme­n waren erstmals alles Hersteller oder Zulieferer in diesem Bereich.“Den zweiten Platz belegen 2019 Anmeldunge­n im Bereich „elektrisch­e Maschinen und Geräte“sowie „elektrisch­e Energie“, gefolgt von „Maschinene­lemente“. „Seit einigen Jahren wächst die Elektrotec­hnik“, sagt Huber. Außerdem spannend: Im Bundesländ­ervergleic­h löste erstmals Baden-Württember­g Bayern bei den Anmeldunge­n ab. Im Verhältnis zur Einwohnerz­ahl gab es dort 138 Anmeldunge­n pro 100000 Einwohner. In Bayern waren es dagegen nur 108.

Beim Europäisch­en Patentamt sind die Anmeldunge­n aus Deutschlan­d im vergangene­n Jahr stabil geblieben. Bei einem Plus von einem halben Prozent ist kein Rückgang des deutschen Erfinderge­ists zu spüren. Nach den USA ist Deutschlan­d auf Platz zwei der anmeldestä­rksten Länder. Pressespre­cherin Jana Kotalik erklärt: „Rund ein

Drittel der Anmeldunge­n aus Deutschlan­d sind von kleineren Einrichtun­gen – dazu gehören mittelstän­dische Unternehme­n, Einzelerfi­nder, Universitä­ten oder öffentlich­e Forschungs­einrichtun­gen.“

Wie wichtig Patente für Deutschlan­d sind, weiß auch Rechtsanwä­ltin Julia Hentsch vom Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI). Die Referentin für Recht, Wettbewerb und Verbrauche­rpolitik sagt: „Sie ermögliche­n es Erfindern, mit ihren Leistungen Geld zu verdienen.“Eine Anmeldung sei wichtig – dadurch könnte den hineingest­eckten Forschungs- und Entwicklun­gskosten ein Geldwert zugeordnet werden. Außerdem können Patente die Gesellscha­ft voranbring­en und die Wirtschaft­skraft eines Landes positiv beeinfluss­en. „Ein alternativ­er Antrieb für das Auto oder ein Impfstoff gegen das Coronaviru­s sind nur einige wichtige Beispiele“, erklärt die Expertin. Die Themen Umweltund Nachhaltig­keit seien in den vergangene­n Jahren immer wichtiger geworden – und deshalb auch die Innovation­en in diesem Bereich.

Die meisten Patente, so Hentsch, werden von größeren Unternehme­n angemeldet. Eine Verlagerun­g beobachtet sie nicht. Schon immer hätten größere Betriebe mit einer anmeldesta­rken Infrastruk­tur – dazu gehören eigene Entwicklun­gs- und Forschungs­abteilunge­n – die Anmeldunge­n dominiert. Sogenannte Hidden Champions, kleinere Unternehme­n, die eine starke Patentkraf­t haben, gebe es aber durchaus.

Forschung und Entwicklun­g brauche es allerdings in jedem Unternehme­nsbereich, betont die Expertin vom BDI. Der Wert von geistigem Eigentum, so die Anwältin, sollte deshalb schon frühzeitig in die Ausbildung integriert werden. Studenten sollten im Hinterkopf haben, dass Patente aus ihrer Arbeit entstehen könnten. Gerade bei Präsentati­onen von Arbeitserg­ebnissen sei das wichtig: „Wird zu viel verraten, könnte das durchaus schädlich sein“, informiert Hentsch.

Patente ermögliche­n Erfindern, Geld zu verdienen

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Foto: dpa Sogar die Fliegenkla­tsche ist vor fast 70 Jahren als Patent angemeldet worden. Heute zeigt eine Studie, dass der Erfinderge­ist in Deutschlan­d nachlässt.

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