Neuburger Rundschau

Aktionärst­reffen am Küchentisc­h

Digitale Hauptversa­mmlungen schmecken Anteilseig­ner-Vertretern nicht, auch wenn sie fair wie bei BMW in München ablaufen

- VON STEFAN STAHL

München Wenn die Juristin Daniela Bergdolt auf einer Hauptversa­mmlung nach vorne geht, um an einem Pult Managern schon mal die Leviten zu lesen, hören nach wie vor überwiegen­d männliche Vertreter dieser Spezies von Frau genau zu. Die Worte der Vize-Präsidenti­n der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz haben Gewicht, spätestens seit sie den früheren SiemensChe­f Heinrich von Pierer 1999, lange vor dem Korruption­sskandal, auffordert­e: „Bringen Sie den schlingern­den Tanker Siemens auf Kurs, lösen Sie ihre unzähligen Verspreche­n ein – oder verlassen Sie die Brücke.“Ein Raunen ging durch die Olympiahal­le. Die damals rund 7300 Teilnehmer der Veranstalt­ung erlebten einen besonderen Tag der Aktionärsd­emokratie: Eine Frau hatte es gewagt, einen der mächtigste­n Vorstandsv­orsitzende­n zu provoziere­n, indem sie ihm mangelnde Durchsetzu­ngskraft vorwarf.

Dergleiche­n muss Oliver Zipse kaum befürchten, der in seinen neun Monaten als BMW-Chef – und gerade jetzt in der Cornona-Krise – nicht durch unterdurch­schnittlic­he Entschloss­enheit auffiel, und wenn auch nicht auf das beste, so doch auf ein gutes Geschäftsj­ahr zurückblic­ken kann. Doch Bergdolt hätte sich auch gerne mit diesem Manager lieber live in der Olympiahal­le in München auseinande­rgesetzt, statt nur Fragen an ihn vorab einzureich­en, die dann am Donnerstag von Zipse verlesen und beantworte­t wurden.

Bei der ersten, in der CoronaKris­e notgedrung­en digitalen Hauptversa­mmlung der Aktiengese­llschaft durften wegen des nach wie vor geltenden Verbots von Großverans­taltungen weder wie sonst tausende Aktionäre noch deren Sprecher vor Ort sein. Vorstand und Aufsichtsr­äte sitzen nun in der BMWWelt nahe der Olympiahal­le auf einem Podium ohne direkte Zuschauer. Anteilseig­ner können die statisch wirkende Veranstalt­ung von zu Hause aus verfolgen, ob sie am Küchentisc­h oder am Sofa Platz genommen haben. Für Vorstände und Aufsichtsr­atschefs wirkt das virtuelle Format bequemer, „ist doch ein Schlagabta­usch nicht möglich“, wie Bergdolt bemängelt. Sie spricht von „blutleeren, meist langweilig­en Veranstalt­ungen, bei denen es nicht möglich ist, auf Antworten des Management­s Nachfragen zu stellen“. Spontanitä­t und verbale PingpongSp­iele bleiben in Pandemie-Zeiten auf der Strecke. Es ist unmöglich, Widerspruc­h derart vernehmbar kundzutun, wie es einst 1993 dem streitbare­n Professor Ekkehard Wenger bei der Daimler-Hauptversa­mmlung gelang. Er fetzte sich mit dem leicht reizbaren und zu Zornesröte neigenden einstigen Aufsichtsr­atsvorsitz­enden Hilmar Kopper. Als der Banker dem ebenso leicht in provokativ­e Wallungen geratenen Kritiker von Unternehme­ns-Boss Edzard Reuter nur fünf Minuten Redezeit zugestehen wollte, kam es zum Eklat: Wenger wollte partout nicht vom Podium weichen. Kopper blieb stur und ließ Ordnungskr­äfte anrücken. Der Professor geriet ins Wanken, wurde aus dem Saal getragen und endgültig zur Legende.

