„Corona geht auch auf den Kopf“
Palliativmediziner Dr. Michael Ried war infiziert und erzählt von seiner Zeit in der Quarantäne – von der psychischen Belastung, von schönen und weniger erfreulichen Erfahrungen
Neuburg Es war Palmsonntag und es begann mit einem trockenen Husten. Am Abend hatte Michael Ried dann auch noch Fieber und Gliederschmerzen. „Ich fühlte eine bleierne Schwere, so, wie wenn um jeden Knochen eine Bleiplatte gebunden worden wäre“, beschreibt der Palliativmediziner aus Neuburg. Gleich am nächsten Morgen ging er im Klinikum Ingolstadt, seinem Arbeitgeber, zum Betriebsarzt in die Sprechstunde. Der machte einen Abstrich. Einen Tag später war klar: Covid-19 - er war infiziert. Angesteckt hatte er sich, wie er vermutet, bei einem der vielen Patienten in der Arbeit.
Michael Ried meldete sich mit seiner Frau und seinen beiden Buben (16 und 18 Jahre) beim Gesundheitsamt. Auch die anderen Familienmitglieder wurden getestet. Alle vier mussten dann zwei Wochen in häusliche Quarantäne. Der 51-Jährige zog ins Gästezimmer im Keller des Hauses. Zu den Mahlzeiten ging er nach oben, saß separat, um den Abstand zu den anderen Familienmitgliedern zu wahren. „Ich hätte es nie gepackt, alleine zwei Wochen im Keller auszuhalten“, sagt er. Eine
Woche lang hatte er Fieber, empfand eine extreme Mattigkeit. „Dann spürte ich, es tut sich was.“Tatsächlich wurde es schlagartig besser, das Fieber ging weg, Michael Ried wurde wieder leistungsfähiger. Am Montag nach dem Weißen Sonntag wurde er erneut getestet, der Anruf kam einen Tag später. „Ich saß wie auf Kohlen und war dann ungemein erleichtert,“erzählt er. Er hatte die Krankheit überstanden und weder Frau noch Kinder angesteckt.
Für alle zusammen waren die zwei Wochen in Quarantäne eine ungemein große Belastung. „Es macht noch mal einen Unterschied, ob ich nicht grundlos rausgehen darf, oder ob es strikt verboten ist, das Haus zu verlassen“, erklärt der Arzt. Für ihn jedenfalls hatte Covid-19 nicht nur körperliche Auswirkungen. „Corona geht auch auf den Kopf, greift die Psyche an“, beschreibt Michael Ried. Obwohl er als Palliativarzt oft mit komplexen Situationen zu tun habe und eigentlich stets einen kühlen Kopf bewahre, „war ich in den zwei Wochen Quarantäne emotional sehr instabil
in dieser Zeit auch sehr nah am Wasser gebaut.“Er beschreibt seinen angegriffenen Zustand so, als ob jemand mit einer Drahtbürste seine Nerven blank geputzt hätte. „Ich hatte Angst, dass mein Zustand noch schlimmer werden könnte, oder dass ich jemanden, ohne es zu wissen, angesteckt habe, zum Beispiel meinen 84 Jahre alten Vater.“
Neben der psychischen Belastung gab es aber in der Zeit auch sehr positive Erfahrungen. Die Hilfsbereitschaft unter den Nachbarn und Freunden sei sehr groß gewesen. Sie gingen für die Rieds einkaufen und der ein oder andere brachte sogar etwas Leckeres zu essen vorbei, manchmal sogar mit einem Rezept
Nachkochen nach Corona. „Allerdings haben wir manche Reaktionen in der Quarantäne auch nicht erwartet und einige Menschen aus einer ganz anderen Sicht kennengelernt“, erzählt der 51-Jährige.
Die Betreuung durch das Gesundheitsamt in Neuburg empfand Michael Ried „fachlich wie zwischenmenschlich sehr gut“. Jeden Tag kam ein Anruf zu unterschiedlichen Zeiten. „So war das angekündigt worden, auch um zu überprüfen, ob wir die Quarantäne einhalten“, erklärt der Mediziner. Die Kontakte seien immer sehr wertschätzend, nie belehrend gewesen. „Da war viel Menschliches zu spüren.“Er schrieb Johannes Donhauund ser, dem Leiter des Gesundheitsamtes, später auch einen Brief, in dem er sich noch einmal für die gute, herzliche Betreuung bedankte.
Mittlerweile ist Michael Ried wieder im Dienst. Zu seiner Aufgabe als Palliativmediziner zählt seit geraumer Zeit auch die Versorgung von sterbenden Covid-19-Patienten in den isolierten Räumen am Klinikum. Für ihn war und ist das nie ein Problem gewesen, weil dort die Schutzvorkehrungen enorm groß sind. „Gefährlicher sind die Patienten, von denen man nichts weiß“, sagt der Neuburger. Er findet es im Übrigen gut gelöst, dass der Hospizund Palliativbereich vom Besuchsverbot ausgenommen ist und Angezum hörige nach einer Gesundheitsprüfung kommen können. „Am Klinikum in Ingolstadt werden grundsätzlich menschennahe Lösungen durchgesetzt“, sagt der Arzt.
Als Tipp gibt Michael Ried denjenigen, die infiziert sind, mit auf dem Weg, sich unbedingt an einen medizinischen Lotsen zu halten, das kann das Gesundheitsamt, aber auch der Hausarzt sein. Und er appelliert auch an die Freunde, Bekannten und Nachbarn, einen Menschen in Quarantäne nicht alleine zu lassen, sondern die sozialen Kontakte aufrecht zu erhalten. Das kann durch Anrufe geschehen, oder dass man einfach mal an die Gartentür geht und sich mit entsprechendem Abstand erkundigt, wie es einem geht. „Auf diese Weise wurden bei mir viele Kontakte neu belebt, was schön ist und wofür ich dankbar bin.“Auf der anderen Seite würde bei dieser Krankheit aber auch das Irrationale an Bedeutung gewinnen. „Manche Menschen meiden sogar jetzt noch den Kontakt mit mir“, erzählt der Genesene.
Der Palliativmediziner ist nicht der einzige Neuburger, der die Lungenkrankheit Covid-19 heuer durchzustehen hatte. Es gibt Fälle
Zwei Wochen Quarantäne schlägt aufs Gemüt Acht Infizierte in einer Familie
wie den einer Handwerkerfamilie, die aus heiterem Himmel plötzlich acht Infizierte hatte oder die Gruppe junger Frauen, die Anfang März noch zum Skifahren nach Ischgl mussten und prompt angesteckt worden sind. Zum Glück sind sie danach nicht ernsthaft erkrankt gewesen. Eine Krankenschwester aus Neuburg-Nord dagegen kämpfte tagelang mit schwerem Fieber, nachdem sie sich wohl in der Arbeit mit dem Corona-Virus infiziert hatte.
Eine Neuburger Familie hatte nur einen Kurzbesuch – und schon war das Malheur passiert, weil der Besucher unwissentlich das Virus mitgebracht hatte. Alle Beteiligten überstanden die folgenden schweren Wochen. Sie kämpften mit Fieber, Husten, bleierner Kraftlosigkeit und kurzzeitig auch mit Atemnot. Doch alle drei Generationen, auch die über 80-Jährigen in der Familie, überwanden die neue Krankheit ohne Klinikaufenthalt. Nach Quarantäne und drei weiteren negativen Testergebnissen „sind wir wieder in die freie Welt hinausgegangen“, so beschreibt es einer der Genesenen.