OB Christian Scharpf ist vereidigt
Nach 48 Jahren hat Ingolstadt wieder einen SPD-Oberbürgermeister. In Zeiten von Corona war der Amtsantritt alles andere außer gewöhnlich. Nicht nur das Virus stellt den OB und seinen Stadtrat vor Herausforderungen
Ingolstadt Dass der Weg ihres Sohnes ihn einmal bis an die Spitze seiner Heimatstadt führen würde, das hatte Gertraud Scharpf nicht erwartet. „Sehr überrascht“, sei sie gewesen von seinem Wahlerfolg, sagt die Ingolstädterin am Montag draußen im Foyer das Ingolstädter Stadttheaters. Wenige Minuten zuvor hatte Christian Scharpf seinen Eid abgelegt und von seinem Vorgänger Christian Lösel die Amtskette überreicht bekommen. Wegen Corona im großen Festsaal des Stadttheaters. Christian Scharpf, Jurist und 48 Jahre alt, ist jetzt Oberbürgermeister von Ingolstadt. Der erste SPDOB seit 48 Jahren. Damals, 1972, war Peter Schnell (CSU) zum Nachfolger von Otto Stinglwanger (SPD) gewählt worden. Seitdem war das Amt fest in CSU-Händen. Am 29. März änderte sich das. Bei der Stichwahl hatte Scharpf seinen Vorgänger mit 59,3 Prozent der Stimmen geschlagen.
Wenn es um die Analyse für Lösels Wahlschlappe und die der CSU – sie hat nur noch 13 Sitze, bleibt aber stärkste Fraktion – geht, dann tauchen immer wieder zwei Punkte auf. Die Verurteilung von Lösels Amtsvorgänger Alfred Lehmann zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe wegen Korruption. Zum anderen aber auch das Klima im Stadtrat, von der „Arroganz der Macht“war mitunter die Rede. Münsterpfarrer Bernhard Oswald sprach dann eingangs der konstituierenden Sitzung auch eindringliche Wort an alle der 50 Stadträte. Man müsse sich nach einer Sitzung immer noch gegenseitig in die Augen schauen können. Er bat um „Vernunft und Verstand“für die Stadtpolitiker, die eins immer im Sinn haben sollten: alles „zum Wohle der Stadt“.
Manfred Schuhmann war einst der jüngste Stadtrat, als er 1972 für die SPD ins Amt gewählt wurde. Heute ist er Alterspräsident. An Schuhmann war es damit, seinen Genossen Christian Scharpf zu vereidigen. In seiner Rede ließ der 78-Jährige auch die Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre Revue passieren, erinnerte an den „Deppenhaufen“– ein Wort, das einst auf der Regierungsbank gefallen ist. Aber die Herausforderungen für den neuen Stadtrat werden enorm sein, betonte Schuhmann: Corona, Klimawandel, Nationalismus.
Christian Scharpf sprach von „Demut und Respekt“, mit denen er das Amt annehme. Er will für eine S-Bahn rund um Ingolstadt sorgen, „seelenlose Investorenarchitektur“aus der Stadt verbannen, das Image der Stadt verbessern, in die Kultur investieren und die Stadt zu einer sozialen Stadt machen. Auch will er den vielfach wegen seiner Undurchsichtigkeit kritisierten Bürgerkonzern – die Stadt samt ihrer zahlreichen Töchter – auf den Prüfstand stellen. Vor allem aber will Scharpf die Atmosphäre im Stadtrat wieder verändern. Um einen „Neuanfang“und „Respekt“soll es gehen. Aber die Politik in den kommenden Jahren mit elf Gruppierungen im Stadtrat werde schwer. Er könne nicht durchregieren, „und das hätte ich auch nicht gewollt. Wir müssen uns daher zusammenraufen.“Auch wenn es für Christian Lösel ein bitterer Abschied als OB ist, sagt er, dass das Amt ihn „stets mit großer Freude erfüllt“habe. Er zählte all jene Projekte auf, die in den vergangenen sechs Jahren angestoßen oder vollendet worden sind: Schulbauten, Wohnungsbau, Verdopplung der Studentenzahlen, Straßenbau. „Ich habe es für die Menschen hier in dieser Stadt getan“, sagt Lösel.
Schuhmann hat in der Sitzungspause mit einer Wurstsemmel ganz entspannt auf einem der Stühle der CSU-Fraktion im Theater Platz genommen. Die Kritik an seiner Rede vonseiten der CSU, das Nachkarteln wäre überflüssig gewesen, pariert der ehemalige Geschichtslehrer mit den Worten, die er auch schon am Rednerpult gesagt hat: „Sich erinnern und darüber reflektieren ist Voraussetzung, dass sich Dinge nicht mehr wiederholen.“Dann dreht er das Namensschild um, das da auf seinem Platz ist. „Dr. Christian Lösel“steht drauf. „Ausgerechnet“sagt Schuhmann.