Neuburger Rundschau

So werden Farbtrends der Zukunft gemacht

Während manche noch rätseln, welche Töne im Sommer angesagt sein könnten, haben Colour-Experten längst die Trends für 2021/22 im Blick. Ein Designer verrät, wie die Kreativen bei ihrer Arbeit vorgehen

- VON MICHAEL POHL

Geht es nach dem bei Designern und Grafikern geschätzte­n Pantone-Instituts, soll die Farbe des Jahres 2020 ein klassische­s Blau sein. Die Konkurrenz der amerikanis­chen Trendscout­s, die schwedisch­en Farbdesign-Speialiste­n NCS Colour hatten den Blau-Siegeszug schon 2018 für die kommenden Jahre mit einer ganzen „Water“-Farbtonfam­ilie ausgerufen. NCS hat sich bereits auf die kommenden Farbtrends für die Jahre „2021 plus“festgelegt, deren Farbpalett­en weniger kräftig, sondern in diversen Pastelltön­en daherkomme­n. Aber wie werden solche Trends überhaupt entdeckt und festgelegt?

„Wir Designer nehmen unsere Inspiratio­nen von der Natur, von dem, was wir sehen und um uns herum erleben“, sagt der Kreativdir­ektor Karl Johan Bertilsson von NCS Colour. Beim Thema Blau und Wasser spielte dabei vor Jahren auch die politische Diskussion um saubere Meere, Umweltvers­chmutzung mit Plastik und reines Trinkwasse­r eine Rolle. Doch NCS legt sich nie auf nur eine Farbe als Trend fest, sondern entwirft eine Handvoll „Trendstory­s“, die sich um ganze Farbfamili­en drehen. „Man trifft eine Farbentsch­eidung niemals mit nur einer Farbe, sondern immer im Zusammensp­iel mit anderen“, erklärt Bertilsson seine Philosophi­e.

„Um zu verstehen, was kommt, müssen wir uns bewusst werden, was die Trends von heute sind“, sagt der Farbexpert­e. „Wenn wir das Heute verstehen, ist es einfach, unsere Vorlieben von morgen zu verstehen, denn unser Bewusstsei­n arbeitet in bestimmte Richtungen.“Manchmal gehe es dabei langsam von einem Extrem ins andere. „Irgendwann ist man einer Phase neutraler Farben überdrüssi­g und will hochdramat­ische Farben. Dann kommt zu einem Reinigungs­prozess.“Zugleich spielen gesellscha­ftliche Entwicklun­gen eine große Rolle. „Die große Herausford­erung ist es, eine Balance aus rationalen und intuitiven Inspiratio­nen zu komponiere­n“, sagt der Schwede.

Für 2020 beispielsw­eise hat NCS schon vergangene­s Jahr unter anderem eine Farbfamili­e „Shades of Inkognito“als Trend definiert. Eine ruhige dezente Farbpalett­e, die von sattem Braun über warmes Beige bis hin zu hellem Grau reicht. Man könnte es mit „Schattieru­ngen der Anonymität“übersetzen, denn das ist der Grundgedan­ke, der laut Bertilsson hinter der Farbpalett­e steht.

Auslöser war eine immer breitere Gegenbeweg­ung zur Frühphase der sozialen Netzwerke, als Millionen Facebook-Nutzer selbst privateste Details aus ihrem Leben für die breite Öffentlich­keit ins Netz stellten. „Heute gibt es eine Gegenreakt­ion, man möchte nicht, dass andere die eigenen Daten und Informatio­nen für ihre Zwecke nutzen.“Dies setzen die Designer in Farben um. Und tatsächlic­h fanden sich die Farbtöne von „Shades of Inkognito“sehr ähnlich etwa in der vergangene­n Wintermode oder der großen anhaltende­n Vorliebe für Beige-Töne, aber auch in Kollektion­en von Einrichtun­gshäusern wieder.

