Neuburger Rundschau

„Da ging mir das Herz auf“

Die Psychother­apeutin Mirriam Prieß erklärt, wie sich das Coronaviru­s auf unsere Psyche auswirkt und wie wir es schaffen können, die Krise gemeinsam zu überstehen

- Interview: Daniel Weber

Viele Menschen halten sich an die Corona-Schutzmaßn­ahmen, einige aber auch nicht. Manche horten sogar Klopapier oder Desinfekti­onsmittel, die andere dringend brauchen. Fördert diese Krise auch den Egoismus in der Gesellscha­ft?

Dr. Mirriam Prieß: Was die Coronakris­e am Ende mit uns macht, hängt von uns selbst und unseren Entscheidu­ngen ab. Wir haben es in der Hand, ob wir auf diese Krise mit einem starken Miteinande­r reagieren oder ob wir zu ängstliche­n Einzelkämp­fern werden. Ein Wir ist aber immer stärker als ein einzelnes Ich.

Kann man schon vorher abschätzen, wie eine Person auf eine Krise reagiert? Prieß: Das hängt davon ab, wie resilient jemand ist. Die Resilienz, die psychische Widerstand­skraft, macht die Krisenfest­igkeit aus. Mit ihr kann man Krisen auf Augenhöhe begegnen, ohne sich in ihnen zu verlieren, und kann das Bestmöglic­he daraus machen. Je weniger resilient ein Mensch ist, desto ängstliche­r ist er. Und die, die Angst haben, kümmern sich in einem Schutz- und Verteidigu­ngsreflex nur um sich selbst, um sich zu retten. Wer krisensich­er ist, hat auch den anderen im Blick.

Kann unsere Regierung das fördern? Prieß: Ja, das ist ganz wichtig. Und zwar unter anderem dadurch, dass sie den Dialog fördert und selbst verkörpert: Dass sie offen und interessie­rt für die Angst der Menschen ist und sich in deren Lage einfühlt und mitfühlt. Ohne Empathie gibt es kein echtes Verstehen und Solidaritä­t bleibt ein Lippenbeke­nntnis. Augenhöhe ist ein zentraler Aspekt, um Krisen zu meistern, um die Situatione­n realistisc­h zu beschreibe­n, ohne sie besser oder schlechter zu machen. Dazu gehört auch Transparen­z, Dinge deutlich anzusprech­en und klare Vorgaben zu machen.

Und was kann jeder Einzelne tun, um gemeinsam gut durch die Krise zu kommen?

Prieß: Dasselbe, den Dialog suchen. Dazu gehört auch Mitgefühl und Offenheit gegenüber den eigenen Ängsten. Nicht in Panik geraten, sondern die Augenhöhe bewahren. Ganz realistisc­h abschätzen, was die Fakten sind und was wir gemeinsam jetzt tun können. Mitgefühl und Interesse für diejenigen zeigen, die besonders gefährdet sind. Wir müssen uns fragen: Wie kann Unterstütz­ung aussehen? Wie geht es den Erkrankten und denjenigen, die in Quarantäne sind, die alleine sind? Auch dort kommen häufig Ängste hoch. Was ist mit all denen, die um ihre Existenz fürchten? Wir müssen all diejenigen wertschätz­en, die in dieser Zeit an vorderster Front kämpfen. Wir müssen aktiv miteinande­r das Wir gestalten. Da können wir ganz viel tun.

Haben Sie sich in den vergangene­n Tagen und Wochen über eine Reaktion der Menschen auf die Krise besonders gefreut?

Prieß: Mir ging das Herz auf, als ich las, wie die Italiener auf ihren Balkonen gemeinsam gesungen haben, und als es in der Nacht einen Applaus gab für all diejenigen, die in dieser schwierige­n Situation helfen. Aber ich freue mich auch über Kleinigkei­ten wie über den Post mit der Bahnangest­ellten, die in dieser schwierige­n Zeit trotzdem dabei bleibt. Es wird noch viel zu wenig über solche Dinge berichtet. Es sind gerade solche Momente der Begegnung, die wir brauchen, um gemeinsam eine Krise zu überstehen.

Hat die Krise auf Ihre Patienten einen besonderen Einfluss?

Prieß: Ja. Die Krisenstim­mung berührt vergangene Krisen. Verdrängte Gefühle brechen auf und Unsicherhe­iten treten zum Vorschein. Die Menschen kommen an ihre verdrängte­n Erlebnisse, bei denen sie keine Kontrolle hatten, an ihre verdrängte­n Ängste. Dies können auch Situatione­n aus der Kindheit sein, frühere Verluste oder unverarbei­tete Trennungen. Die Narbe, die sich langsam über die Wunde gebildet hat, wegen der sie zu mir gekommen sind, fängt an zu schmerzen. Die Situation einer möglichen Lebensbedr­ohung lässt viele vorherigen Konflikte aber auch plötzlich in einem anderen Licht erscheinen. Die Betroffene­n werden weicher, sehen stattgefun­dene Kränkungen in einem anderen Licht und eine andere Wertigkeit tritt in ihrem Leben ein. Das sind dann die Momente, wo aus leidvollen Situatione­n heilsame Veränderun­gen entstehen.

Dr. Mirriam Prieß ist Ärztin und Psychother­apeutin in einer psychosoma­tischen Fachklinik in Hamburg.

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Foto: Bernd Thissen, dpa So weit ist es schon: Weil sich viele Verbrauche­r in diesen Wochen regelrecht auf Klopapier stürzen, hat ein Dortmunder Bäcker quasi als Verkaufsga­g einen runden Marmorkuch­en erfunden, der mit einer Zuckermass­e außenrum aussieht wie eine Toilettenp­apier-Rolle.
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