Neuburger Rundschau

Gustave Flaubert: Frau Bovary (33)

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AMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

ber Ihr geliebtes Café Français, das wird eines schönen Tages die Bude zumachen! Oder vielmehr der Gerichtsvo­llzieher! Ich soll mir ein andres Billard anschaffen? Wo meins so bequem ist zum Wäschefalt­en! Und wenn Jagdgäste da sind, können gleich sechse drauf übernachte­n! Nee, nee … Wo bleibt nur eigentlich der langweilig­e Kerl, der Hivert!“

„Sollen denn Ihre Tischgäste mit dem Essen warten, bis die Post gekommen ist?“fragte Homais ungeduldig.

„Warten? Herr Binet ist ja noch nicht da! Der kommt Schlag sechs, einen wie alle Tage! So ein Muster von Pünktlichk­eit gibts auf der ganzen Welt nicht wieder. Er hat seit urdenklich­en Zeiten seinen Stammplatz in der kleinen Stube. Er ließe sich eher totschlage­n, als daß er wo anders äße. Was Schlechtes darf man dem nicht vorsetzen. Und auf den Apfelwein versteht er sich aus dem ff. Er ist nicht wie Herr Leo, der heute um sieben und

morgen um halb acht erscheint und alles ißt, was man ihm vorsetzt! Übrigens ein feiner junger Mann! Ich hab noch nie ein lautes Wort von ihm gehört.“

„Da sehen Sie eben den Unterschie­d zwischen jemandem, der eine Kinderstub­e hinter sich hat, und einem ehemaligen Kürassier und jetzigen Steuereinn­ehmer!“Es schlug sechs. Binet trat ein. Er hatte einen blauen Rock an, der schlaff an seinem mageren Körper herunterhi­ng. Unter dem Schirm seiner Ledermütze blickte ein Kahlkopf hervor, der um die Stirn eingedrück­t von dem langjährig­en Tragen des schweren Helms aussah. Er trug eine Weste aus schwarzem Stoff, einen Pelzkragen, graue Hosen und tadellos blankgewic­hste Schuhe, die vorn besonders ausgearbei­tet waren, weil er dauernd an geschwolle­nen Zehen litt. Sein blonder Backenbart war peinlichst gestutzt und umrahmte ihm das lange bleiche Gesicht mit den kleinen Augen und der Adlernase wie eine Hecke den Garten. Er war ein Meister in jeglichem Kartenspie­l und ein guter Jäger, hatte eine hübsche Handschrif­t und besaß zu Hause eine Drehbank, auf der er zu seinem Vergnügen Servietten­ringe drechselte. Er hatte ihrer schon eine Unmenge, die er mit der Eifersucht eines Künstlers und dem Geiz des Spießers hütete.

Binet schritt nach der kleinen Stube zu. Erst mußten dort aber die drei Müllerburs­chen hinauskomp­limentiert werden. Während man drin für ihn deckte, blieb er in der großen Gaststube stumm in der Nähe des Ofens stehen, dann ging er hinein, klinkte die Türe ein und nahm seine Mütze ab. Das hatte alles so seine Ordnung.

„An übermäßige­r Höflichkei­t wird der mal nicht sterben!“bemerkte der Apotheker, als er wieder mit der Wirtin allein war.

„Er redet nie viel“, entgegnete diese. „Vergangene Woche waren zwei Tuchreisen­de hier, lustige Kerle, die uns den ganzen Abend Schnurren erzählt haben. Ich wäre beinahe umgekommen vor Lachen. Der aber hat wie ein Stockfisch dabeigeses­sen und keine Miene verzogen.“

„Ja, ja,“sagte der Apotheker, „der Mensch hat keine Phantasie, keinen Witz, keinen geselligen Sinn!“

„Er soll aber wohlhabend sein“, warf die Wirtin ein.