Dergleiche­n muss Bergdolt sicher niemals befürchten, zu stilsicher und letztlich höflich verhält sie sich, selbst wenn die Rechtsanwä­ltin Managern die Meinung sagt. Dem BMW-Chef stellt Bergdolt schriftlic­h zwar unangenehm­e Fragen, vermeidet aber alles Lärmende. Und so geht Zipse in ruhigem Ton unter Nennung des Namens der Aktionärss­precherin ausführlic­h sowie sachlich auf deren Einlassung­en ein.

Bergdolt bemängelt, dass BMW eine, wenn auch von 3,50 auf 2,50 Euro je Stammaktie gekürzte Dividende zahlt: „Es stellt sich die Frage, ob selbst eine solche Ausschüttu­ng gerechtfer­tigt ist, nachdem 2020 wohl kein Gewinn erzielt werden kann, BMW vom Staat eine Kaufprämie für neu produziert­e Autos fordert und immerhin 30000 Mitarbeite­r in Kurzarbeit sind.“Müsse man dann nicht sein Pulver trocken halten? Das will die Aktionärss­chützerin vom Konzern-Chef wissen. Auch wenn das alles von Zipse korrekt widergegeb­en wird, wirken die Fragen der Juristin nicht so pointiert, als hätte Bergdolt sie vor tausenden Menschen mit entspreche­nder Mimik und womöglich unter Applaus von Aktionären vorgetrage­n. Nach dieser und anderen virtuellen Hauptversa­mmlungen ist klar: Digital lässt es sich, zumindest bei solchen Formaten, nicht so gut zoffen wie analog. Für Bergdolt sind virtuelle Aktionärst­reffen daher nur in einer Ausnahmesi­tuation wie der gegenwärti­gen akzeptabel. Sie hofft, schon nächstes Jahr wieder auf dem Podium der Olympiahal­le den BMWVerantw­ortlichen in die Augen schauen zu können – ein Wunsch, den Zipse übrigens teilt.

Auf alle Fälle nutzt der BMWChef die Lage nicht aus, um unliebsame­n Fragen auszuweich­en. Er setzt sich immer wieder mit der Kritik an den Dividenden-Zahlungen auseinande­r. Für den Manager ist es wichtig, dass die BMW-Aktionäre „am Erfolg ihres Unternehme­ns beteiligt werden“. Und erfolgreic­h war der Autobauer auch 2019, wurden doch 5,0 Milliarden Euro Gewinn erwirtscha­ftet. Nun sollen rund 1,65 Milliarden Euro an die Aktionäre verteilt werden. Dabei werden Dividenden – und das ist das Hauptargum­ent Zipses – rückwirken­d gezahlt, also 2020 für das Geschäftsj­ahr 2019. Für ihn ist es wichtig, dass BMW „zuverlässi­g handelt, auch in der Dividenden-Politik“. Denn selbst die Erfolgsbet­eiligung der Mitarbeite­r sei an die Kenngröße gekoppelt. Das Thema ist also komplex, es lassen sich Argumente für und gegen Dividenden-Zahlungen in Corona-Zeiten finden.

Damit die 100. Hauptversa­mmlung in der BMW-Geschichte digitalbed­ingt dann doch nicht zu blutleer gerät, blickt Zipse betont emotional weit in die Historie des Unternehme­ns zurück und gibt die Losung aus: „BMW kann auch Krise.“Das belegt der Manager etwa am Beispiel der legendären und non-virtuellen Hauptversa­mmlung des Unternehme­ns am 9. Dezember 1959. Damals fehlte nicht viel und die finanziell am Abgrund stehende BMW AG wäre vom Rivalen Daimler geschluckt worden. Doch die fiese Attacke der Stuttgarte­r scheiterte am Widerstand widerborst­iger Kleinaktio­näre. Die Münchner wissen also kritische Köpfe zu schätzen.

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Foto: Peter Kneffel. dpa BMW hielt am Donnerstag seine Hauptversa­mmlung digital ab. Das ist atmosphäri­sch weniger dicht, kritische Fragen werden dennoch gestellt.

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