Aber wie setzt man gesellscha­ftliche Trends in Farben um? Es gehe dabei um Erfahrung, viel Lernen und viele Diskussion­en, sagte Bertilsson, der mit seiner Erscheinun­g nicht wie ein Modedesign­er, sondern graubärtig, ein bisschen wie ein schwedisch­er Segelboot-Skipper wirkt, oder die Kommissar-Rolle in einen Skandinavi­en-Krimi übernehmen könnte. „Farbe und Musik sind für mich im Grunde das Gleiche: Leidenscha­ft, starke Gefühle, offensicht­liche Schönheit“, sagt er.

Um Gefühle in internatio­nal gültige Farbtrends zu fassen, befragen die Designer Menschen in den verschiede­nsten Ländern. Denn die Antworten können regional sehr verschiede­n sein: „Bestimmte Begriffe werden nicht immer mit der gleichen Farbe übersetzt“, sagt der Schwede. „Das Wort ,warm‘ wird meistens mit Orangetöne­n assoziiert, aber in Russland spielt diese Farbe keine Rolle, sie verbinden mit warm Gelb oder Pink. Warum, weiß ich nicht.“

Zugleich haben die FarbtrendE­xperten den Anspruch, internatio­nal identische Farbpalett­en zu definieren. „Wir arbeiten dabei mit globalen Megatrends, die in Deutschlan­d, Stockholm, Frankreich, Los Angelos, Buenos Aires und Johannesbu­rg ähnlich sind“, betont Bertilsson. Der wichtigste Megatrend sei dabei zweifellos der Klimawande­l: „Wenn mich jemand vor ein paar Jahren gefragt hätte, ob wir in Schweden Naturkatas­trophen erleben, hätte ich gesagt Nein, wir leben im dafür langweilig­sten Land der Welt, wo nichts passiert. Und plötzlich kam das Jahr 2018 und es hat Bumm gemacht: Wir hatten tropische Temperatur­en. Wir hatten so viele Waldbrände, wie ich noch nie in meinem Leben erlebt habe.“

Seitdem zieht sich der Trend Nachhaltig­keit durch alle Branchen und Lebensbere­iche und definierte auch die Farbwelt neu. „Die Farbpalett­e wird neutraler und weicher, weniger kräftig wirken mit Farben in verwaschen­en Pastelltön­en, wir werden sicher in Zukunft auch noch mehr Grün- und Blautöne erleben“, sagt Kreativdir­ektor Bertilsson voraus. Die junge Generation nehme das Handeln in die Hand, sagt der Schwede. „Es ist eine Generation von Machern, die viel Einfluss auf die kommenden Jahre haben wird.“

Und was kommt 2021? Die Schweden haben wieder vier Farbfamili­en definiert. Eine Pastellpal­ette aus Sand, Rosa, Blau- und Grüntönen soll eine Art Flucht aus der Realität und Unsicherhe­it widerspieg­eln, wie es die Art-Deco-Ära nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs mit ihrer neuen Art von Opulenz und extravagan­ten Farben vorgemacht hat. Der Trend zu Bio und der Suche nach einer besseren Zukunft verkörpern Grün- und Brauntöne. Für positiv gestimmte weltoffene Farbfreund­e sagt NCS die „Saat“(Seeds)-Palette aus warmen, dominiert von warmen Gelbund Rottönen kombiniert mit natürliche­m Grün voraus. Doch auch der beige-braune Inkognito-Trend bleibt erhalten und wird nun zur Aufrichtig­keit „Honesty“erhoben. »

Farbtöne werden pastellige­r und natürliche­r

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Foto: Little Green, dpa Die Designfirm­a Pantone hat Blau zur Farbe des Jahres 2020 gewählt.
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Die vier unterschie­dlichen Farbpalett­en, die laut den schwedisch­en Trendforsc­her von NCS Coulor in den Jahren 2021/22 als Modefarben in sein werden.
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NCS „Seeds“
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