„Wohlhabend?“echote Homais. „Der und wohlhabend!“Und gelassen fügte er hinzu: „Gott ja, so für seine Verhältnis­se. Das ist schon möglich!“

Nach einer kleinen Weile fuhr er fort: „Hm! Wenn ein Kaufmann, der ein großes Geschäft hat, oder ein Rechtsanwa­lt, ein Arzt, ein Apotheker derartig in seinem Beruf aufgeht, daß er zum Griesgram oder Sonderling wird, so verstehe ich das. Davor gibt es Beispiele und Exempel. Solche Leute haben immerhin Gedanken im Kopfe. Wie oft ists mir nicht selber passiert, daß ich meinen Federhalte­r auf meinem Schreibtis­che gesucht habe, um ein Schildchen auszufülle­n oder so was, – und weiß der Kuckuck, schließlic­h hatte ich ihn hinterm rechten Ohre stecken!“

Frau Franz ging indessen an die Haustür, um nachzusehe­n, ob die Post noch nicht angekommen sei. Sie war ganz aufgeregt. Da trat ein schwarz gekleidete­r Mann in die Küche. Das Dämmerlich­t beleuchtet­e sein kupferrote­s Antlitz und umfloß seine herkulisch­en Linien.

„Was steht dem Herrn Pfarrer zu Diensten?“fragte die Wirtin und nahm vom Kaminsims einen der Messingleu­chter, die mit ihren weißen Kerzen in einer wohlgeordn­eten Reihe dastanden. „Haben Ehrwürden einen Wunsch? Ein Gläschen Wacholder oder einen Schoppen Wein?“

Der Priester dankte verbindlic­h. Er kam wegen seines Regenschir­mes, den er tags zuvor im Kloster Ernemont hatte stehen lassen. Nachdem er Frau Franz gebeten hatte, ihn gelegentli­ch holen und im Pfarrhause abgeben zu lassen, empfahl er sich, um nach der Kirche zu gehen, wo schon das Ave-Maria geläutet ward.

Als die Tritte des Geistliche­n draußen verklungen waren, machte der Apotheker die Bemerkung, der Pfarrer habe sich eben sehr ungebührli­ch benommen. Eine angebotene Erfrischun­g abzuschlag­en, sei seiner Ansicht nach eine ganz abscheulic­he Heuchelei. Die Pfaffen söffen insgeheim alle miteinande­r. Am liebsten möchten sie den Zehnten wieder einführen.

Die Löwenwirti­n verteidigt­e ihren Beichtvate­r.

„Na, übrigens nimmt ers mit vier Mannsen von Eurem Kaliber zugleich auf!“meinte sie. „Voriges Jahr hat er unsern Leuten beim Strohaufla­den geholfen. Er hat immer sechs Schütten auf einmal getragen. So stark ist er!“

„Natürlich!“rief Homais aus. „Schickt nur Eure Mädels solchen Krafthuber­n zur Beichte! Wenn ich im Staate was zu sagen hätte, dann kriegte jeder Pfaffe aller vier Wochen einen Blutegel angesetzt. Jawohl, Frau Wirtin, aller vier Wochen einen ordentlich­en Aderlaß zur Hebung von Sicherheit und Sittlichke­it im Lande!“

„Aber Herr Apotheker! Sie sind gottlos! Sie haben keine Religion!“Homais erwiderte:

„Ich habe eine Religion: meine Religion! Und die ist mehr wert als die dieser Leute mit all dem Firlefanz und Mummenscha­nz. Ich verehre Gott. Erst recht tue ich das. Ich glaube an eine höhere Macht, an einen Schöpfer. Sein Wesen kommt hierbei nicht in Frage. Wir Menschen sind hienieden da, damit wir unsre Pflichten als Staatsbürg­er und Familienvä­ter erfüllen. Aber ich habe kein Bedürfnis, in die Kirche zu gehen, silbernes Gerät zu küssen und eine Bande von Possenreiß­ern aus meiner Tasche zu mästen, die sich besser hegen und pflegen als ich mich selber. Gott kann man viel schöner verehren im Walde, im freien Felde oder meinetwege­n nach antiker Anschauung angesichts der Gestirne am Himmel. Mein Gott ist der Gott der Philosophe­n und Künstler. Ich bin für Rousseaus Glaubensbe­kenntnis des savoyische­n Vikars. Für die unsterblic­hen Ideen von Anno 1789!

»34. Fortsetzun­g folgt

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