So werden Farbtrends der Zukunft gemacht
Während manche noch rätseln, welche Töne im Sommer angesagt sein könnten, haben Colour-Experten längst die Trends für 2021/22 im Blick. Ein Designer verrät, wie die Kreativen bei ihrer Arbeit vorgehen
Geht es nach dem bei Designern und Grafikern geschätzten Pantone-Instituts, soll die Farbe des Jahres 2020 ein klassisches Blau sein. Die Konkurrenz der amerikanischen Trendscouts, die schwedischen Farbdesign-Speialisten NCS Colour hatten den Blau-Siegeszug schon 2018 für die kommenden Jahre mit einer ganzen „Water“-Farbtonfamilie ausgerufen. NCS hat sich bereits auf die kommenden Farbtrends für die Jahre „2021 plus“festgelegt, deren Farbpaletten weniger kräftig, sondern in diversen Pastelltönen daherkommen. Aber wie werden solche Trends überhaupt entdeckt und festgelegt?
„Wir Designer nehmen unsere Inspirationen von der Natur, von dem, was wir sehen und um uns herum erleben“, sagt der Kreativdirektor Karl Johan Bertilsson von NCS Colour. Beim Thema Blau und Wasser spielte dabei vor Jahren auch die politische Diskussion um saubere Meere, Umweltverschmutzung mit Plastik und reines Trinkwasser eine Rolle. Doch NCS legt sich nie auf nur eine Farbe als Trend fest, sondern entwirft eine Handvoll „Trendstorys“, die sich um ganze Farbfamilien drehen. „Man trifft eine Farbentscheidung niemals mit nur einer Farbe, sondern immer im Zusammenspiel mit anderen“, erklärt Bertilsson seine Philosophie.
„Um zu verstehen, was kommt, müssen wir uns bewusst werden, was die Trends von heute sind“, sagt der Farbexperte. „Wenn wir das Heute verstehen, ist es einfach, unsere Vorlieben von morgen zu verstehen, denn unser Bewusstsein arbeitet in bestimmte Richtungen.“Manchmal gehe es dabei langsam von einem Extrem ins andere. „Irgendwann ist man einer Phase neutraler Farben überdrüssig und will hochdramatische Farben. Dann kommt zu einem Reinigungsprozess.“Zugleich spielen gesellschaftliche Entwicklungen eine große Rolle. „Die große Herausforderung ist es, eine Balance aus rationalen und intuitiven Inspirationen zu komponieren“, sagt der Schwede.
Für 2020 beispielsweise hat NCS schon vergangenes Jahr unter anderem eine Farbfamilie „Shades of Inkognito“als Trend definiert. Eine ruhige dezente Farbpalette, die von sattem Braun über warmes Beige bis hin zu hellem Grau reicht. Man könnte es mit „Schattierungen der Anonymität“übersetzen, denn das ist der Grundgedanke, der laut Bertilsson hinter der Farbpalette steht.
Auslöser war eine immer breitere Gegenbewegung zur Frühphase der sozialen Netzwerke, als Millionen Facebook-Nutzer selbst privateste Details aus ihrem Leben für die breite Öffentlichkeit ins Netz stellten. „Heute gibt es eine Gegenreaktion, man möchte nicht, dass andere die eigenen Daten und Informationen für ihre Zwecke nutzen.“Dies setzen die Designer in Farben um. Und tatsächlich fanden sich die Farbtöne von „Shades of Inkognito“sehr ähnlich etwa in der vergangenen Wintermode oder der großen anhaltenden Vorliebe für Beige-Töne, aber auch in Kollektionen von Einrichtungshäusern wieder.
Aber wie setzt man gesellschaftliche Trends in Farben um? Es gehe dabei um Erfahrung, viel Lernen und viele Diskussionen, sagte Bertilsson, der mit seiner Erscheinung nicht wie ein Modedesigner, sondern graubärtig, ein bisschen wie ein schwedischer Segelboot-Skipper wirkt, oder die Kommissar-Rolle in einen Skandinavien-Krimi übernehmen könnte. „Farbe und Musik sind für mich im Grunde das Gleiche: Leidenschaft, starke Gefühle, offensichtliche Schönheit“, sagt er.
Um Gefühle in international gültige Farbtrends zu fassen, befragen die Designer Menschen in den verschiedensten Ländern. Denn die Antworten können regional sehr verschieden sein: „Bestimmte Begriffe werden nicht immer mit der gleichen Farbe übersetzt“, sagt der Schwede. „Das Wort ,warm‘ wird meistens mit Orangetönen assoziiert, aber in Russland spielt diese Farbe keine Rolle, sie verbinden mit warm Gelb oder Pink. Warum, weiß ich nicht.“
Zugleich haben die FarbtrendExperten den Anspruch, international identische Farbpaletten zu definieren. „Wir arbeiten dabei mit globalen Megatrends, die in Deutschland, Stockholm, Frankreich, Los Angelos, Buenos Aires und Johannesburg ähnlich sind“, betont Bertilsson. Der wichtigste Megatrend sei dabei zweifellos der Klimawandel: „Wenn mich jemand vor ein paar Jahren gefragt hätte, ob wir in Schweden Naturkatastrophen erleben, hätte ich gesagt Nein, wir leben im dafür langweiligsten Land der Welt, wo nichts passiert. Und plötzlich kam das Jahr 2018 und es hat Bumm gemacht: Wir hatten tropische Temperaturen. Wir hatten so viele Waldbrände, wie ich noch nie in meinem Leben erlebt habe.“
Seitdem zieht sich der Trend Nachhaltigkeit durch alle Branchen und Lebensbereiche und definierte auch die Farbwelt neu. „Die Farbpalette wird neutraler und weicher, weniger kräftig wirken mit Farben in verwaschenen Pastelltönen, wir werden sicher in Zukunft auch noch mehr Grün- und Blautöne erleben“, sagt Kreativdirektor Bertilsson voraus. Die junge Generation nehme das Handeln in die Hand, sagt der Schwede. „Es ist eine Generation von Machern, die viel Einfluss auf die kommenden Jahre haben wird.“
Und was kommt 2021? Die Schweden haben wieder vier Farbfamilien definiert. Eine Pastellpalette aus Sand, Rosa, Blau- und Grüntönen soll eine Art Flucht aus der Realität und Unsicherheit widerspiegeln, wie es die Art-Deco-Ära nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs mit ihrer neuen Art von Opulenz und extravaganten Farben vorgemacht hat. Der Trend zu Bio und der Suche nach einer besseren Zukunft verkörpern Grün- und Brauntöne. Für positiv gestimmte weltoffene Farbfreunde sagt NCS die „Saat“(Seeds)-Palette aus warmen, dominiert von warmen Gelbund Rottönen kombiniert mit natürlichem Grün voraus. Doch auch der beige-braune Inkognito-Trend bleibt erhalten und wird nun zur Aufrichtigkeit „Honesty“erhoben. »
Farbtöne werden pastelliger und natürlicher